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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2007, Seite 11

"Das ist ja wie in Kriegszeiten"

Die G8 sind eine Last für die Bevölkerung in Mecklenburg-Vorpommern

Adriane van Loh lebt in Bad Doberan und ist Mitarbeiterin einer Landtagsabgeordneten der PDS in Schwerin. Mit ihr sprach Gerhard Klas.


Warum findest du es wichtig, gegen den G8-Gipfel zu demonstrieren?

Seit Monaten haben wir äußerste Einschränkungen bei uns. Schon allein deswegen würde es sich lohnen, mal darüber nachzudenken, was hier vor sich geht. Der Zaun kostet zwölfeinhalb Millionen. Die anderen Kosten kennen wir gar nicht. Irgendwie kommen auf uns 60 bis 70 Millionen Kosten zu, von denen keiner weiß, wer sie tragen soll. Der neue Sozialminister denkt schon laut darüber nach, ob das Blindengeld gestrichen werden muss... Beamtenbesoldung soll runtergefahren werden.
Die Linkspartei hat im Landtag einen Antrag auf warmes Essen für kleine Kinder in der Schule eingebracht, weil sehr viele sich das nicht mehr leisten können. Die Kinder essen den ganzen Tag nichts. Das wurde abgelehnt, mit der Begründung, wir haben kein Geld. Aber diese anderen Kosten sollen wir zahlen?
Das ist ein sehr deutlicher sozialer Haltepunkt für mich, wo ich Nein sage. Die acht Chefs können sich ja gerne austauschen, wo sie wollen, aber nicht mit diesen Belastungen für die Bevölkerung. Die polizeilichen Vorbereitungsmaßnahmen sind auch sehr unangenehm für die Bevölkerung. Einschränkungen gibt es schon lange.
Als Mensch, der in Bad Doberan wohnt und seit vielen Jahren regelmäßig da spazieren geht, kann nicht das jetzt nicht mehr machen, ohne damit rechnen zu müssen, dass ich kontrolliert werde. Ich muss meinen Pass bei mir führen. Dazu gibt es normalerweise gar keine Veranlassung, aber jetzt muss ich damit rechnen, dass mein Auto registriert wird, und irgendwann bin ich dann vermutlich auf so einer Heiligendammkartei und kann vielleicht nicht mehr reisen wohin es mir gefällt.
Es gefällt mir auch nicht, dass man sagt, es sind nur zehn Tage, aber wir sind seit Monaten damit konfrontiert. Die Leute können teilweise ihre Zimmer und Ferienwohnungen nicht mehr vermieten, denn die Urlauber möchten natürlich uneingeschränkt zum Strand gehen. Die möchten angeln oder baden oder sonst was und nicht von Polizisten kontrolliert werden, sie sind ja keine Kriminellen. Ich fühle mich ein wenig wie in einem Polizeistaat und das finde ich sehr unangenehm.

Während grade jetzt zwei Wannen an uns vorbeifahren.

Ja, makaber.

Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung, haben die Menschen eher Angst vor der Polizei, oder vor den Gipfelgegnern? Ist da schon was angekommen über die Gründe, warum so viele dagegen demonstrieren? Und sind sie für die Bevölkerung hier nachvollziehbar oder treffen da zwei verschiedene Welten aufeinander?

Jein. Die Leute im Kreis Bad Doberan wissen mittlerweile, worum es bei den Protesten geht, und es gibt auch viel Sympathie für die Ablehnung der G8. Das ist unumstritten. Die meisten sagen, das ist nicht unser Ding. Andere verstehen, dass man dagegen protestiert, hegen ganz persönlich als Handwerker oder so auch Hoffnungen, den einen oder anderen Auftrag zu bekommen. Der Mensch, der diesen Zaun baut, verdient daran, der ist aus dem Kreis Bad Doberan, und der Mensch, der die Wege pflastern durfte, ist auch von hier und verdient daran. Der die Getränke liefert auch. So ‘ne Möglichkeiten gibt es bei uns nicht so oft, das ist ‘n Highlight, das ist akzeptiert.
Diese Art von Protestformen, die jetzt sozusagen über die Bevölkerung kommen, sind schon ein wenig schwierig, weil wir sie hier im Osten nicht kennen.

Welche konkret?

