SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2007, Seite 17

Globale soziale Rechte und ihre Aneignung

Gewerkschaften und globalisierungskritische Bewegungen diskutieren im Vorfeld des G8-Gipfels

Was die unterschiedlichen Subjekte der Bewegung gegen den Neoliberalismus voneinander trennt und was sie zusammenbringen kann, war Thema einer Veranstaltung, die am 27.Februar im Zuge der Mobilisierung gegen den G8-Gipfel von Heiligendamm in Frankfurt stattfand.
Zu den Chancen breiter gesellschaftlicher Mobilisierungen gehört, politische Akteure zusammenzubringen, die sich sonst nicht unbedingt über den Weg laufen und sich manchmal auch nicht über den Weg trauen. Seit Seattle und Genua kommt dem besondere Bedeutung zu. Denn dort schloss sich erstmals auch sichtbar zusammen, was seitdem globalisierungskritische Bewegung genannt wird: eine offene politische Konstellation, die von NGOs mit verschiedenster Aufgabenstellung, Umwelt- und Sozialverbänden, Gewerkschaften, kirchlichen Aktionsgruppen, Aktive der Friedensbewegung und Attac bis zu linken Parteien und Gruppen reicht.
Ungewöhnlich an der Frankfurter Konferenz war zunächst der Kreis der Veranstalter, zu dem entwicklungspolitische NGOs wie Medico international und FIAN, aber auch Attac, die Friedens- und Zukunftswerkstatt, das antirassistische Netzwerk "Kein Mensch ist illegal" und der Fachbereich Grundsatzfragen der IG Metall gehörte. Ungewöhnlich war auch die Liste der Unterstützer, unter denen das evangelische Hilfswerk Brot für die Welt ebenso zu finden war wie die Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Die meisten der etwa 130 Teilnehmenden fanden am Ende die Vermutung bestätigt, die sie zusammengebracht hatte: "Globale Soziale Rechte", so der Titel der Veranstaltung, sind nicht nur Gegenstand ganz unterschiedlicher Kämpfe, sie verkörpern auch die "Perspektiven einer anderen Globalisierung" und darin den Umriss — so der Eröffnungsbeitrag von Medico — eines "alternativen weltgesellschaftlichen Projekts". Dies lag nun allerdings auch daran, dass sich alle Beiträge einer vorschnellen Übereinstimmung verweigerten und sich statt dessen konzentriert den unterschiedlichen Ausgangssituationen und damit den Fragen zuwandten, an denen sich innere Widersprüche artikulieren oder gar Konflikte entzünden können.
So umrissen die Beiträge von Medico und FIAN den globalen Horizont des Streits für soziale Rechte, in dem sie die Verwirklichung des Menschenrechts auf Nahrung — Ansatz von FIAN — und des Menschenrechts auf Gesundheit — Ansatz von Medico — auch von einer strukturellen Veränderung des Nord-Süd-Verhältnisses abhängig machten: Sollen die Ressourcen des Überlebens (mehr als nur Nahrung) jedem und jeder bedingungslos und einklagbar zustehen, soll der gleiche Zugang aller zu Gesundheit (mehr als nur die Bereitstellung von Medikamenten und Ärzten) als universelles Recht auch durchgesetzt werden, müssen die gesellschaftlichen Macht-, Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse auch und gerade im Norden verändert werden.
Wie unumgänglich derart globalisierte Solidarität ist und wie schwer sie zu mobilisieren sein wird, umrissen dann die Vertreter von IG Metall. Sie berichteten von den Schwierigkeiten, Belegschaften international operierender Konzerne (Beispiel VW) aus der Standortkonkurrenz zu befreien, in der das Management sie strategisch gegeneinander auszuspielen sucht.
Derselben fatalen Konkurrenz ums Überleben setzten Aktive von "Kein Mensch ist illegal", Kanak Attak und Valery Alzaga von der amerikanischen Dienstleistungsgewerkschaft SEIU Erfahrungen aus der gewerkschaftlichen Organisierung illegalisierter migrantischer Arbeiterinnen und Arbeiter entgegen, für die es nicht nur um innerbetriebliche Rechte, sondern primär um das Recht auf Legalisierung ihres Aufenthalts geht.
Dazu bekannte sich in der Abendveranstaltung ganz ausdrücklich auch der Leiter des Fachbereichs Grundsatzfragen der IG Metall, Hans-Jürgen Urban, wenn auch mit dem ebenso ernstgemeinten wie selbstironischen Verweis, "dass es dazu noch keinen Vorstandsbeschluss" gebe. Für die Erzwingung eines solchen Beschlusses, mehr noch, für die gesellschaftliche Durchsetzung der in ihm erhobenen Ansprüche, ist die Behauptung universeller Menschenrechte als globaler sozialer Rechte aber gerade deshalb unerlässlich, weil Menschenrechte — so Rolf Künnemann von FIAN — von ihrer ebenso individuellen wie universellen Aneignung gar nicht getrennt werden können: "Reden wir von Menschenrechten, dann reden wir vom Prozess ihrer Aneignung".
Zu dessen Voraussetzungen gehört auch das Austragen von Widersprüchen zwischen den Subjekten, die auf gegenseitige Solidarität im Kampf um ihre Rechte angewiesen sind. Einen solchen Widerspruch benannte exemplarisch Valery Alzaga, als sie von der auch unter Gewerkschaftern weit verbreiteten Annahme sprach, migrantische Beschäftigte seien "schuld am Lohndumping". Dagegen führte sie die einfache Wahrheit ins Feld, dass nicht die Illegalisierten, sondern Gewerkschaften für die Senkung von Löhnen verantwortlich seien, weil sie Unternehmen, die Arbeiter aufgrund ihres unterschiedlichen bürgerrechtlichen Status gegeneinander ausspielen, nicht den Widerstand entgegensetzen, den allein globale Solidarität stiften kann.
Zum Erfolg der Veranstaltung gehörte, dass mit solchen Wahrheiten nicht moralisierende Vorwürfe erhoben, sondern gemeinsame Probleme benannt wurden — ein Anfang, nicht mehr und nicht weniger. Fortsetzung folgt.

Thomas Seibert

Ein ausführliches Protokoll der Veranstaltung



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