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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2007, Seite 16

Ilisu-Staudammprojekt

Türkisches Großmachtstreben

Mit deutscher Hilfe: Massenvertreibungen, Umweltzerstörung, Repression



von Brigitte Kiechle

Ende März 2007 hat das Wirtschaftsministerium bekannt gegeben, man werde deutsche Unternehmen, die sich am Bau des Ilisu-Staudamms in Kurdistan-Türkei beteiligen, Hermes-Bürgschaften bewilligen. Die Bundesregierung unterstützt damit eines der umstrittensten Bauprojekte in der Türkei und wird mitverantwortlich für die in diesem Zusammenhang bereits jetzt absehbare Zunahme der Konflikte in den südöstlichen kurdischen Provinzen der Türkei wie in der Region insgesamt.
Durch den Ilisu-Staudamm wird u.a. die über 10000 Jahre alte, am Tigris gelegene Stadt Hasankeyf durch Überflutung zerstört. Die Stadt steht unter Denkmalschutz und wird zum Weltkulturerbe gezählt. In einer Pressemitteilung vom 27.3.2007 der "Initiative zur Rettung von Hasankeyf", in der 72 Organisationen aus den betroffenen Gebieten zusammenarbeiten, wurde die Bewilligung der Hermes-Bürgschaften eindeutig verurteilt und u.a. der BRD vorgeworfen sich an der "Vernichtung einzigartiger Dokumente der Geschichte und Kultur" in Kurdistan zu beteiligen und sich darüber hinaus an einem "gewaltigen ökologischen Desaster und der Vertreibung von mehr als 55000 Menschen" mitverantwortlich zu machen.
Das Ilisu-Staudammprojekt am Tigris ist nicht neu, sondern Teil des GAP- Projekts, das bereits 1984 von der türkischen Regierung in Angriff genommen wurde. Die Flüsse Euphrat und Tigris sollen an insgesamt 22 Dämmen aufgestaut und 19 Kraftwerke an den beiden Flüssen zur Stromerzeugung gebaut werden. Die meisten Staudämme sind bereits errichtet und waren mit der Zwangsumsiedelung Hunderttausender Menschen verbunden. Die versprochenen staatlichen Entschädigungen blieben aus oder waren völlig unzureichend. Ein Großteil der Vertriebenen lebt zwischenzeitlich in den Armutsvierteln von Batman und Diyarbak?r.
Von der betroffenen Bevölkerung wird das GAP-Projekt mehrheitlich als Ausdruck des türkischen Imperialismus in Kurdistan gewertet. Auf Kosten von Natur und Menschen in der Region werden gegen deren Willen mit Zwangsmitteln Großprojekte durchgesetzt, die den Großmachtinteressen der türkischen Militärs und der Regierung im Nahen Osten dienen und an denen lediglich türkische und ausländische Firmen verdienen. Von einem nachhaltigen wirtschaftlichen Aufschwung in den kurdischen Gebieten infolge der Staudammprojekte, wie von der türkischen Regierung immer wieder behauptet, kann jedenfalls keine Rede sein. Auch der Bau der Staudämme selbst änderte wenig an der hohen Arbeitslosigkeit und der Armutssituation in der Region.

