SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2007, Seite 24

Staatsfixierte Unterwerfungsästhetik

Zur Berliner Ausstellung "Kunst und Propaganda im Streit der Nationen 1930—1945"

von Archibald Kuhnke

Das Deutsche Historische Museum Berlin hat drei Monate lang in einer Ausstellung staatsintendierte Malerei, Plastik, Fotografie, Filmarbeiten, Architektur und Städtebau NS-Deutschlands, des faschistischen Italien, der stalinistischen Sowjetunion und der USA der New-Deal-Periode einander gegenübergestellt. Bis zum 29.April ist die Ausstellung noch zu sehen.
Die Kulturwerke aus diesen Ländern jener Zeit zeigen in vielerlei Beziehung thematische oder stilistische, formale oder ideelle Übereinstimmungen, die sowohl Gegner totalitaristischer Geschichtsdeutungen als auch Vertreter einer strikten Widersetzung von diktatorischen und demokratischen Gesellschaften ratlos bis rasend zurücklassen.
Die Ausstellung ist ein verdienstvolles Anliegen, doch muss man problematisieren, dass die Auswahl der Werke nicht besonders mühevoll getroffen wurde, sondern wohl Exponate genommen wurden, die einfach habhaft zu machen waren, etwa weil sie im eigenen Hause magaziniert waren. Zu fast allen gezeigten Exponaten hätte es typischere, deutlichere, das Wesen des politisch-ästhetischen Anliegens besser darstellende Beispiele gegeben.
Schwerer wiegt jedoch ein zweiter Fehler: Die Ausstellung "Kunst und Propaganda" ist offensichtlich rein politisch kuratiert; der Besucher erfährt nicht, aus welchen ästhetischen Bewegungen die Künstler kommen, und erst recht nicht, welche bis heute wirkenden ästhetisch-politischen Wirkungen sie und ihre Werke noch entfalteten. Arno Breker lässt aus Schwerin nicht grüssen.
Doch die Ausstellung leistet sehr wohl, dass sie auch bei oberflächlicher Durchsicht deutliche Unterschiede der ästhetischen wie auch sozialen Schwerpunkte in den gegenübergestellten Ländern aufzeigt: bspw. die deutsche Harmoniefamilie mit häuslichen Müttern, die sowjetische Frau, die in Technikbeherrschung und gesellschaftlicher Position den gezeigten Männern in nichts nachstehen soll, die soziale Klassendifferenzierung in den USA und die Begeisterung für Kriegstechnik und Moderne der italienischen Futuristen.

Gemeinsamkeiten in Sujets und Formensprache

Es wird jedoch keine Hypothese angeboten, warum es in diesen unterschiedlichen Gesellschaften so sehr Ähnliches an Sujets und Formensprache gibt. Großstädte, die axial-symmetrisch angelegt werden, Wasserkraftwerke, deren betonierte Gesichter ein gleiches kraftvolles bis brutales Design besitzen, eine Militärpropaganda, die völlig austauschbar erscheint, eine Verachtung der individuellen Entfaltung zugunsten eines staatsfixierten Unterwerfungsideals unter eine jeweils behauptete Kollektivität — all das finden wir in allen vier Ländern staatlich gefördert. Aber warum?
Zusammenhänge in den 30er und 40er Jahren des 20.Jahrhunderts zu finden, sollte für Leute vom Fach doch nicht so schwer sein. Allerdings müsste man dann auch auf Fragen des Zustands von Klassengesellschaften zu sprechen kommen, von Gesellschaften, die in extremer Konkurrenz zueinander stehen und die dennoch gemeinsam Warengesellschaften mit Lohnarbeitsverhältnissen sind, geprägt vom Wertgesetz. Zudem müsste man sich mit der Produktivkraftentwicklung und ihren jeweiligen Folgen befassen. Dies wäre allerdings für bürgerliche und zudem offenbar noch positivistisch orientierte Historiker etwas zu viel verlangt.
Dass die italienischen Futuristen bereits 1909 in ihrem Manifest eine chauvinistische Verehrung des Krieges verkündeten und sich lange nach entsprechenden Politikern umsehen mussten und nicht wenige italienische Futuristen durch ihre Liebe zu brutalstem Kampf an vorderster Front im Ersten Weltkrieg ihr Leben verloren, dass die gezeigte sowjetische Kunst auf den Gräbern der russischen Avantgarde steht, dass Hitler eine dem expressionistischen Habitus entlehnte Körpersprache nutzt, dass die Harmonie volkstümlich gemalter US-Arbeiter wenige Jahre später zu deren völliger Negation im sog. "Abstrakten Expressionismus" führte und dass der Blut-und-Boden-Realismus zu einer existenziellen Schlacht gegen jeden realistischen Künstler nach 1945 in Westdeutschland genutzt wurde — alle diese wichtigen historischen und kunsthistorischen Bezüge und Folgen werden dem Museumsbesucher vorenthalten.
Warum sich alle vier Staaten in überdimensionierten Werke engagieren, warum gerade Autos und Flugzeuge zu geliebten Wesen der Volksmassen verklärt werden, warum in Bildern aller vier Ländern immer wieder Wiederholungen, Parallelität und Reihungen gleicher Figuren gemalt und gestaltet werden, alle vier Länderführer sehr ähnliche und geschönte Führerbilder von sich anfertigen ließen, warum überall die Selbstverpflichtung eine große Rolle spielt, die Monumentalität ein roter Faden ist, Arbeit und Sport bei allen vier gleiche Priorität einnimmt, das wird in einer ansonsten mit didaktischen Tafeln nicht sparsamen Ausstellung verschwiegen.
Geradezu skandalös ist es, wenn zwar die Verschmelzung von FIAT und dem faschistischen Regime belegt wird, die tragende Rolle von Daimler-Benz für die Finanzierung der Nazi-Partei bei der Machteroberung und bis über deren letzte Tage hinaus aber doch lieber vergessen wird; zu viel Kritik an den eigenen Eliten ist nun auch wieder nicht gewollt.

