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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2007, Seite 04

Gastkommentar

Abgrundtief verlogen

SPD fördert Lohndumping mit Mindestlöhnen

von RAINER ROTH

"Armutslöhne sind ungerecht und unsozial ... Wer voll arbeitet, muss davon leben können. Deshalb werden wir Schluss machen mit dem Lohndumping."Das verkündet ausgerechnet die SPD in einem Aufruf für Mindestlöhne. Wie wird Schluss gemacht? Müntefering will gesetzlich vorschreiben, dass Tariflöhne bzw. ortsübliche Entgelte nur um bis zu 30% unterboten werden dürfen. Ab 30% beginnt die Sittenwidrigkeit. Die SPD macht Schluss mit dem Lohndumping, indem sie Lohndumping bis 30% fördert. Denn die Unterbietung von Tariflöhnen ist nichts Anderes als Lohndumping. Lohndumping bis 30% ist und bleibt nach SPD-Auffassung sittlich.
Schon mit Hartz IV war Lohndumping zumutbar, allerdings bis zu einem Drittel unter Tarif. Neu ist, dass Beck und Müntefering eine lächerliche Beschränkung des Lohndumpings jetzt als Verbot von Lohndumping verkaufen. Die SPD ist eben lernfähig.
Lohndumping wird aber auch indirekt gefördert. Die Begrenzung von Arbeitslosengeld I, die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe, die Senkung des Niveaus der als Arbeitslosengeld II verkauften Sozialhilfe für Erwerbsfähige, die ständige Verstärkung des Drucks auf Erwerbslose, die Förderung von 1-Euro-Jobs usw. dienen dazu, Armutslöhne als attraktiv erscheinen zu lassen, also Lohndumping zu fördern. Demselben Zweck dient auch die SPD-Hetze gegen faule Arbeitslose. Denn das ist die Begleitmusik, mit der Erwerbslose in das Schleppnetz des Lohndumpings getrieben werden. Lohndumping bekämpfen zu wollen und zugleich diese Art der Förderung des Lohndumpings auszubauen, ist abgrundtief verlogen.
Vom selben Kaliber sind die wilden Behauptungen der SPD, sie wolle Armutslöhne bekämpfen und dafür eintreten, dass Arbeitende von ihrem Lohn leben können sollen. Weit über 2 Millionen Erwerbstätige in Deutschland arbeiten zu Löhnen unter 7,50 Euro, einem Lohn, der im Durchschnitt durch Hartz IV aufgestockt werden muss. 30% geringere Löhne in Höhe von 5 Euro brutto gelten der SPD nicht als sittenwidrig. Bei Tariflöhnen von 3—4 Euro wären auch Bruttolöhne von 2—3 Euro nicht sittenwidrig. Vermutlich werden solche Löhne, von denen man nicht einmal die Miete bezahlen kann, von der SPD-Führung nicht als Armutslohn eingestuft, weil sie ja nicht sittenwidrig sind. Wenn die SPD sich für Mindestlöhne ausspricht, dann geht sie von tariflich vereinbarten Hungerlöhnen aus.
Das Kapital hat Hartz IV als Lohnsubvention eingerichtet, um zu fördern, dass Löhne gesenkt werden und man davon immer weniger leben kann. Je höher die staatlichen Lohnzuschüsse, desto geringer können die Löhne ausfallen. Diese Form des Lohndumpings baut die Große Koalition noch aus, indem sie den Freibetrag für Erwerbseinkommen unter 400 Euro auf 40 Euro zusammenstreicht. Dafür sollen die Freibeträge für Vollzeitbeschäftigte ab etwa einem Einkommen von 800 Euro erhöht werden. Die SPD kämpft gegen Armutslöhne, in dem sie sie fördert. Unvergessen ist, dass der Vorschlag des Sachverständigen Peter Bofinger, einen Mindestlohn von 4,50 Euro brutto einzuführen, in der SPD auf großes Wohlwollen stieß. Der SPD-Aufruf tritt für Mindestlöhne ein, ohne einen Betrag zu nennen. Er ist bloße Sympathiewerbung.
Die Vorsitzenden der DGB-Gewerkschaften haben diesen verlogenen Aufruf einer Lohndumpingpartei unterschrieben, ebenso wie alle Bundestagsabgeordneten der Linkspartei. Sie tragen damit dazu bei, neue Hoffnungen in eine Partei zu wecken, die diese längst verspielt haben müsste.
Es kann nicht darum gehen, das Ansehen der SPD aufzupolieren und sich ihr als Bündnispartner anzudienen. Es geht um einen gesetzlichen Mindestlohn auf einem Niveau, der deutlich über der Pfändungsfreigrenze liegt, die gegenwärtig 990 Euro netto beträgt. In der sozialen Bewegung und bei kritischen Gewerkschaftern hat sich die Forderung nach mindestens 10 Euro brutto durchgesetzt. Diese Forderung müsste einleuchtend begründet und massiv propagiert werden. Da sich viele im Sog der linken Sozialdemokratie befinden, geschieht das bis jetzt kaum.
Doch eins zeigt der Aufruf der SPD auch: In der Frage des gesetzlichen Mindestlohns ist das Kapital in der Defensive. Die SPD, die sich jahrelang unter Berufung auf die Tarifautonomie gegen die Einführung von gesetzlichen Mindestlöhnen gewehrt hat, ist auf dem Rückzug. Denn die Tendenz des Kapitals, den Lohn aufgrund hoher und langfristig steigender Arbeitslosigkeit und der Ausdehnung der EU mehr und mehr unter das soziale Existenzminimum zu drücken, setzt eine gesetzliche Beschränkung des Lohndumpings unerbittlich auf die Tagesordnung.
Beck und Müntefering versprechen uns ein Verbot des Lohndumpings. Lohndumping verbieten aber würde bedeuten, dass man den Kauf und Verkauf der Ware der Arbeitskraft und die Arbeitslosigkeit, also die Bedingungen des Lohndumpings verbieten müsste. Dann aber müsste man die Kapitalverwertung insgesamt "verbieten". Kapitalverwertung verteidigen und gleichzeitig Lohndumping zu verbieten, bedeutet der Nacht zu untersagen, dunkel zu sein.
Die SPD will sich mit dem Aufruf an die Spitze der "Systemkritik" setzen um zu verhindern, dass die Kritik des Systems in jeder Hinsicht praktisch wird.

Rainer Roth lehrt an der Fachhochschule für Sozialarbeit in Frankfurt am Main.



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