SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2007, Seite 04

Metalltarifrunde 2006

Braver Ruckzuck-Abschluss

von UDO BONN

Letzte Woche erzählte mir ein alter Metaller, jetzt Rentner, aber jahrelang Betriebsratsvorsitzender und immer dabei, wenn es ans Kämpfen ging, sein Herz schlüge immer noch schneller, wenn er an die IG Metall und ihre Mobilisierungskraft denke, so auch bei dieser Tarifrunde.
Dem Kollegen ist voll und ganz zuzustimmen: Während bspw. im nordrhein-westfälischen Großhandel der Manteltarifvertrag seit etwa zwei Jahren gekündigt ist und Ver.di sich in der laufenden Tarifrunde schwer tut, seine Wiederingangsetzung mit der Auseinandersetzung um die Löhne und Gehälter zu verbinden, ist es der IG Metall in NRW mit einer eintägigen breiten Mobilisierung der Beschäftigten im Kfz-Handwerk gelungen, die Arbeitgeber zu zwingen, die Gewerkschaft auch weiterhin als Verhandlungspartner zu akzeptieren.
Und wo gelingt es schon in Europa, in einer Tarifrunde im Industriebereich nahezu gleichzeitig 475000 Menschen für Warnstreiks zu mobilisieren?
In diesem Jahr waren viele dabei, die nicht Mitglied der IG Metall sind. Und die Kolleginnen und Kollegen waren auch mehr für nach außen sichtbare Aktionen wie Kundgebungen und Demonstrationen zu haben und weniger für verlängerte Pausen oder vorzeitige Beendigungen der Arbeitszeit.
Die Mobilisierungsbereitschaft war da und die Befürchtungen in manchem Ortsvorstand und mancher Bezirksleitung, die positive öffentliche Resonanz auf die Forderung von 6,5%, das zustimmende Gegrummel der Politik und die relativ zurückhaltende Agitation von Gesamtmetall könnten dazu führen, dass die Beschäftigten die Tarifrunde für einen Selbstläufer hielten, bestätigten sich nicht. Zu sehr hat sich in den letzten Jahren festgesetzt, dass ohne eigene Aktivität nichts zu erreichen bzw. Schlimmes nicht zu verhindern ist. Aber auch die Gegenforderung von Gesamtmetall, das Weihnachtsgeld entsprechend der Betriebsergebnis zu flexibilisieren, führte zu einem Mobilisierungsschub.
Mit dem Auslaufen der Friedenspflicht am 28.April begannen die Warnstreiks, am 3.Mai wurde das Ergebnis bekannt gegeben: 400 Euro für die Monate April bis Mai, ab Juni 2007 4,1% Tariferhöhung für 12 Monate, ab Juni 2008 nochmal 1,7% und bis zum Auslaufen des Tarifvertrags Ende Oktober 2008 eine Einmalzahlung von knapp 4%. Die zweite Tariferhöhung wie auch die Einmalzahlung können, wenn Betriebsräte dem zustimmen, verschoben werden; allerdings muss die Tariferhöhung gezahlt werden, die Einmalzahlung nicht, sie ist vom Betriebsergebnis abhängig.
Sowohl die Einmalzahlung von 400 Euro wie auch die Tariferhöhung entsprachen den Erwartungen der Beschäftigten. In vielen Betrieben wäre, gemessen an den Gewinnen, mehr drin gewesen, aber der allgemeine Erwartungshorizont bewegte sich bei einer 4 vor dem Komma. Dies spiegelt sowohl den Stand des Bewusstseins in den Betrieben wieder, wie auch das Denken in den Tarifkommissionen und den Gewerkschaftsvorständen: Kriterium für den Abschluss sind gesamtwirtschaftlich gestiegene Produktivität und Ausgleich für die Inflation. Die Forderung nach einer sog. Umverteilungskomponente spielt praktisch nur noch beim Aufstellen der Forderung eine Rolle, beim Ergebnis seit Jahren nicht mehr. Hier setzt sich die Standortlogik fort.
Entgegen ihrer Zielsetzung, nur einen Abschluss für 12 Monate durchzusetzen, lies sich die IG Metall auf eine 19-monatige Laufzeit ein, mit einem geringen Anstieg für die fünf Monate 2008. Auch in Bezug auf die nach wie vor in der IG Metall umstrittene ergebnisabhängige Komponente (die 0,7%) blieb der Abschluss hinter dem Ergebnis von 2006 zurück: Nach dem Tarifvertrag 2006 konnte ein Betriebsrat je nach Gewinnlage eine höhere oder niedrigere oder gar keine Einmalzahlung vereinbaren, nach dem neuen Tarifvertrag gibt es nur die Variante nach unten.
Bestandteil des Tarifvertrags ist eine Übereinkunft für Gespräche über den vorzeitigen Ausstieg aus dem Erwerbsleben für ältere Beschäftigte, die ab 2010 keinen Zugang mehr zur Altersteilzeit haben, weil ab dann die staatlichen Zuschüsse als Aufstockungsbeiträge nicht mehr gezahlt werden. Die baden- württembergischen Verhandlungsführer von Gesamtmetall dämpften aber sogleich all zu große Hoffnungen: Die Altersstruktur würde zwar Maßnahmen erforderlich machen, aus ordnungspolitischen Gründen halte man aber ein Wiederaufleben der Altersteilzeit für falsch.
So spiegelt die Abstimmung in den Großen Tarifkommissionen das betriebliche Stimmungsbild zwar wider, doch die IG Metall hat mit dem Abschluss ihr Handlungspotenzial nicht ausgeschöpft; mit einer neuen Welle von Warnstreiks wären ein höheres Ergebnis, eine kürzere Laufzeit und ein Wegdrängen von ertragsabhängigen Einmalzahlungen möglich gewesen. Nicht weil Gesamtmetall dazu bereit gewesen wäre, sondern weil in der jetzigen Hochkonjunktur, vor allem im Maschinenbau, jede ausgefallene Arbeitsstunde weh tut.
In dem Planspiel, das Gesamtmetall zu Beginn des Jahres mit Journalisten veranstaltet hatte, um den komplizierten Prozess einer Tarifrunde nachzuahmen und die Vertreter der öffentlichen Meinungsmache natürlich auch für sich einzunehmen, gab es ein simuliertes Ergebnis: 4,1%, längere Laufzeit und ergebnisabhängige Komponente. Holt sich die IG Metall nur noch das, was die Unternehmer zu geben bereit sind?


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