SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2007, Seite 15

Auf der Suche nach der "sauberen Kohle"

Bisher nur vage Versprechen

Vielen Menschen in aller Welt hat die Diskussion der letzten Wochen die Augen geöffnet. In Sachen Klimaschutz ist es höchste Zeit zum Handeln.
Die Emissionen der Treibhausgase, vor allem des bei der Verbrennung von Kohle, Öl und Erdgas entstehenden Kohlendioxids (CO2), müssen drastisch reduziert werden. Entscheidend sind dabei die Gebäudeheizung und die Stromversorgung. Immerhin scheint sich hier etwas zu tun: Windenergie und Fotovoltaik boomen, und derzeit beginnen die Vorbereitungen zum Bau der ersten Offshore-Windparks.
Doch die Gegenseite schläft nicht. Die großen Energiekonzerne wollen sich zwar im Offshore-Bereich erstmals auch bei den erneuerbaren Energien engagieren, vor allem aber wollen sie an der quasimonopolistischen Versorgungsstruktur festhalten und neue Großkraftwerke bauen. 26 neue Stein- und Braunkohlekraftwerke mit einem Ausstoß von 150000 Tonnen CO2 jährlich sind in Planung. Das entspricht rund 15% der derzeitigen deutschen Treibhausgasemissionen.
Das ist natürlich im Moment nicht sonderlich populär, deshalb hat man sich eine schöne Verpackung ausgedacht: "Saubere Kohle" heißt das neue Schlagwort. Von China über die USA bis zur Europäischen Union werden überall milliardenschwere Forschungsprogramme entwickelt, um eine neue Technologie zu entwickeln, die das CO2 aus den Abgasen der Kraftwerke abtrennen, verflüssigen und in sichere Speicher deponieren soll.
RWE will eine Milliarde Euro in eine Pilotanlage stecken. Vattenfall ist schon weiter. Der schwedische Konzern baut in Südbrandenburg seit fast einem Jahr an einer eigenen Testanlage, die allerdings mit 40 Millionen Euro deutlich günstiger ausfällt.
Worum geht es? Diskutiert werden zwei verschiedene Möglichkeiten. Vattenfall will in seiner Versuchsanlage das sog. Oxyfuel-Verfahren erproben. Dabei wird Kohle mit reinem Sauerstoff verbrannt, der zuvor unter einigem Energieaufwand vom Luststickstoff getrennt werden muss. Das Verfahren hat gegenüber der Verbrennung mit Luft den Vorteil, dass die Abgase, nachdem Flugasche und Schwefel ausgewaschen sind, nur noch aus Wasserdampf und CO2 bestehen, die leichter voneinander getrennt werden können.
Wenn die Technik in der kleinen Versuchsanlage erprobt ist, soll eine größere Pilotanlage gebaut werden. Aber nichts ist perfekt: Bei ausgereifter Technologie hofft Vattenfall den CO2-Ausstoß um 90% reduzieren zu können. Und: Die "saubere Kohle" ist in diesem Fall Braunkohle, d.h. der die Landschaft zerstörende Tagebau in der Lausitz geht munter weiter.
RWE setzt hingegen auf das IGCC-Verfahren (Integrated Gasification Combined Cycle). Hierbei wird Kohle zunächst unter Druck und bei knappem Sauerstoffangebot zu Kohlenmonoxid verbrannt. Die unerwünschten schwefel- und stickstoffhaltigen Anteile werden ausgewaschen, das übrig gebliebene Kohlenmonoxid kann nun mit Wasser bei hoher Temperatur zu CO2 und Wasserstoff umgesetzt werden. Mit dem Wasserstoff wird dann in einem thermischen Kraftwerk (Leistung 275 Megawatt) fast abgasfrei Strom erzeugt. Bei der Verbrennung entsteht Wasserdampf und je nach Anlage auch Stickoxide.
Die Vattenfall-Vorgabe von 90% CO2- Reduktion erstaunt zunächst. In den Prospekten der Energiekonzerne und Anlagenbauer spricht man nämlich gerne von CO2-freien Kraftwerken. Tatsächlich ist aber die Abtrennung nicht perfekt. Dietmar Schüwer vom Wuppertaler Institut für Umwelt, Klima und Energie rechnet mit einem Rest-CO2 von 5—25%, je nachdem wie groß der zusätzliche Energiebedarf ist und wie vollständig die CO2-Abscheidung funktioniert. Hinzu kommen Leckagen bei Umwandlung, Transport und Einlagerung.
Noch pessimistischer ist das Fraunhofer- Institut für System und Innovationsforschung. In einer Studie über die Möglichkeiten von CCS (Carbon Capture and Storage, also Einfangen und Lagerung von CO2) heißt es: "Ein Allheilmittel ist [CCS] aber nicht: Kraftwerke mit CO2-Abscheidung verbrauchen ein Drittel mehr Kohle oder Erdgas und sind deshalb kein Fortschritt in Richtung einer nachhaltigen Energieversorgung." Sie ist bestenfalls eine Brückentechnologie, die in den nächsten Jahrzehnten die CO2-Emissionen deutlich mindert, bis genügend erneuerbare Energiequellen zur Verfügung stehen.
Was soll man also von der Einlagerung von CO2 halten? Am umstrittensten ist die Einbringung von flüssigem CO2 in den Ozean, z.B. in Form von CO2-Seen, die am Meeresgrund angelegt werden könnten, was mit Sicherheit das Abtöten einer einzigartigen Bodenfauna zur Folge hätte. Vermutlich würde sich außerdem das CO2 allmählich mit dem Wasser vermischen, dadurch die Meere versauern und eventuell in die Atmosphäre gelangen. Bisher kann niemand eine langfristige Kontrolle dieser Form der Speicherung garantieren.
Etwas günstiger ist die Prognose für geologische Formationen. Gedacht ist vor allem an leere Öl- und Erdgaslagerstätten oder tiefe salzhaltige Wasseradern. In Norwegen und Kanada wird CO2 bereits kommerziell eingesetzt, um die Ausbeute von Erdöllagerstätten zu erhöhen. Mit dem verflüssigten CO2 lässt sich zusätzliches Erdöl aus der Lagerstätte pressen.
Die meisten Geologen sind sich bisher sicher, dass das CO2 im tiefen Untergrund, weit unterhalb der Grundwasser führenden Schichten, auf Dauer gespeichert werden kann. In den USA wurden allerdings im letzten Jahr Beobachtungen aus dem Golf vom Mexiko veröffentlicht, die erste Zweifel anmelden. Auf jeden Fall wird es noch mehr praktischer Versuche bedürfen, bevor die Frage geklärt ist.
Entsprechend rechnet niemand damit, dass die ganze Technologie — ob sinnvoll oder nicht — vor 2020 ausgereift sein wird. Mit anderen Worten: Die derzeit geplanten Kohlekraftwerke werden auf absehbare Zeit ganz normale Dreckschleudern sein. "Saubere Kohle" ist vorerst nichts als ein vages und nicht mal besonders verlockendes Versprechen.

Wolfgang Pomrehn

Der Autor schreibt derzeit an einem Buch über Klimawandel und -politik, das im Spätsommer im PapyRossa-Verlag erscheinen wird.



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