SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2007, Seite 09

USA

Die Privatisierung des Krieges

Im Irak operiert eine Schattenarmee außerhalb jeder Kontrolle

von Jeremy Scahill

Die Auseinandersetzung der Demokratischen Partei im US-Kongress über die zusätzliche Finanzierung des Kriegs in Höhe von 124 Milliarden US-Dollar wurde in den Medien als "Showdown" oder "Krieg" mit dem Weißen Haus bezeichnet. Das ist kaum zutreffend. Die Mehrzahl ihrer Wähler hat der Demokratischen Partei im letzten November eine Mehrheit im Kongress verschafft, weil sie gegen den Krieg sind. Doch die Parteiführung hat klar gestellt, dass sie die Besatzung des Irak weiter finanzieren wird.
Seit Monaten wird der demokratische "Rückzugsplan" von Gegnern der Besatzung heftig kritisiert. Sie weisen darauf, dass er den Krieg nicht stoppt, seine Finanzierung nicht beendet und im Gegenteil sicherstellt, dass Zehntausende US-Soldaten auch nach Beendigung von Bushs zweiter Amtszeit im Irak bleiben werden.
Doch es gibt noch eine zweite beunruhigende Tatsache. Sie spricht Bände über die mangelnde Einsicht der Demokraten in die Natur dieses unpopulären Kriegs — und die meisten US-Amerikaner wissen darüber fast nichts. Auch wenn der Präsident kein Veto gegen den Gesetzentwurf der Demokraten einlegen würde, würde ihr Plan der Demokraten an der zweitgrößten Truppe im Irak beinahe nichts ändern — und das ist nicht das britische Militär. Es handelt sich um schätzungsweise 126000 Angehörige privater Militärfirmen, sog. Contractors, die vor Ort bleiben, solange der Kongress den Krieg finanziert.
Den 145000 Angehörigen der US-Armee steht beinahe ebenso viel Personal von Firmen wie Blackwater USA und KBR, der früheren Tochtergesellschaft von Halliburton gegenüber, die über enge persönliche und politische Beziehungen zur Bush-Regierung verfügen. Solange der Kongress nicht gegen diese mächtigen Unternehmen und deren enorme öffentliche Finanzierung vorgeht, wird ein Teilrückzug von US-Truppen nur einen verstärkten Einsatz privater Militärfirmen bewirken, die von jeder zukünftigen "Truppenverstärkung" im Irak profitieren werden.
Diese Contractors waren von Anfang an eine der wichtigen verborgenen Geschichten in diesem Krieg. In den Mainstream-Medien kamen die Contractors kaum vor, aber sie sind absolut zentral für die Aufrechterhaltung der US-Besatzung im Irak. Viele von ihnen sind mit der logistischen Unterstützung der US-Truppen beschäftigt, Zehntausende aber direkt in militärische und Kampfaktivitäten verwickelt.
Der Vorsitzende des Regierungskontrollausschusses im Repräsentantenhaus, Henry Waxman, schätzt, dass bisher im Irak 4 Milliarden Dollar Steuergelder an bewaffnete "Sicherheits"-Firmen wie Blackwater gegangen sind — und weitere zig Milliarden an Firmen wie KBR und Fluor für "logistische" Unterstützung. Der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses Jan Schakowsky glaubt, dass bis zu 40 Cent von jedem für die Besatzung ausgegebenen Dollar an die privaten Militärfirmen gehen.
Die zentrale Rolle der privaten Militärfirmen für die Fortsetzung der Besatzung wurde deutlich, als im Januar David Petraeus, der General, der für den Plan zur "Truppenverstärkung" des Präsidenten verantwortlich ist, die privaten Truppen als wesentlich für den Sieg in diesem Kriege bezeichnete. In der Senatsanhörung über seine Berufung forderte Petraeus, dass diese Truppen jene Lücke schließen sollten, die infolge der geografischen Überdehnung des US- Militärs entstanden ist. Zusammen mit Bushs offizieller Truppenverstärkung gäben ihm die "Zehntausende angeworbenen Sicherheitskräfte ... Anlass zu glauben, dass wir den Auftrag erfüllen können".

Verdopplung

Die privaten Militärfirmen haben dem Weißen Haus politische Deckung gegeben, indem sie durch die Hintertür beinahe eine Verdopplung der US-Streitkräfte im Irak ermöglichten und zugleich den ganzen Umfang der Kosten an Menschenleben bei der Besatzung verschleierten. Auch wenn die Todesfälle bei Angehörigen der privaten Militärfirmen nicht genau erfasst werden, sind mindestens 770 von ihnen getötet und mindestens weitere 7700 verletzt worden. Diese Zahlen erscheinen in keiner offiziellen Statistik, auch nicht in den Medien.
Noch wichtiger ist, dass es absolut kein wirksames System der Überwachung oder Kontrolle der Angehörigen privater Militärfirmen und ihrer Operationen gibt. Es gibt auch keinerlei zivile oder militärische gesetzliche Regelung für ihre Aktivitäten. Sie unterstehen weder der Militärgerichtsbarkeit, noch werden sie vor Zivilgerichte gestellt. Was immer sie auch im Irak tun, sie können nicht von irakischen Gerichten verfolgt werden. Bevor Paul Bremer, Bushs Vizekönig in Bagdad, den Irak 2004 verließ, erließ er ein Edikt, das die Immunität von Angehörigen privater Militärfirmen bestätigte.
Zehntausende Angehörige privater Militärfirmen sind im Irak gewesen und es gab mehrere gut dokumentierte Vorfälle, an denen sie beteiligt waren. Trotzdem sind nur zwei von ihnen wegen eines Vergehens belangt worden. Einer wurde angeklagt, weil er einen Kollegen erstochen hatte, der andere bekannte sich schuldig, pornografische Bilder von Kindern auf seinem Computer in Abu Ghraib gehabt zu haben. Während eine Reihe von US-Soldaten vor das Militärgericht gestellt wurden sind — bei 64 lautet die Anklage auf Mord —, wurde bisher nicht ein einziger Angehöriger der Militärfirmen wegen Kriegsverbrechen im Irak verfolgt. In einigen Fällen wurden Contractors beschuldigt, in Verbrechen oder tödliche Zwischenfälle verwickelt gewesen zu sein — sie wurden von ihren Firmen aus dem Irak in Sicherheit gebracht.

