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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2007, Seite 12

Telekom

Bluten für die Aktionäre?

Trotz Milliardengewinne: Die Festnetzsparte soll zerschlagen werden

von Franz Mayer

Am 28.Februar beschloss der Aufsichtsrat der Telekom gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter, was ihm der neue Chef René Obermann vorgelegt hatte: Die Ausgliederung von über 50000 Kolleginnen und Kollegen aus der Sparte T-Com in einen neu zu schaffendenden Bereich T-Service. Das bisherige Tarifgefüge bei der Telekom sei nicht "zeitgemäß" und nicht "marktgerecht".
"Zeitgemäß" und "marktgerecht" sind für die Telekom-Vorstände Jahresgehälter für sich selber von deutlich über einer Million Euro, dagegen Hungerlöhne von 5,11 Euro pro Stunde für Beschäftigte aus Call-Centern, wie sie jenen drohen, die kürzlich an die Walter- Telemedien-Gruppe verkauft wurden. Bei den Tarifverhandlungen am 22./23.März legte das Telekom-Management erst mal seine Forderungen auf den Tisch: Mindestens vier Stunden länger arbeiten, zum gleichen Lohn versteht sich, arbeiten rund um die Uhr von Montag bis einschließlich Samstag mit mehrfachem täglichen Arbeitsantritt, und Einführung einer zweiten Lohnebene — das sind nur einige der Unverschämtheiten.
Dem Telekom-Management geht es jedoch nicht allein um Lohndrückerei. Es geht um den Komplettumbau, oder besser gesagt die Zerschlagung des Konzerns. In der Wirtschaftswoche vom 5.3.07 war zu lesen: "Intern bereitet er [Obermann] bereits die komplette Zerschlagung der Festnetzsparte T-Com vor." Das Handelsblatt zitierte dazu einen Unternehmensberater: "Die Telekomkonzerne werden verstärkt dazu übergehen, ihre Kernprozesse auszulagern. Der schlichte Grund: Externe Leute sind oft billiger als die eigenen Leute."
Auch wenn das Management jetzt immer wieder lockt, mit der Einrichtung von Billiglohnbereichen würde letztendlich deren Verbleiben im Konzern gesichert, ist das Gegenteil der Fall. Das Beispiel VCS (Vivento Customer Services) zeigt wie es geht. Die Arbeitsplätze in dieser Organisationseinheit (sie ist Teil des konzerninternen Abschiebebahnhofes Vivento) weisen bereits jene Eigenschaften auf, die Obermann jetzt mit T-Service verallgemeinern will: ein abgesenktes Gehalt (91,25% im Vergleich zur DTAG), Siebentagewochen bei vollflexibilisiertem Personaleinsatz, und Verzicht auf eine Lohnerhöhung 2006. Dennoch verkaufte die Telekom Ende März die Beschäftigten von fünf VCS Call-Centern in einer Nacht- und Nebelaktion an die Bertelsmann Tochter Arvato. Den Kollegen vom Montageunternehmen VTS (Vivento Technical Service) steht das Gleiche bevor. Hier hat das Management allerdings noch keinen konkreten Käufer aus dem Sack gezaubert.

