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In der US-Gesellschaft wächst die Stimmung gegen den Krieg, sogar innerhalb des
Militärs, auch an deutschen Standorten der US-Armee.
Als die Einheit am 1.September vergangenen Jahres von der
deutschen "Home base" aus in den Irak zog, fehlte der Sanitäter Agustín Aguayo. Er wollte keinesfalls ein
zweites Mal zum Krieg beitragen. Dafür war er bereit, ins Gefängnis zu gehen. Doch als er sich stellte, sagte man
ihm, er werde, "notfalls in Handschellen" in den Irak geschleppt. Er entzog er sich der gewaltsamen Verschleppung
und tauchte vorläufig unter. Seine Frau und die beiden Töchter blieben in der abgeschotteten Gemeinde der US-Base
in Schweinfurt, einem "Little America" auf deutschem Boden, zurück noch isolierter als zuvor.
Isoliert sind die US-Soldaten und ihre Familien an die
70000 an 72 Orten in Deutschland allemal. In den letzten Jahren haben sie noch weniger Verbindung zur deutschen
Gesellschaft als in den Nachkriegsjahrzehnten. Hohe Mauern umgeben inzwischen die US-Basen. Und während weltweit die
Kooperation zwischen Bundeswehr und US-Armee intensiver wird, werden hierzulande manche US-Basen aufgelöst, andere, wie
die Airbase Ramstein, erweitert doch all dies geschieht weitgehend unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit,
abgeschottet auch von der Medienaufmerksamkeit. Ramstein, die größte US-Luftwaffenbasis in Deutschland, hatte im
Irakkrieg eine Schlüsselrolle inne und hält diese auch weiterhin bei der Aufrechterhaltung des blutigen
Besatzungsregimes. Wer weiß schon, dass verletzte GIs in das dortige Krankenhaus Landstuhl geflogen werden, um versorgt
und in den Krieg zurückgeschickt zu werden?
Dass die deutschen Regierungen keineswegs der Militarisierung
der Politik entsagen, sich vielmehr als Partner der USA im globalen "Krieg gegen den Terror" andienen, daran muss
eine Öffentlichkeit behutsam gewöhnt werden, die sich kürzlich in Umfragen zu 70% gegen die (dennoch
beschlossenen) Tornado-Einsätze in Afghanistan aussprach. Diese in Deutschland unpopuläre Politik wurde und wird
diskret ins Werk gesetzt. Dazu gehört, sie als die zivilisiertere, auf Frieden abzielende Variante zu rechtfertigen, die
sich angeblich vom direkten militärischen Vorgehen der USA absetzt, und die massive Präsenz von US-Militär auf
deutschem Boden und ihre zentrale Rolle für weltweite militärische Interventionen auszublenden.
Es scheint, als habe die deutsche Friedensbewegung dieses
Deutungsmuster ein wenig übernommen sie widmet der Basis der US-Kriegsmaschine in Deutschland längst nicht
die Aufmerksamkeit und Wut wie bspw. die italienische Linke und Friedensbewegung dem US-Stützpunkt bei Vicenza.
Wachsenden Widerstand innerhalb des US-Militärs, das zeigt der Fall Aguayo, gibt es auch in Deutschland das
verlangt hier nach Solidarität und nach einem Blick hinter die Mauern der US-Basen. Elsa Rassbach von den American
Voices Abroad, Military Project erinnert in diesem Zusammenhang an die Bewegung gegen den Vietnamkrieg. Deutsche Kriegsgegner
verhalfen damals US-Soldaten, die aus politischen und moralischen Gründen nicht bereit waren, in Vietnam zu
kämpfen, zur Flucht nach Schweden.
Ist es etwa nach deutschem oder US-Recht möglich,
jemanden mit Gewalt in einen Krieg zu verschleppen? Ist es laut den Genfer Konvention zulässig, einen Sanitäter zu
zwingen, eine Waffe zu tragen und an Patrouillen teilzunehmen? Ist es mit der weltweiten Ächtung der Sklaverei
vereinbar, wenn die Verträge der Soldaten einseitig von der Armeeführung verlängert werden, weil man sie
für einen nicht erklärten Krieg braucht? Agustín Aguayo widerfuhr all das innerhalb des militärischen
"Little America" auf deutschem Boden und an der irakischen Kriegsfront. Angesichts der deutlich steigenden
Kriegsablehnung ist davon auszugehen, dass sich zahlreiche US-Soldaten an deutschen Standorten mit ähnlichen Gedanken
tragen wie Agustín Aguayo.