Finanzierung

Einige Demokraten im Kongress haben öffentlich ernsthafte Bedenken über den weit verbreiteten Einsatz dieser privaten Truppen geäußert, einige wenige haben deren Abzug gefordert. Doch die Führung der Demokratischen Partei hat fast nichts getan, um den Einsatz von Söldnerfirmen im Irak zu stoppen oder zu begrenzen. Wie es aussieht, haben die Bush-Regierung und die Industrie in dieser Hinsicht vom Kongress trotz des Verlusts der republikanischen Mehrheit nichts zu befürchten.
An zwei zentralen Punkten, dem Rechenschaftspflicht und der Finanzierung, hat das Vorgehen der Demokraten gravierende Mängel, die dem Weißen Haus und den Militärfirmen in die Hände spielen. Einige Demokraten setzen sich für ein Gesetz zur Rechenschaftslegung ein, das unter dem Strich mehr US-Personal im Irak vorsieht. FBI-Ermittler sollen im Irak herumreisen, Untersuchungen durchführen und Zeugen befragen — die Ermittlungen könnten dann zu Anklagen und Strafverfolgungen durch US-Zivilgerichte führen.
Der Plan wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nach hinten losgehen. Wer würde die Ermittler schützen? Wie würden irakische Opfer befragt? Wie könnte Beweismaterial inmitten des Chaos und der Gefahren im Irak zusammengetragen werden? Wenn man bedenkt, dass die US- Regierung und das Militär unfähig —oder nicht willens — sind, auch nur die Zahl der Contractors anzugeben, die sich aktuell im Land aufhalten, stellt sich die Frage, wie deren Aktivitäten überhaupt überwacht werden können.
Abgesehen von der Tatsache, dass es unmöglich wäre, 126000 oder mehr Angehörige von Militärfirmen im gefährlichsten Kriegsgebiet der Welt wirksam zu überwachen, wäre dieses Gesetz ein enormer PR-Sieg der Industrie. Denn wenn es angenommen würde, könnten die Firmen endlich behaupten, eine gesetzlich verantwortliche Struktur lenke ihre Operationen. Es überrascht nicht, dass es der Verband der Söldnerfirmen mit dem an Orwell erinnernden Namen International Peace Operations Association ist, der den demokratischen Antrag unterstützt hat, und nicht der konservative Senator Lindsey Graham.

Der Irakplan der Demokraten

Nach wie vor steht die Frage nach der fortgesetzten Finanzierung der privaten Schattenarmeen im Irak. So wie er ursprünglich vom Repräsentantenhaus beschlossen wurde, hätte der Irakplan der Demokraten die zusätzlichen Ausgaben für laufende militärische Operationen nur um 15% oder 815 Millionen US-Dollar gekürzt. Aber selbst diese vorsichtige Maßnahme wurde von den Demokraten Ende April wieder zurückgezogen. Zu ihrer Entschuldigung brachten sie vor, weitere Anhörungen seien in der Frage der privaten Militärfirmen nötig. Nun wollen sie die 15% aus der laufenden Finanzierung zurückhalten — nicht kürzen! —, bis Verteidigungsminister Robert Gates einen Bericht über die Verwendung von Angehörigen privater Militärfirmen und den Umfang ihres Einsatzes vorgelegt hat. Wenn der Bericht vorliegt, sollen sie freigegeben werden. Im Kern heißt das, dass die Söldnerfirmen ihr Geschäft auch unter dem Plan der Demokraten fortsetzen und die gewohnten Profite einstreichen können.
Somit bleibt die große Frage die: Darf die Regierung zur Unterstützung ihrer Kämpfe im Irak Söldnertruppen einsetzen, die ihren Lebensunterhalt mit Kriegen und Konflikten bestreiten?
Indem sie den fortgesetzten Einsatz von Söldnern billigen, anstatt ihre Finanzierung komplett zu streichen, lassen die Demokraten die Tür für eine weitere Eskalation im irakischen Schattenkrieg offen. Dies wiederum könnte den Weg bahnen für ein Aufgebot von halb geheimen Unternehmen mit guten politischen Beziehungen, die von der jetzigen Regierung enorm profitieren.

Gekürzt aus: www.tomdispatch.com (30.4.2007)
(Übersetzung: Harald Etzbach).


Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo

  Sozialistische Hefte 17   Sozialistische Hefte
für Theorie und Praxis

Sonderausgabe der SoZ
42 Seiten, 5 Euro,

Der Stand der Dinge
Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge   Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken   Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus   Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus   Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden   Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität




zum Anfang