Herrschaft und Kunst

Wer die architektonischen Grausamkeiten Nazideutschlands und der Sowjetunion der 30er und 40er Jahre mit hysterischem Aufschrei zur Kenntnis nahm, dem konnte man zu dessen Verblüffung schon immer die Details der New Yorker Wolkenkratzer vorführen, die an Machtwillen und Gewaltsymbolik den beanstandeten Gebäuden in nichts nachstanden. Es wäre die große Chance dieser Ausstellung gewesen zu zeigen, dass nach dem ersten Fünftel des 20.Jahrhunderts eine Situation entstanden war, die die politischen Eliten zwang, zur eigenen Legitimation die Arbeitermassen als Unterstützer zu benutzen, einen aggressiven Patriotismus zu pflegen, die moderne Technik hoch zu loben, besonders wenn sie Vernichtungspotenziale barg, ein Idealbild für gefährliche Klassen und Gruppen, etwa Frauen, zu propagieren und sich auf machtbewusste historische Vorfahren auch stilistisch zu beziehen. Schließlich wurde Kunst seit Jahrtausenden dazu in Auftrag gegeben. Wie die ausgemalten und bildbehängten Kirchen zeigen, muss Gebrauchs- und Auftragskunst keineswegs zu jener Minderqualität führen, wie sie uns in dieser Ausstellung nur zu oft geboten wird. Auch das ist ein gemiedenes Thema.
Es werden, was Deutschland, Italien und die Sowjetunion betrifft, keine Beispiele von oberflächlich angepasster Kunst mit jener hinterhältigen Subversionsabsicht von Künstlern dargeboten, obwohl es durchaus schöne Beispiele dafür gibt. Diese Variante wird unverständlicherweise nur aus den USA zur Kenntnis gebracht.
Ein besonders interessantes und pikantes aber auch für Deutschland aktuelles Thema in Fortschreibung der dargestellten Thematik wäre der in Großbritannien vor einigen Jahren nachvollziehbare Vorwurf eines neu aufkommenden "Kunststalinismus" im Zusammenhang mit der "Sozialpolitik" der Blair-Regierung gewesen: Die Budgets der Sozialarbeiter wurden dort immer weiter heruntergefahren und — parallel dazu — enorme Summen zusätzlich transferiert für Künstler, die in den zur Verelendung vorgesehenen Gebieten Kunstaktivitäten mit jungen Arbeitslosen unternehmen sollten. Es gab eine Diskussion darüber bis in die deutsche Kunstzeitschrift Texte zu Kunst, dass sich auf diese Weise eine Generation von Künstlern an den Staat verkaufen solle: jederzeit mit Projektsperre und Kündigung disziplinabel, aber prima für die Verführung zu einer braven staatstragenden subventionierten und seine Meister ernährenden Kunst.
Das Thema "Herrschaft und Kunst" ist Jahrtausende alt. Die verschiedenen Grade von Autoritarismus und Demokratieentfaltung, kollektiven Zwängen und autonomer Individualisierung bzw. deren Amalgamierung haben in gleichen Epochen schon öfter ähnliche Phänomene in Kultur, Religion, Wissenschaft und gesellschaftlicher Organisation sowie im Widerstand gegen sie hervorgerufen. Insofern ist die Ausstellung ein guter Anstoß, diese Problematik in Zukunft endlich mit mehr Tiefgang und auch mit Vorgeschichte und Gegenwartsbezug, zu behandeln.


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