Neuer Anlauf

Mit dem Bau des Ilisu-Staudamms als "Herzstück" des GAP-Projekts sollte bereits 2001/2002 begonnen werden. Damals scheiterte das Projekt jedoch an einer breiten internationalen Protestkampagne. Der öffentliche Druck vor allem wegen Umwelt- und Menschenrechtsbedenken führte zunächst zum Umdenken hinsichtlich der Kreditversicherungen. Die beteiligten ausländischen Firmen, die mit zusätzlichen Boykottaufrufen rechnen mussten, hatten außerdem Angst vor Umsatzrückgängen durch Imageverlust.
Die Türkei hielt gleichwohl an ihren Bauplänen fest. Nachdem sich die internationale Aufmerksamkeit etwas gelegt hatte, begann die türkische Regierung für das Ilisu-Staudammprojekt neue Vertragspartner zu suchen und mit einer gezielten Werbekampagne den Staudammbau erneut als Wirtschaftsförderung für die verarmten Gebiete Südostanatoliens zu verkaufen. Außerdem wird immer wieder betont, man werde alle international geforderten Standards für entsprechende Großprojekte einhalten.
Aktuell beteiligen sich vier türkische Unternehmen (u.a. federführend Nurol), vier Unternehmen aus der Schweiz (Alstom, Stucky, Colencio und Maggia), die Firma VA Tech aus Österreich und das Bauunternehmen Ed.Züblin AG aus der BRD. Die Schweiz, Österreich und die BRD haben zwischenzeitlich durch die Zusicherung von Kreditbürgschaften einen entscheidenden Schritt zur Realisierung des Ilisu-Staudammprojekts gemacht. Um die Profitinteressen deutscher Firmen abzusichern wurden ganz offensichtlich selbst verbindlich zu beachtende internationale Standards und EU- Richtlinien missachtet.
Für die Bevölkerung der betroffenen Region hat das Staudammprojekt nach wie vor nichts mit Modernisierung und Lebensverbesserung zu tun. 80% der Bevölkerung der betroffenen Region sind gegen das Projekt. Das eigene Land wird unwiederbringlich zerstört, das gesamte Ökosystem, mit unübersehbaren Auswirkungen für die, von der Landwirtschaft abhängigen Bevölkerung, verändert. Die Bevölkerung ist aber zu keinem Zeitpunkt entsprechend den internationalen Beteiligungsrichtlinien in die Projektplanungen einbezogen worden. Einbezogen wurden dagegen die örtlichen Militärgouverneure, die Statthalter der türkischen Regierung in der Region.
Die betroffene Bevölkerung kritisiert das Ilisu-Staudammprojekt auch als Fortsetzung der Dorfzerstörungen und ethnischen Säuberungen durch das Militär in den 90er Jahren. Die Region gilt nach wie vor als eine der Hochburgen der kurdischen Befreiungsbewegung und steht mit im Zentrum der insbesondere seit Beginn 2006 wieder verstärkt aufgebrochenen militärischen Auseinandersetzungen. Durch das Staudammprojekt wird es nicht nur zu neuen Massenvertreibungen kommen, es werden gleichzeitig die Rückkehr der vormals Vertriebenen und der Wiederaufbau der vom Militär zerstörten Dörfer verhindert. Die türkische Regierung nutzt das Staudammprojekt außerdem als Vorwand zur weiteren Militarisierung der Region. Allein zur Sicherung der Bauarbeiten sollen zusätzlich 5000 Soldaten in die Region verlegt werden
Der Bau des Ilisu-Staudamms wird zur Stromversorgung der Türkei nicht benötigt. Die bereits in Betrieb genommenen Wasserkraftwerke wurden bisher noch nicht annähernd ausgelastet. Allein durch die Modernisierung des völlig maroden Stromnetzes der Türkei könnte darüber hinaus die Gesamtleistung der mit dem Kraftwerk am Ilisu-Staudamm geplanten Stromleistung eingespart werden. Der Staudamm hat in erster Linie strategische und militärische Bedeutung. Durch ihn können die Nachbarstaaten Syrien und Irak mit dem Druckmittel des Wasserentzuges erpressbar gemacht werden. Das Staudammprojekt trägt so unmittelbar zur weiteren Destabilisierung bei und erhöht die Kriegsgefahr. Die kurdische Bevölkerung im Südosten der Türkei, wie auch in Syrien und dem Irak wird somit zusätzlich zum Dauerkonflikt mit der türkischen Armee zum Spielball der Machtinteressen der Türkei im Nahen Osten.

