SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2007, Seite 08

Streik gegen T-Service

Jetzt noch einige Schippen zulegen!

von Franz Mayer

Der Streik der T-Com-Beschäftigten gegen die Ausgliederung von 50000 Beschäftigten, Arbeitszeitverlängerung und Lohnkürzung ging bei Redaktionsschluss in die zweite Woche. 15000 Beschäftigte waren beteiligt mit Schwerpnkten in Bayern, NRW, Berlin und Brandenburg. Der Autor diskutiert Stärken und Schwächen der Streiktaktik von Ver.di.
"Erstmals seit ihrer Privatisierung vor 12 Jahren steht der bedeutendsten europäischen Telefongesellschaft ein Streik bevor, der nicht von Pappe ist." Da hat der Spiegel nicht unrecht. Man darf getrost davon ausgehen, dass Obermann & Co in diesem Streik voll auf Konfrontation setzen werden. Fairplay ist für die Ritter des Shareholder Value ein Fremdwort.
Viele Anzeichen deuten darauf hin, dass mit einer weiteren Verschärfung der Auseinandersetzung zu rechnen ist — zumal Obermann seine persönliche Karriere mit dem Ausgang des Streiks verknüpft hat. Schon fast Standard sind die derzeit von Obermann gezielt gestreuten Schreckensmeldungen, wonach das Unternehmen alsbald in ausländische Hände fallen wird, wenn er mit seinem Horrorkatalog nicht durchkommt.
Ver.di und die T-Com-Beschäftigten haben allen Grund, Obermanns Aussage ernstzunehmen: "Wir haben uns so gut wie möglich auf den Streik vorbereitet und werden alles dafür tun, dass unsere Kunden wenig davon merken." Schon jetzt klagt Ver.di über Schikanen, mit denen die Telekom die Streikenden unter Druck zu setzen versucht. "Es wird sogar mit Kündigung gedroht", sagte Streikleiter Ado Wilhelm der Bild am Sonntag. "Teilweise werden Diensthandys eingesammelt und die SMS kontrolliert, um nachzugucken, wie wir uns organisieren."
Wer nicht am Streik teilnimmt, soll vom Unternehmen einen Judaslohn von 300 Euro bekommen. In der Financial Times Deutschland vom 10.Mai wurde schon einmal eine Variante lanciert, wie man Ver.di überrumpeln könnte: Man könnte die Beschäftigten der Call-Center aus der Festnetzsparte T-Com herausnehmen und zur Mobilfunktochter T- Mobile verschieben. Dort liegt das Einkommensniveau deutlich unter dem von T-Com, und bei einer Verschiebung würde nach dem Betriebsübergang sofort der schlechtere T-Mobile-Tarifvertrag wirksam.
Das Kapitallager ist insgesamt zuversichtlich, dass das Management in der Auseinandersetzung letztendlich die Oberhand behalten wird. Großkunden erwarten keine besonderen Beeinträchtigungen durch den Streik, und die Börse reagierte auf das Ergebnis der Urabstimmung ausgesprochen gelassen.

Was ist mit den Beamten?

Tatsächlich wird es Ver.di einiges abverlangen, ein zu allem entschlossenes Management zum Einlenken zu zwingen. Leider werden die ersten Ankündigungen Ver.dis dem Ernst der Lage nicht gerecht. Manchmal bekommt man den Eindruck, als zögere die Ver.di-Spitze, die Konfrontation anzunehmen. Wenn Ver.di-Verhandlungsführer Lothar Schröder unmittelbar nach der Urabstimmung sagt, es habe schon Fälle gegeben, wo ein Unternehmen sofort nach der Ankündigung eines Streiks eingelenkt habe, ist das schlicht weltfremd. Ziemlich nichtssagend ist auch die Ver.di-Aussage, man wolle nicht die Privatkunden und auch nicht die Großkunden, sondern lediglich das Unternehmen Telekom treffen. Wie soll das bei einem Dienstleistungsunternehmen gehen, wenn nicht durch Maßnahmen, die die Kunden in irgendeiner Form treffen?
Gewiss gibt es einige besonders sensible Bereiche in der Telekom, wo relativ kleine Beschäftigtengruppen maximale Wirkung entfalten können. Das ist sicherlich wichtig, aber eine Strategie der kleinen Nadelstiche allein wird nicht ausreichen, um hinreichenden ökonomischen Druck auszuüben. In Bereichen wie den Call-Centern entfaltet sich die Wirkung erst, wenn längere Zeit bundesweit ein Vollstreik stattfindet. Wer aus Bad Tölz wegen einer Reklamation bei der Telekom anruft, kann dank der ACD-Anlage durchaus bei einer Telekom-Mitarbeiterin in Ostfriesland landen. Damit der Streik hier richtig spürbar wird, reicht es nicht, diesen Bereich lediglich ein oder zwei Tage zu bestreiken.
Ein weiteres Problem hat sich in den Warnstreiks gezeigt. In den Call-Centern ist die Mobilisierung schwieriger als im technischen Service. Zum einen ist dort das Regiment der Vorgesetzten schon fast totalitär und das Selbstbewusstsein der Beschäftigten geringer als im technischen Service. Erschwerend kommt hinzu, dass hier der Anteil der Beamten sehr hoch ist. Wenn Ver.di hier wirklich Druck ausüben will, muss die Gewerkschaft an das Thema "Beamtenstreik" ran. Ähnlich stellt sich die Lage bei jenen Teilen des technischen Kundenservice dar, die die Datenleitungen einrichten bzw. entstören. Auch hier entfaltet der Streik erst bei längeren Arbeitsniederlegungen seine Wirkung und der Anteil der Beamten ist nicht unbedeutend.
Am besten sieht es im klassischen Arbeiterbereich aus, bei den Technikern, die zum Kunden vor Ort gehen, oder jenen, die eine Kabelstörung beheben sollen — hier ist noch am ehesten ein lokaler Bezug gegeben. Und wenn die Disponenten mitziehen, kann hier auch ein Einsatz von Streikbrechern oder Leiharbeiterfirmen unwirksam gemacht werden.
Grundsätzlich stellt sich in einem Streik bei der Telekom noch ein Problem, das es bei klassischen Industriebetrieben in der Regel nicht gibt. In den Bürokomplexen der Telekom-Niederlassungen sind eine Vielzahl von unterschiedlichen Betrieben untergebracht. Da kommt es häufig vor, dass nur eine Minderheit dieser Kollegen streikberechtigt ist. Daher gibt es Probleme mit den Streikposten. Welcher Kollege darf rein in den Betrieb und welcher ist ein Streikbrecher? Durch die vielen Beamten wird die Sache nicht gerade einfacher. Hinzu kommt: Bei der Telekom ist ein entschlossenes Vorgehen gegen Streikbrecher durchaus nicht Standard. Es gibt wohl viele Telekom- Standorte, wo Streikbrecher ohne große Behinderung in den Betrieb reinkommen.

