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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2007, Seite 20

Rolf Hochhuth, Juristen.

Drei Akte für sieben Spieler, Hamburg 1979, S.66ff.

"Vater Heilmayer" hat die anzielende Zähigkeit des Akademikers der ersten Generation: noch sein Vater war kleinbäuerlich armseliger Herkunft, brachte es aber erstaunlicherweise zu einem mittleren Bankbeamten; dass folglich sein Sohn bestrebt war, ins vornehmste Offizierskorps der Nation einzutreten, also ins Potsdamer Infanterieregiment zu Fuß Nr.9 ("Graf 9" genannt wegen dessen fast ausschließlich adligen Offizieren), verstand sich für Heilmayer so lange von selbst, bis seine instinktsichere Klugheit den Nebel seiner — mit allen Schulkameraden geteilten — Begeisterung für das Dritte Reich durchdrang und ihn warnte, sich freiwillig ausgerechnet zu einem Elite-Regiment der Infanterie zu melden, das dann auch ein Jahr nach Hitlers Überfall auf Russland schon nahezu ausgerottet war.
So drängte Heilmayer mit Hilfe ärztlicher Atteste zunächst zur Justiz und war immer nur zu vorübergehenden Übungen beim Militär, bis er sich über das Jahr 1943 hinaus dann doch nicht länger daheim halten konnte, während fast alle seine Mitabiturienten schon gefallen waren; sechs überlebten den Krieg, den "natürlich" Heilmayer ohne Streifschuss "überstand". Zog er es doch vor, als Soldat so rasch wie möglich Feldrichter zu werden und lieber Soldaten und Offiziere zu verfolgen, oft genug auch hinzurichten, die nicht kampflustig waren, statt selber so dumm zu sein, einmal mitzukämpfen...
So ist Heilmayer sogar nach der Terminologie derer, für die er im Krieg "Recht" sprach, indem er Deutsche verfolgte, die nicht für den Installateur von Auschwitz so lange wie möglich "die Front hielte", ein "Schwein", eben deshalb, weil er viel zu pfiffig war, selber zu tun, was er von Jahrgängen, die dann als Angeklagte vor ihm standen, mit dem ganzen Ernst des Hinrichters verlangt hat... Man kann ihn einen intellektuellen Schweijk nennen, vorausgesetzt, dass man nicht die hirnlose Begeisterung für diese Appeasement- und Anpasserseele teilt... Schweijkisch-schweinisch ist auch, wie Heilmayer es verstanden hat, nach Hitlers Tod sein "antifaschistische" Widerstandstätigkeit dadurch zu "dokumentieren", dass er sie unter Eid vor Gerichten sich bestätigen ließ, ausgerechnet von Komplicen, die gemeinsam mit ihm für Hitler Todesurteile beantragt und gesprochen und vollstreckt hatten. Dass es überhaupt möglich war, Deutsche, die deutsche Soldaten umgebracht hatten, als in der Bundesrepublik höchstbestallte Richter und Staatsanwälte für sich in den Zeugenstand treten zu lassen, geht zurück auf das totale Desinteresse der Allliierten an solchen Kriegsverbrechen, die von Deutschen "nur" an Deutschen verübt worden waren...
Dieses Desinteresse wirkt weiter und hat zum Beispiel dazu geführt, dass noch 30 Jahre nach Hitlers Tod kein Mensch — er wäre denn selber für Hitler Militärjurist gewesen — je ein Buch über jene Menschengruppe verfasst hat, die ohne Übertreibung als die furchtbarsten Militärjuristen der gesamten Weltgeschichte bezeichnet werden müssen, weil sie etwa 30000 eigene Soldaten in den Tod schickten, davon 16000 durch Hinrichtungen, die teilweise noch mit dem Handbeil vollzogen wurden, so in Dresden, so in Konstanz; die anderen durch Abkommandierungen in Strafkompanien oder indem man Soldaten, die straffällig geworden waren [...] einen Urias-Brief an die Front mitgab, der die zwei Buchstaben: "R.U." enthielt; das hieß: "Rückkehr unerwünscht"...


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