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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2007, Seite 13

Namibia

Die Landfrage steht im Mittelpunkt

Unterwegs mit der Namibian Farm Workers Union (NaFWU)

von Gabi Pehle

Gabi Pehle, Mitglied des Arbeitskreis Internationalismus der IG Metall Berlin, war im Februar dieses Jahr für vier Wochen in Namibia. In der folgenden Reportage gibt sie einen Einblick in die Arbeit einer jungen Gewerkschaftsorganisation für Landarbeiter, die NaFWU. Die Kontakte für diese Reise entstanden über eine Veranstaltung des AK Internationalismus, auf der Alfred Angula, Generalsekretär der NaFWU, am 6.September 2006 seine Gewerkschaft vorgestellt hatte. Der Kollege hatte in Berlin zusammen mit 16 weiteren Gewerkschaftern den Masterstudiengang Labour Policies and Globalisation der Global Labour University besucht.

Nach der Landung auf dem Hosea Kutako Airport führt uns der Weg direkt in die City von Windhoek. Die Stadt ist ein Konglomerat von Banken- und Verwaltungsgebäuden, großen Shopping-Malls und Bauten aus der deutschen Kolonialzeit. Nach Sonnenuntergang ist sie menschenleer. Die Weißen bleiben in ihren Wohngebieten, in denen sich die Pflanzen üppig über breite Grundstücksmauern oder durch doppelt gezogenen Stacheldraht winden. Die Schwarzen kehren nach der Arbeit auf den Ladeflächen von Lkws, mit Sammeltaxis oder zu Fuß ins 5—10 Kilometer entfernte Katutura zurück, ein Township aus der Zeit der südafrikanischen Besatzung.
Am Rande von Katutura, dort wo die Straßen noch Namen haben, befinden sich in der Mungunda Street die namibische Gewerkschaftszentrale (NUNW) und das Büro der Namibian Farm Workers Union (NaFWU). Die beiden Räume sind klein. Die technische Ausstattung besteht aus zwei älteren PCs, einem Telefon und einem Internetanschluss. Die Gewerkschaft wurde 1994 gegründet. Zu dem Zeitpunkt, als Alfred Angula die Leitung übernahm, war er der einzige im Büro. Jetzt arbeitet er dort mit zwei Kolleginnen und einem Kollegen. Jackie sprach er auf der Straße an und arbeitete sie ein. Nach fünf Jahren vertritt sie NaFWU bei Verhandlungen und Kontakten. Leslie verlor vor etwa vier Jahren wie alle anderen Arbeiter seinen Job auf einer Gästefarm. Als Hintergrund vermutet er die Gewerkschaftsmitgliedschaft. Seitdem arbeitet er (ich vermute unbezahlt) im Büro. Die vierte Kollegin ist Sonja.
Ich fahre mit Alfred Angula raus aus Windhoek. Der Weg führt uns durch Buschgelände zu zwei Hütten aus Hartfaserplatten, wo wir Sakie, einen jüngeren Farmarbeiter treffen. Er leitet uns zu einem offensichtlich neu angelegten Gebäudekomplex, aus dem er mit einem Mann und einer Frau zum Auto zurückkehrt. Es werden Formulare unterschrieben und weitere ausgeteilt, und die beiden geben Angula einen kleineren Geldbetrag. Sakie ist bereits seit einiger Zeit NaFWU-Mitglied und hat Arbeiter von einer benachbarten Gäste-Farm angeworben, die ihren Mitgliedsbeitrag bezahlen und mit den Antragsformularen weitere Kollegen für die Gewerkschaft anwerben wollen. Kontaktaufnahme zu potenziellen Mitgliedern ist wegen der großen Entfernungen zwischen den Farmen aufwendig und gänzlich unmöglich, wenn die Farmbesitzer Gewerkschaftsvertretern den Zutritt zu ihrem Grundbesitz verbieten.