Kein Sanierungsfall

In der Großkunden- und IT-Sparte T-Systems mit rund 50000 Beschäftigten ist das Management schon einen Schritt weiter. T- Systems-Vorstand Lothar Pauli spricht seit dem 28.2.2007 offen aus, was er vorher noch immer dementieren ließ: Ja, man sei auf der Suche nach einem "starken Partner". Man will die "Partnersuche schnell angehen und strebt noch 2007 eine Einigung an" (Handelsblatt , 2.3.).
Bereits jetzt werden einige Teile von T-Systems, die als nicht profitabel gelten, wie der Desktop-Service oder der Bereich "Media Broadcast", ein Dienstleister für die Medienindustrie, herausgebrochen und externen Anbietern wie sauer Bier angepriesen. Auch hier lautet die Begründung: zu teuer. Die Beschäftigten sollen unter dem noch zu findenden neuen Firmenzeichen weiterhin ihren bisherigen Tätigkeiten nachgehen — aber eben zum Gehaltsniveau von "Turnschuhtruppen" und am besten noch zu Ex-und-hopp-Bedingungen wie sie im Einzelhandelsgewerbe jetzt schon gang und gebe sind. Im Fall des Desktop-Service wird einem potenziellen Käufer wie bei BenQ eine "Mitgift" angeboten; eine Rückkehroption soll es für die Kollegen nicht geben.
Entgegen allem nach außen erweckten Eindruck schreibt die Telekom keine roten Zahlen. Für 2007 rechnet sie laut Financial Times Deutschland vom 31.1.07 immerhin noch mit einem bereinigten Ergebnis von rund 19 Milliarden Euro vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen. Der Konzern verdient also nach wie vor gutes Geld. Für profitgierige Investoren besteht die "Katastrophe" darin, dass der Profit 0,7 bis 1,2 Milliarden niedriger liegen wird als im Vorjahr, während sie ihren weiteren Anstieg verlangen. Auch die viel gescholtene Festnetzsparte arbeitet nach wie vor profitabel.
Die Wirtschaftswoche (5.3.) drückt in diplomatischen Worten aus, worum es geht: "Gegen alle Widerstände will der Telekom-Chef das Vertrauen der Finanzmärkte zurückgewinnen." Was Investoren wie Blackstone verlangen ist klar: eine rasche Steigerung des Aktienkurses, damit sich ihr Engagement lohnt. Obermann will da zu Diensten sein. "Wir haben zur Zeit eine Kapitalverzinsung von unter 6%. Das ist auf lange Sicht nicht tragbar." (Obermann auf der Bilanzpressekonferenz am 1.3.)
Obermann weiß, dass es bei der gegenwärtigen Lage im Telekommunikationssektor keine Aussichten auf ein erneutes kometenhaftes Ansteigen der Aktienkurse wie vor der Jahrtausendwende gibt. Deshalb sollen die Investoren auf andere Weise bedient werden. Ganz oben auf Obermanns Prioritätenliste steht die "Aufrechterhaltung einer attraktiven Dividendenpolitik". Obermann will praktisch den kompletten Jahresgewinn von 3,165 Milliarden Euro an die Aktionäre ausschütten. Rücksichtslosigkeit gegenüber den Beschäftigten und Liebedienerei gegenüber Anlegern sind zwei Seiten derselben Medaille.
Mit der Abrissbirne rücken die Vorstände gegen das in weiten Teilen noch bestehende tarifliche Regelungswerk in einem der großen Dax-Konzerne vor. Kommen sie damit durch, droht Zehntausenden von Beschäftigten eine Zukunft entweder im Billiglohnsektor oder aber in der Arbeitslosigkeit. Da ist natürlich Ver.di als zuständige Gewerkschaft gefragt. Positiv zu vermerken ist: Im Gegensatz zu früheren Aktionen setzte die Gewerkschaft diesmal nicht darauf, dass die Regierungsvertreter im Aufsichtsrat sich auf die Seite der Beschäftigten schlagen und damit das Unheil abwenden.

Was tut Ver.di?

Auch der Ver.di-Spitze scheint mittlerweile klar geworden zu sein, dass die Regierungsvertreter eindeutig auf der Seite der Kapitaleigner stehen. Man scheint endlich erkannt zu haben, dass die Gewerkschaft hier nur auf die eigene Kraft bauen kann. "Konsens war gestern", rief Ver.di-Chef Bsirske den 13000 Demonstranten am 28.Februar zu. "Änderungen an den Plänen des Telekom- Vorstands sind nur durch Druck zu erreichen", stellte Lothar Schröder, der Vorsitzende des für die Telekom zuständigen Fachbereichs 9 fest. Ver.di werde nun die Gegenwehr organisieren, so Schröder weiter, und kündigte eine härtere Gangart an: "Wir werden alle Mittel der Tarifpolitik bemühen, um in diesem Konflikt weiterzukommen, und kein vernünftiger Tarifpolitiker schließt das Mittel des Streiks aus."
Ver.di werde nun für umfassende tarifliche Regelungen zum Schutz der Beschäftigten kämpfen. Dazu gehörten tarifvertragliche Regelungen zum Schutz bei Auslagerung, eine Volltarifierung der geplanten T-Service-Gesellschaften sowie ein beschäftigungspolitisches Stabilitätskonzept. Konkret gehe es um den Ausschluss von Entlassungen, Standortsicherheit, Erhalt bestehender Konditionen, Rücknahme und Ende der Personalabbaupläne sowie langfristige Sicherheit für die Zukunft.
Anfänglich hatte die Telekomspitze sogar die Aufnahme von Tarifverhandlungen abgelehnt. Inzwischen fand eine erste Verhandlungsrunde mit Ver.di über die geplante T-Service-Sparte statt. Eine Annäherung sei nicht in Sicht, stellte Ver.di-Verhandlungsführer Schröder fest. Beide Seiten seien noch meilenweit auseinander. Die Ausführungen der Arbeitgeberseite ließen jegliche "soziale Balance" vermissen. Nach wie vor werde an Arbeitszeitverlängerungen, Gehaltssenkungen und an Stellenabbauplänen festgehalten. Die Vorleistungen der Beschäftigten würden nicht gewürdigt, auch fehle es an Zukunftskonzepten und Serviceverbesserung. Viele Punkte seien zudem noch völlig "nebulös".
Inzwischen organisieren die Belegschaften landauf, landab Protestaktionen. Es zeigt sich, dass die Kampfbereitschaft dort groß ist, wo Ver.di aktiv mobilisiert. In Baden-Württemberg gab es im Anschluss an Betriebsversammlungen Protestkundgebungen in Filderstadt, Böblingen und Stuttgart. In Bayern, das im Ver.di-Fachbereich 9 eher als radikaler Landesbezirk gilt, gab es Protestkundgebungen in München, Nürnberg, Regensburg, Weiden, Würzburg, Augsburg, Kempten, Rosenheim, Traunstein und Bad Kissingen.
Aus Ingolstadt berichtet die UZ von einer für Telekom-Verhältnisse eher ungewöhnlichen Aktion während einer Betriebsversammlung: Als dort der Leiter der Niederlassung die Kolleginnen und Kollegen aufforderte, dem geplanten Lohnraub zuzustimmen, weil es für die notleidende Telekom angeblich keine andere Alternative gebe, ließen die Kollegen Seifenblasen aufsteigen. Das einsetzende Gelächter im Raum brachte den Leiter in Rage. Er beschimpfte die Kollegen und drohte mit Abbruch der Versammlung. Ein die Szene fotografierender Gewerkschaftssekretär wurde von breitschultrigen Sicherheitsleuten quer durchs Gebäude gejagt. Nach diesen tumultartigen Szenen kam die Versammlung nur sehr zögerlich in Gang. Auf die anwesenden Kollegen soll der komödienstadelreife Auftritt ihres Chefs inspirierend gewirkt haben.