Also Blockaden und so was, das kennt hier kein Mensch. Und sich irgendwo anzuketten, wie die Aktivisten das in Groß-Lüsewitz gemacht haben, so massiv gegen Gentechnik zu protestieren, dass man vielleicht auch ein bisschen die Gesundheit mit aufs Spiel setzt, das kennt man hier auch nicht. Was man noch nicht kennt, ist das ganze Bunte. Ich find‘s toll. Wir sind zwar touristisch, aber die ganze Welt hat sich bei uns so noch nicht getroffen.
Das ist natürlich meiner Meinung nach vor allem durch die Protestbewegung möglich. Denn die anderen werden sich in der Bevölkerung nicht rumtreiben. Die bleiben in ihrem schönen Kempinski-Hotel, meinetwegen können sie da auch eingeschlossen bleiben. Wer in der Bevölkerung unterwegs ist, das ist die Protestbewegung, und die ist international und bunt.

Hast du die Hoffnung, dass sich viele aus der Region an den Protesten beteiligen werden?

Einige werden sich beteiligen, wie viele, das sei dahingestellt, da habe ich keine Ahnung.

Ist der Bevölkerung bewusst, welche Einschränkungen sie zu erwarten hat?

Es ist ihnen bewusst gemacht worden. Einerseits durch die Polizei, die hat bei polizeilichen Informations- und Aufklärungsveranstaltungen von den Protestierern gern als von den Chaoten gesprochen. Das möchte ich mir verbitten, denn da gehöre ich dazu, also das finde ich unverschämt.
Auf der anderen Seite macht z.B. die Linkspartei selbst seit 14 oder 15 Monaten viele Informationsveranstaltungen, wo wir besprechen, was kann wie eventuell sein. Die Leute haben vor ganz konkreten Dingen Angst: Wird mein Vorgarten überlaufen, ist mein Geschäft in Gefahr, kann ich zur Arbeit kommen, werden die Kinder versorgt sein oder kommen wir überhaupt auf die B105 nicht drauf? Wie wird das ablaufen?
Das betrifft auch die Anwohner vom Camp in Reddelich, das ist das einzige, das wir bis jetzt haben. Wird es Probleme geben mit den Campern? Wie gehen wir damit um? Die Menschenmenge macht ihnen Angst, dass so etwas passieren könnte, wie in Genua. Die Vorstellung, 5000 Menschen tummeln sich auf ihrem übersichtlichen Gewerbegebiet, bringt doch manchen durcheinander, der da in der Nähe sein Häuschen hat. Das kann ich total nachvollziehen, und wir werden uns die allergrößte Mühe geben, dass das da sauber abläuft. Denn es geht ja nicht darum, den Menschen in unserer Region einen Schaden zuzufügen, ganz im Gegenteil. Wir werden auch durch Essen und Trinken für Umsatz sorgen.
Es gibt in Kühlungsborn ein Kinderheim. Da kommt schon die Nachfrage: Können wir das überhaupt verantworten, in dieser Zeit ein ganzes Haus voller kleiner Kinder da zu haben, können die dann überhaupt zum Strand oder kann was passieren? Schon allein, weil Tausende Journalisten da sind, Tausende Polizisten, Tausende Demonstranten und dann vielleicht auch noch irgendwelche Sanitäter rumrennen.
Dann gibt es Nachfragen aus Pflegeheimen und Krankenhäusern: Wie kommen die Kollegen wieder zur Arbeit, müssen alle in der Einrichtung übernachten, kriegen die das überhaupt abgesichert? Keiner kann diese Fragen beantworten. Ein Kollege von der Polizei sagte mal etwas von 40 Wasserwerfern. Dann stelle ich mir 40 Wasserwerfer vor... Und dann noch den anderen Trubel, da kann ich den Leuten nicht sagen, sie können problemlos zur Arbeit kommen.
Das sind so Fragen, die die Bevölkerung beunruhigen. Bis hin zur Frage: Kommen wir überhaupt noch zum Einkaufen oder müssen wir uns jetzt für 14 Tage bevorraten? Manche haben auch gesagt, das ist ja wie in Kriegszeiten. Unsere Zeitung ist täglich voll mit Berichten zu G8. Wenn man dann liest, wir erwarten ein Kriegsschiff, da muss ich sagen, da klopft das Herz nicht freudig. Die den Krieg erlebt haben sagen: Und das vor unserer Küste... Und dann die USA, müssen wir das haben?


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