Widerstand

Mit der Bewilligung der Hermes-Bürgschaften nimmt die Bundesregierung die negativen Folgen des Großprojekts billigend in Kauf. Die türkische Regierung hatte damit gedroht, bei weiterem Hinauszögern der Hermes-Bewilligungen die europäischen Bauträger gegebenenfalls durch chinesische Unternehmen zu ersetzen. Die Firma Züblin agierte in der Auseinandersetzung mit dem üblichen Druckmittel der Gefährdung von Arbeitsplätzen. Gezielt wurden so erneut die Interessen der Beschäftigten am Erhalt ihres Arbeitsplatzes gegen die Interessen der Menschen in der betroffenen Region ausgespielt.
Weder von Seiten der Gewerkschaft noch der Betriebsräte wurde die Problematik thematisiert. Völlig außen vor blieb darüber hinaus die Tatsache, dass durch die vergebene Hermes- Bürgschaft nichts anderes geschieht als eine individuelle Profitabsicherung auf Kosten der Allgemeinheit. Konkret bedeutet dies eine Exportgarantie von 93,5 Millionen Euro für den Bau von drei Tunnel und Stollen, sowie eine Rückversicherung von rund 100 Millionen Euro für Zulieferungen an den österreichischen Baupartner.
Der Widerstand in der betroffenen Region gegen das Staudamm-Projekt wächst. Am 23.3.2007 fand in Hasankeyf eine internationale Protestaktion statt. In einem Aufruf wurde erneut zur internationalen Solidarität mit dem örtlichen Widerstand aufgefordert um das Staudammprojekt doch noch zu stoppen. Das Staudammprojekt abzulehnen ist für die Bevölkerung vor Ort mit massiver Repressionsandrohung verbundenen. So hat z.B. der Gouverneur der Provinz Mardin alle Staudammkritiker zu "Helfern von Terroristen" erklärt.
Die Führung der PKK-Guerilla hat bereits Ende 2006 angekündigt, dass die Baustelle ein Angriffsobjekt darstellt. Gesetzt wird jedoch auf die Stärkung aller Formen des zivilen Widerstands vor Ort.
"Unser Widerstand wird auf jeden Fall weitergehen. Die deutsche Regierung wird laufend mit diesem verantwortungslosen Beschluss (Bewilligung der Hermes-Bürgschaft) konfrontiert werden", so der Sprecher der "Initiative zur Rettung von Hasankeyf", Ercan Ayboga. "Wir wollen eine Entwicklung in unserer Region ohne kulturelle und ökologische Zerstörungen, eine Entwicklung, die den Menschen dient und sie nicht vertreibt. Wir wollen selbst über unsere Zukunft bestimmen!"
Auch in der BRD ist eine erneute Unterstützungskampagne für den Widerstand gegen das Projekt angelaufen. Am 2.2.2007 fand in Berlin eine erste Demonstration statt. Sie stand unter dem Motto: "Wir sagen Nein! Kein Geld für die Vertreibung und Zerstörung von Menschen und Natur. Rettet Hasankeyf!" Seit Monaten werden darüber hinaus Unterschriftenaktionen durchgeführt.
Der Protest muss dringend ausgeweitet und hier in der BRD auf die Rücknahme des Bewilligungsbeschlusses zur Hermes-Bürgschaft zugespitzt werden. Die Politik der Bundesregierung am Beispiel des Ilisu-Staudamms macht ganz praktisch deutlich, was es bedeutet, wenn wir in der Mobilisierung gegen den G8-Gipfel anprangern, dass die selbsternannten Herrscher der Welt wieder die nächsten Kriege planen, ihre Beschlüsse die nächsten Umweltkatastrophen und die zunehmende soziale Verelendung für viele Menschen weltweit bedeuten.
"Kein Geld für den Ilisu-Staudamm — Rücknahme der Hermes-Bürgschaft", muss deshalb auch eine Forderung im Rahmen der Mobilisierung gegen den G8-Gipfel werden.


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