NaFWU hat 3000 zahlende Mitglieder und rund 2000 weitere, von denen noch keine Beiträge eingegangen sind. Sie arbeiten und leben z.T. tausend Kilometer vom Büro in Windhoek entfernt auf abgelegenem privatem Farmgelände, abgeschnitten von jeder Form öffentlichen Lebens. Die Mitgliedsbeiträge erreichen das Büro, wenn jemand aus Windhoek zu Verhandlungen kommt oder wenn einer der Arbeiter in die Hauptstadt fährt und die eingesammelten Beiträge mitbringt. Im Idealfall gibt es ein Abkommen mit kooperativen Farmern, die das Geld an die Gewerkschaft weiterleiten.
Der vor einiger Zeit von NaFWU ausgehandelte Mindestlohn für Farmarbeiter beträgt monatlich 430 Namibische Dollar (das entspricht etwa 45 Euro), der tatsächliche Durchschnittslohn liegt bei 350 Namibischen Dollar (38 Euro). Ein großer Teil der Bevölkerung arbeitet im ländlichen Bereich und gehört auch 18 Jahre nach der Unabhängigkeit immer noch zur ärmsten und marginalisiertesten Gruppe, was sich auch im Budget der Gewerkschaft niederschlägt.
Auf der Rückfahrt nach Windhoek macht mich Angula auf eine improvisierte Unterkunft und ein paar darum grasende Kühe auf dem schmalen Streifen zwischen der Straße und dem angrenzenden Zaun aufmerksam. Hier lebt seit vier Jahren Asser Hendriks, ein Mitglied des NaFWU-Vorstands. Davor hat er lange Zeit auf dem hinter dem Zaun liegenden 8000 Hektar großen Gelände gewohnt und als eine Art Vorarbeiter für die politisch aufgeschlossenen und engagierten deutschen Erben der Farm gearbeitet. Vor einigen Jahren gab es Schwierigkeiten — ein neuer deutscher Miteigentümer veranlasste Umstrukturierungsmaßnahmen, die das bisherige Zusammenleben aus den Fugen brachten.
Die Mehrheit der Farmarbeiter lebt mit ihren Familien auf dem Grundbesitz ihrer Arbeitgeber, manche schon seit Generationen. In Ermangelung gesetzlicher Vorschriften hängt der Standard der Unterbringung vom guten Willen der Farmer ab und reicht von Steinhäuschen bis zu winzigen Blechverschlägen. In vielen Fällen ist den Arbeitern die Haltung von Vieh (Schafe, Ziegen, Hühner, manchmal Kühe) zur Selbstversorgung gestattet.
Die Kündigung des Arbeitsplatzes bedeutet meistens, dass der Arbeiter mit seiner Familie und seinem Vieh das Farmgelände innerhalb kurzer Zeit verlassen muss und buchstäblich auf der Straße landet. Während meines Besuchs im NAFWU-Büro bat ein Mann die Gewerkschaft um Unterstützung für seinen älteren Vater, der seit 30 Jahren auf derselben Farm gearbeitet hat. Nachdem der Farmbesitz an die Erben übergegangen war, teilte man ihm mit, dass er die Farm mitsamt seinen zwei Kühen innerhalb von vier Wochen zu verlassen habe.
Meatco ist ein riesiger Trust und seine Manager werben in Medienkampagnen mit der sozialverantwortlichen Konzernpolitik. Als ein Teil des Farmbesitzes verkauft wurde, handelte die Gewerkschaft mit ihnen aus, dass den gekündigten Arbeitern ein Stück Land aus anderen Teilen des Unternehmensbesitzes übertragen wurde, auf dem sie sich neu ansiedeln können. Als ich das Buschland 30 Kilometer von Okahandja entfernt sah, konnte ich mir schwer vorstellen, dass hier in einem Monat 40 Arbeiter mit ihren Familien leben sollen. Bislang gibt es die Umzäunung, eine Wasserleitung und ein gemauertes Gebäude, das einmal das soziale und kommerzielle Zentrum werden soll. Das Ganze könnte zu einem Modellprojekt werden. Es ist der erste Fall, wo die Arbeiter eigenes Land besitzen und sich mit Unterstützung der Gewerkschaft selbst verwalten. Geplant ist Subsistenzwirtschaft und der Anbau von Blumen und Gemüse, dessen Vermarktung zur Finanzierung der Genossenschaft dienen soll.