"Wenn es sein muss, muss es sein"

Das Management trägt zur Eskalation bei. Der provisorische Telekom-Personalvorstand, Eick, erklärte in einer bisher für Telekomverhältnisse unüblichen hemdsärmeligen Art, man wolle es auf einen Streik ankommen lassen: "Selbstverständlich würden wir uns darüber nicht freuen. Wenn es aber sein muss, muss es sein." (Süddeutsche Zeitung vom 30.3.)
Es ist zu hoffen, dass Ver.di jetzt ähnlich verfährt und sich nicht wieder vorschnell auf einen faulen Kompromiss einlässt. Der Einsatz der geballten gewerkschaftlichen Kampfkraft ist lange überfällig. Denn der Ver.di-Vorstand hat lange gezögert, die im Oktober 2006 unter Kai-Uwe Ricke bekannt gewordenen Pläne zur Schaffung von T-Service von Anfang an mit betrieblichem Protest zu beantworten. Nach der Ersetzung Rickes durch René Obermann (Spitzname: "der Bulldozer") verplemperte der Vorstand viel Zeit mit einem "Kooperationsangebot" für eine gemeinsame "Serviceoffensive". Erst im Vorfeld der Aufsichtsratssitzung vom 28.Februar begann Ver.di mit der Mobilisierung der Belegschaft. Und hier sind die Ergebnisse besser, als Skeptiker befürchtet hatten. Wo Ver.di wirklich mobilisiert, ist die Kampfbereitschaft groß.
Parallel zu den Tarifverhandlungen am 11./12. April in Königswinter fanden erstmals ganztägige Warnstreiks statt. Unterbesetzte Call-Center, fehlende Auskunft, verzögerter Kundendienst: 8000 Beschäftigte lieferten der Telekom einen Vorgeschmack darauf, wie flächendeckende Proteste aussehen könnten. Lenke das Unternehmen nicht ein, wird ein namentlich nicht genannter Ver.di-Sprecher zitiert, werde die Gewerkschaft "die Zeichen ganz auf Streik" stellen.
Es ist nur zu hoffen, dass die Ver.di-Führung nicht wieder Angst vor der eigenen Courage bekommt. Auffällig ist jedenfalls, dass Ver.di-Verhandlungsführer Schröder, im Unterschied zu Ver.di- Sprechern aus verschiedenen Landesverbänden, nach den Tarifgesprächen vom 11. und 12.4. das Wort "Streik" nicht in den Mund nahm. Und wenn Telekom-Verhandlungsführer Eick unmittelbar vor der dritten Verhandlungsrunde erklärte, es gebe erste Signale von Seiten der Gewerkschaft, inhaltlich in die Verhandlungen über das von der Telekom vorgelegte Verhandlungspaket einsteigen zu wollen, ist das auch eher Anlass zur Sorge.
Es ist noch einiges an Druck von Unten auf die da Oben — nicht zuletzt auch innerhalb von Ver.di — nötig.

13.4.07


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