Solidarität aller Telekom-Teile!

Insbesondere in ländlichen Niederlassungen und in Landesbezirken mit stark ausgeprägter Co- Management-Tradition mangelt es auch an der Bereitschaft und Fähigkeit, die nicht vom Streik betroffenen Belegschaften einzubinden. Bei den bisherigen Warnstreiks gingen z.B. Kollegen aus jenem Teil der T-Com, der nicht T-Service zugeschlagen werden soll, an den Warnstreikenden vorbei in den Betrieb, obwohl sie von ihren Gleitzeitkonten hätten Gebrauch machen und so durchaus ein oder zwei Stunden ihre Solidarität mit den Streikenden hätten demonstrieren können. Ganz zu Schweigen von den Beschäftigten anderer Konzernteile wie T-Systems oder T-Mobile.
Anders der als kämpferisch geltende Landesbezirk Bayern. Er hat in der Warnstreikphase auch in kleineren Städten wie Bamberg, Weiden, Kempten oder Traunstein aus dem Betrieb heraus Demonstrationen in die Stadt zuwege gebracht — was nur unter Beteiligung von Kollegen aus nichtstreikberechtigten Unternehmensteilen möglich ist. Aus Bayern wird auch gemeldet, dass Teile von T-Systems sich mit ihren Kollegen von T-Service öffentlich solidarisierten — was wiederum in anderen Landesbezirken eher die Ausnahme ist. Es scheint so, als ob auch andere Ver.di-Landesbezirke allen Grund hätten, dem bayrischen Vorbild nachzueifern.
Und eine letzte Baustelle sei genannt: die Öffentlichkeit. Schon jetzt machen unternehmernahe Medien Stimmung gegen den Streik, was sicherlich noch stärker werden wird, wenn es bei der Verschärfung des Streiks zu Beeinträchtigungen kommt. Dem muss entgegengetreten werden, sonst wendet sich die öffentliche Meinung gegen die Streikenden. Die Öffentlichkeitsarbeit gegenüber den "Kunden" der Telekom ist also von entscheidender Bedeutung. Presseerklärungen der Bundesleitung von Ver.di werden nicht ausreichen. Die Beschäftigten müssen regional offensiv für ihre Belange eintreten. Hier wären örtliche Solidaritätsaktivitäten, getragen von anderen Ver.di-Fachbereichen, IG-Metall- Kollegen sowie örtlichen DGB-Ortsvereinen äußerst hilfreich.

Alle gemeinsam!

Dieser Streik wird in der ganzen Republik mit Interesse verfolgt. Der Ausgang des Kräftemessens zwischen Telekom-Beschäftigten und Management wird Folgen haben. Noch nie hat ein Konzern einer so hohen Zahl von Beschäftigten auf einen Schlag so viel mehr Arbeit für soviel weniger Geld aufgenötigt. Andere Konzerne würden sofort nachziehen. Der Kampf der Telekom-Beschäftigten geht also alle an. Eine Zusammenarbeit mit anderen Beschäftigtengruppen drängt sich geradezu auf — gemeinsame Streiks kombiniert mit Kundgebungen. Man denke an Ver.dis Tarifauseinandersetzungen im Einzel- und Großhandel und an die ankündigten Entlassungen bei Nokia-Siemens und bei Alcatel- Lucent. "Wenn das durchgeht", sagte Ver.di-Verhandlungsführer Lothar Schröder über Obermanns Programm für Billigarbeit, ist das "die Blaupause für eine neue, andere Republik".
Das gilt es zu verhindern! Alle gemeinsam!

14.5.2007


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