Danach fahre ich mit Angula, Leslie und Barth, dem Vertreter einer belgischen NGO, zu einem Gebiet mit mehreren riesigen Traubenplantagen an der Grenze zu Südafrika. Wir sind mit dem Manager einer der großen Farmen verabredet, einem jüngeren, freundlich-zurückhaltenden weißen Südafrikaner, gekleidet in der "weißen Nationaltracht" : kurze Hosen, blasse Beine, Herrensöckchen. Leslie erzählt mir, dass sie ihn bei ihrem letzten Besuch in ramponiertem und verstörtem Zustand vorfanden. Er hatte gerade eine Auseinandersetzung mit einigen Arbeitern hinter sich und empfing die Gewerkschafter wie seine Retter. NaFWU hat hier eine Organisationsquote von 100%. Der Umgangston ist entsprechend freundlich und konziliant. In der Region leben ständig 1000 Arbeiter. Ihre Zahl erhöht sich in der Erntezeit auf 15000.
Barth erkundigte sich nach der ärztlichen Versorgungssituation. Das nächste staatliche Krankenhaus liegt 300 km entfernt in Karasburg. Es habe einmal ein Projekt einer NGO gegeben, das Mitarbeiter in Erster Hilfe geschult habe. Und es gäbe eine sehr engagierte Ärztin, die die Arbeiter aufsuchen könnten. Sie müsse allerdings privat bezahlt werden, wobei es die Möglichkeit gäbe, die Rechnung im Firmenbüro einzureichen. Die Behandlungskosten werden allerdings nicht vom Arbeitgeber übernommen, sondern vom zukünftigen Lohn abgezogen.
NaFWU steht in Verbindung mit privaten Versicherungsgesellschaften, staatlichen Gesundheitsbehörden und NGOs, um ein Konzept für eine private Krankenversicherung zu entwickeln, das den Bedürfnissen und Möglichkeiten seiner Mitglieder angepasst ist und allen in den ländlichen Regionen Lebenden offen stehen soll. Es gibt auf all diesen riesigen Ländereien keine öffentlichen Infrastruktureinrichtungen wie Krankenhäuser, Schulen, öffentlichen Verkehr etc. Der Staat hat keinen Zugang zum Privatbesitz. Barths Frage, ob es irgendwelche Pläne von Seiten des Konzerns gäbe, die medizinische Versorgung zu verbessern, wurde von dem Manager freundlich verneint.
In Namibia gibt es eine gesetzliche Schulpflicht vom sechsten bis zum sechzehnten Lebensjahr. Die nächste weiterführende Schule liegt aber wie das Krankenhaus 300 Kilometer entfernt, und niemand hier kann die Unterbringung seiner Kinder dort bezahlen. Eine grundsätzliche Verbesserung der Existenzbedingungen im ländlichen Raum setzt die politische Lösung der "Landfrage" voraus. Seit der Unabhängigkeit 1989 steht die Durchführung einer Landreform auf der Tagesordnung der SWAPO-Regierung. Sie kommt nur langsam voran und stößt auf gesetzliche Grenzen.
Eine der Bedingungen bei den u.a. mit Unterstützung der UNO geführten Unabhängigkeitsverhandlungen war die verfassungsmäßige Garantie der privaten Besitzverhältnisse. So ist auch heute noch etwa die Hälfte des Landes in den Händen von etwa 4000 weißen Farmern. Diese Situation will die NaFWU nun mit Hilfe eines Verfassungsreferendums verändern.


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