Fernando del Solar von den Guerrieros Aztecas, einer
Initiative von Familien lateinamerikanischer Herkunft, die durch den Krieg einen Angehörigen verloren haben, ist
zusammen mit der Familie Aguayo nach Berlin gekommen, um Agustín zu unterstützen, der sich am 6.März vor einem
US-Militärgerichtshof u.a. wegen Fahnenflucht verantworten musste. Fernando erzählt von seinem Sohn Jesus, der an
die Notwendigkeit des Krieges geglaubt hat und gleich zu Beginn des Irakfeldzugs 2003 umkam: "Ich unterstütze
Agustín. Er hat im Irak erlebt, dass er als Sanitäter nur dafür da war, die Soldaten für den
nächsten Einsatz wieder fit zu machen, ihm wurde sogar untersagt, sich um irakische Verletzte zu kümmern. Das hat
ihm die Augen geöffnet. Wenn er freikommt, will er sich dafür einsetzen, dass die Kids in den High Schools, wo die
Armee rekrutiert, die ganze Wahrheit erfahren. Bildung ist in den Staaten teuer, zu teuer für die Arbeiter. Den
Immigranten wird viel versprochen, wenn sie einen Vertrag mit der Armee unterzeichnen: Ausbildung, Geld, die
Einbürgerung. Aber dann müssen sie alles Mögliche von ihrem Sold zahlen: die Uniform, die Ausbildung, die
Versicherung, am Schluss bleiben ihnen ungefähr 600 Dollar."
Susana, Agustíns Mutter, nickt. Die Immigrantin aus
Mexiko, die in Kalifornien ihren Lebensunterhalt mit Putzen bestreitet, während ihr Mann Waren ausliefert, wirkt bei
ihrem Auftritt vor der Presse in Berlin eingeschüchtert. Auf die Frage einer Journalistin aus den USA, warum ihr Sohn
überhaupt zur Armee gegangen sei, antwortet sie und entschuldigt sich für ihr "schlechtes
Englisch" Agustín habe geglaubt, dass er dort, im Irak, sein müsse, um zu helfen. Die Journalistin
fragt nach: "Was erzählte er, als er von seinem ersten Einsatz im Irak zurückkam?" Susana blickt sie
ratlos an. "Hat er ihnen nicht gesagt, was er dort erlebt hat?", hakt die Journalistin nach. Agustíns Mutter
antwortet zum ersten Mal ganz entschieden: "Nein, davon spricht er nicht. Das ist zu schlimm. Vielleicht später
einmal." Das, so die Journalistin zu Susana, liege an "der anderen Kultur". Wahrscheinlich beschließt sie
soeben, das ganze unergiebige Interview zu löschen, doch sie stellt noch eine letzte Frage: "Warum tragen Sie die
Sache ihres Sohnes in die Öffentlichkeit?" Die Mutter des Kriegsdienstverweigerers sagt leise: "Weil ich ihn
unterstütze in allem, was er tut. Ich weiß, er hat das Richtige getan, und die ganze Familie wird
weiterkämpfen, um seinen beschädigten Ruf wieder herzustellen." Sie findet nicht die Worte, die ihren Sohn als
"Fall", als "Beispiel" mit einem hehren Anliegen verknüpfen würden. Ähnlich Agustín,
über den es in der Ablehnung seines Antrags auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen
heißt: "Wir vermögen keine Anhaltspunkte zu erkennen, dass seine Überzeugungen, vor- oder nachdem er zur
Armee ging, durch Nachforschen oder Nachdenken vertieft wurden." Hier scheint die Tragik von Menschen auf, die aufgrund
"der anderen Kultur" keine Chance haben, verstanden und ernst genommen zu werden, weil sie sich nicht
"angemessen" artikulieren können.
Dafür scheinen sie sich selber die Schuld zu geben. Die
Scham darüber, dass es überhaupt "so weit gekommen ist", dass man sich an die Öffentlichkeit wendet,
lastet auf der ganzen Familie Aguayo. Die Mutter ist stolz auf Agustín, doch die Tatsache, dass er floh, untertauchte,
in Haft ist und dass schließlich ein überraschend mildes Strafmaß, jedoch ein beschämendes Urteil
die unehrenhafte Entlassung verhängt wurde, belastet sie.
Fernando hingegen, der nach dem "sinnlosen Tod"
seines Sohnes in den Irak gereist ist, um sich mit den Irakern solidarisch zu zeigen, deutet das Urteil, das am 6.März
in Würzburg über Agustín Aguayo gefällt wurde, als Beispiel für die übliche Diskriminierung
farbiger Menschen in der US-Army wie in der Gesellschaft. Es sei ein Trick, ihm keine hohe Strafe aufzubrummen, ihn aber auch
nicht als Verweigerer aus Gewissensgründen anzuerkennen. Das würde die Identifikation mit Agustín
ermöglichen und die Moral der Armee weiter untergraben. Fernando del Solar ist die tiefe Desillusionierung anzumerken.
Die allmählich bei den Betroffenen erwachende Wut nährt eine neue Antikriegsbewegung in den USA, die weit mehr in
Frage stellen könnte als nur die Außenpolitik der Bush-Administration.
Sophia Deeg
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