SoZ - Sozialistische Zeitung |
Die Erwärmung der Erdatmosphäre ist seit Wochen ein die Schlagzeilen
beherrschendes Thema. Dabei ist das Problem seit Jahren bekannt. Der Streit darüber, wie sie sich auswirkt, ist in
den verschiedenen Sparten künstlerischer Ausdrucksformen ebenfalls schon lange ein Thema. Und wie so oft sagen diese
Kunstwerke einiges über die aus, für die sie stehen. Wie die "Landkarte für die Tourplanung von
Revolte Springen-Seniorenkapelle in 2022" von Michael Fuchs in das Booklet der CD von YOK 2006,
Lieselotte Meyer lebt, kam, entzieht sich meiner Kenntnis, aber sie ist ein Ausdruck für den Humor des
Musikprojekts. Dortmund und Osnabrück sind Hafenstädte an der "Teutoburger Bucht". Auch Hildesheim
liegt an der Nordsee und ist durch eine Meerenge von einer Insel getrennt, auf der Helmstedt und Braunschweig auszumachen
sind. Die Sächsische Bucht reicht bis einige Kilometer vor die Hansestadt Dresden und hoch im Norden ist der
"Leuchtturm am Alex" durch einen roten Punkt gekennzeichnet.
Dieser Humor, der den Pessimismus, den die herrschenden
Verhältnisse produzieren, ertragen lässt, ist ein Markenzeichen des Itzehoer Anti-AKW-Aktivisten YOK, der
Anfang der 90er Jahre mit seinem Akkordeon nach Berlin umzog. Dort bewies er als "Quetschenpaua", dass
politische Liedermacherei nicht zu Schunkelversionen von Arbeiterliedern à la Hannes Wader oder zu deutschstiftender
Nachwuchsförderung eines Reinhard Mey verkommen muss.
Während in seiner Zeit als Quetschenpaua
19911994 wurde er zu einem der wenigen Musiker einer Szene, deren Markenzeichen
"Großmäuligkeit" war, der weit über seine Szene hinaus wahrgenommen wurde. In dem er
selbstironisch die Selbstüberschätzung seiner politischen Heimat in seine Lieder einbaute und sich kritisch
etwa mit dem Phänomen Militanz, wenn sie zum Selbstzweck verkam, auseinandersetzte, gelangen ihm Zeitdokumente, die
ihre Gültigkeit nicht verloren haben.
Dies mag auch mit dazu beitragen, dass auch noch heute
Jugendliche die Lieder, die damals auf Kassetten vertrieben wurden, schätzen. Diese Tatsache sorgt im Übrigen
auch dafür, dass die Ermordung des Hausbesetzers Silvio Meyer in Berlin-Friedrichshain durch Neonazis 1992 nicht so
leicht vergessen wird.
Dem Soloprojekt folgten die Zeit bei Tod und Mordschlag
19951999 und großartige Lieder wie "Schade, dass Beton nicht brennt" und "Alles wird bleiben
wie bisher". Aber auch die Fortsetzung der Reihe der Lieselotte Meyer aus der Rosenstraße 8 gehört dazu.
Die Lieder von und mit Lieselotte Meyer, die als diebische Antifaschistin älteren Jahrgangs schon als
Sympathieträgerin in Liedern von Quetschenpaua auftauchte, nehmen im Grunde die Geschichte des "Mensch
Meyer" der Ton Steine Scherben auf. Gleichzeitig gehen die Geschichten auf eine Zeitungsmeldung zurück, die
Heiter bis Wolkig Anfang der 90er Jahre zu ihrem wohl besten Musikstück verarbeiteten. Laut dieser Meldung hatte
eine ältere Dame eine tiefgefrorene Ente im Geschäft unter ihrem Hut versteckt und fiel daher in der Schlange
an der Kasse infolge von Unterkühlung in Ohnmacht. Seit 2000 macht YOK wieder Solomusik als New oder Old YOK. Seit
2001 arbeitet er auch noch mit bei "Revolte springen". Das sind zur Zeit um die 15 Leute, verteilt über
sechs Städte, die gemeinsam an Kleinkunstprojekten arbeiten.
Lieselotte Meyer lebt ist eine
"Frühlingsproduktion", die gerade jetzt in den Player gehört. Es muss nicht das Paul-Linke-Ufer in
Berlin sein, das YOK im umfangreichen Booklet empfiehlt, um sich an einem der kommenden warmen Tage mit einem
Kopfhörer niederzulassen und sich die CD zu Gemüte zu führen. "Anlauf" ist so ein Lied, dass
auch an unzähligen Orten, die mir einfallen, ähnlich passen würde.
In "Ein Brot auf Stelzen" verzichtet YOK auf
die Quetsche, aber Bass und Drumcomputer tun es eben auch, um klarzustellen: "Sinnlosigkeit ist nur ein anderes Wort
für Normalität." Die Fortsetzung der Geschichte von "Lieselotte Meyer" erinnert auch ein
bisschen an "Alles wird bleiben wie bisher". Davon, dass die Dame aus der Rosenstraße 8 lange zu einem
Symbol subversiven Widerstands geworden ist, zeugen unzählige Flugblätter, auf denen sie als
"Verantwortliche im Sinne des Presserechts" fungiert.
Ob YOK mit Sylvia oder Hella über
"Euschrecken" oder "Vergisses" singt, den Humor haben sich die Musikerinnen und Musiker um den
Wahlberliner erhalten. Dabei bleiben die Probleme der Miltanz und von Situationen, in denen die "Nerven blank
liegen", in Liedern wie "Kurz und klein" oder "Spurrillen" Thema. Letzteres ist im Übrigen
das einzige Lied, das nicht aus der Feder von YOK, sondern seiner musikalischen Mitstreiterin Hella stammt. Auch wenn YOK
bei "Kurz und klein" Regenunterstände an Bushaltestellen und Telefonhäuschen in Schutz nimmt, ist er
meilenweit vom sozialdemokratischen Lampenputzer eines Erich Mühsam entfernt.
Die pessimistische, aber trotzige Stimmung eines
Musikers, der lieber sein Geld als Taxifahrer verdient, als sich den musikalischen Zwängen einer
Künstlerkarriere zu unterwerfen, und so sich und seinen Ideen treu bleibt, kommt in "Ohne Beine" zum
Ausdruck. Diese Haltung bewahrt ihn davor, Schunkelversionen von Arbeiterliedern, deutschtümelnden Unfug oder
sexistische Flachwitze zum besten zu geben. Die 15 Lieder dieser CD sind genau das Richtige, um für die Gestaltung
des Frühlings etwas akustische Unterstützung zu bekommen und einem heißen Sommer entgegenzusehen.
Thomas Schroedter
www.ab-dafuer-records.de/yok2006.shtml
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