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Beginnen wollen wir mit einer Danksagung. Die 42% Nichtwählerinnen und
Nichtwähler bei der Wahl in Bremen konnten auch diesmal mit weitem Vorsprung die relative Mehrheit
erringen. Ihr Verhalten mag erklärbar sein, politisch dumm ist es trotzdem, weil jede der unterlegenen
Nichtmehrheiten von dieser stimmlosen Masse beliebig Gebrauch machen kann und wird. Aber einem
Nichtwähler oder einer Nichtwählerin gebührt besondere Anerkennung. Nämlich der nicht
eingegangenen 2217.Stimme für die wild gewordenen Kleinbürger mit dem programmatischen Namen
"Bürger in Wut". Diese rechte Sekte scheiterte mit ihrem Wahlkampf gegen Konsumwahn und
Spaßgesellschaft, gegen Islamterror und für den Kinderknast wegen genau einer einzigen fehlenden
Stimme an der 5%-Klausel in Bremerhaven. Das Leben kann auch gerecht sein.
Dass die Parteien der großen Koalition
in Bremen heftige Verluste hinnehmen mussten, wundert niemanden, schon gar nicht sie selbst. Im Zwiespalt
des öffentlich bejubelten "Aufschwungs" und der Erkenntnis bei gut zwei Dritteln der
Bevölkerung, dass der offensichtlich an ihnen vorbeigegangen oder noch nicht angekommen ist,
hätte selbst ein Duett aus Heinz Rühmann und dem legendären Eduard Marks das Märchen
vom Neoliberalismus als Win-Win-Glücksgeschichte für alle nicht glaubhaft vortragen können.
Dank also auch all denen, die ihre Stimme nicht der Großen Koalition gegeben haben. Dass in Bremen-
Ostertor und -Steintor besonders viele Toren leben, ist seit den Zeiten des grünen kalten Kriegers
Olaf Dinné wohl bekannt, aber die 45000 Stimmen für die heißen Krieger der Grünen von
heute wundern von allen Wahlergebnissen am meisten.
And the winner is The LINKE
so tönt es seit einer Woche aus allen Medien. Und die selbsternannten Obermänner aus Linkspartei
und WASG können von diesen Sonnenstrahlen gar nicht genug bekommen. Wer sich wie heute in der
oberflächlichen, auf Effekte zielenden Mainstreamkultur der neuen Linken weit verbreitet mit
Prozentzahlen berauschen will, der kann das mit den 8,4% immerhin doppelt so viel wie die
sorgfältig unter die 5%-Mauer gedeckelten Vorwahlumfragen der Demoskopen ergaben natürlich
prächtig machen. Aber ein Blick auf die absoluten Zahlen (23100) lässt erkennen, dass Die Linke
ein Viertel der Wähler, die noch bei der Bundestagswahl mobilisierbar waren, schon wieder verloren
hat. Auch der schwache Rückhalt bei den Erst- und Jungwählern ist für ein Parteiprojekt, das
vier Wochen vor der glorreichen Gründung steht, eher alarmierend schlecht als Grund zum Jubeln.
Die Bremer Jungs und Mädels der Linken
waren sicher keine "Berliner". Dafür sei auch ihnen gedankt. Ihr in Wort und Geste
deutlicher Oppositionswahlkampf tat gut und tut dem neuen Wahlprojekt gut. Sie mussten sich dafür
gegen die buchstäblich haarsträubenden Versuche der Mehrheitsströmung in der
Bundesführung der Linkspartei und WASG durchsetzen, denen das gewünschte Personal in Bremen
für ihr Ansinnen, bei den Herrschenden akzeptiert zu werden, zu schmuddelkindhaft und langbärtig
war. Noch heute beleidigt der sich selbst als "das bekannteste Gesicht der WASG" bezeichnende
Klaus Ernst die Bremer, wenn er behauptet mit Leuten seines Schlages als Spitzenkandidat wären
"glatt 1516%" zu holen gewesen. Wer die Kommentare der bürgerlichen Gazetten nach der
Wahl liest, wird nachdenklich registrieren, dass offensichtlich niemand vor der Linken Angst hat,
außer der SPD, die mal wieder einen "außerhalb angesiedelten linken Flügel"
verkraften muss, der zu einer Neuverteilung des Wählerkuchens führt. Damit die Linke aber von den
herrschenden Kräften in dieser Gesellschaft wirklich gefürchtet und von den Verlierern der
herrschenden Politik als Hoffnungsträger angenommen wird, muss allerdings noch ein kleiner
Radikalisierungsschub her. Der Erfolg von Karl Marx aus Bremen könnte dafür noch nützlich
sein.
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Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität |