SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2007, Seite 10

Polen - Demokratische Schlacht

Wachsender Widerstand gegen das "Säuberungsgesetz"

von Zbigniew Kowalewski, Warschau

Das von der polnischen Regierung erlassene "Säuberungsgesetz", das darauf abzielt, Menschen, die unter dem "Kommunismus" eine politische Funktion innehatten, dafür büßen zu lassen, stößt auf heftige Reaktionen.
In der Geschichte des Kapitalismus, speziell im 20.Jahrhundert, hat die Menschheit alle Arten von Säuberungen kennengelernt, rassische, ethnische, konfessionelle. Die Partei der harten Rechten, die in Polen an der Macht ist, PiS ("Recht und Gerechtigkeit"), erfindet nun eine neue Form davon: die Generationssäuberung. Im Gegensatz zu den anderen Säuberungen handelt es sich nicht darum, eine Bevölkerungsgruppe auszulöschen oder zu vertreiben. Es geht darum, die "kommunistischen Generationen" aus der Politik zu vertreiben, die Generation aus der Zeit, in der Polen hintereinander von Wladyslaw Gomulka (1956—1970) und Edward Gierek (1970—1980) regiert wurde.
Jerzy Targalski bspw., der Vizepräsident des polnischen Radios, hat 450 Angehörige dieser Generation ausgemacht, die er entlassen will. Im Anschluss an seinemVorschlag, der einen Skandal hervorrief, sollte die PiS diesen allzu sehr wütenden Verrückten in die Quarantäne verbannen. Verrückte wie Targalski haben ein Verdienst: Sie sagen, was ihre Parteikollegen denken und tun, ohne es zu sagen. Bei den von Targalski ins Visier Genommenen handelt es sich um Personen, die zumindest einen Teil ihres erwachsenen Lebens in "Volks"polen verbracht haben, dessen bürokratische Diktatur sich dem Kreml unterworfen hatte, gleichzeitig jedoch beträchtliche soziale und kulturelle Errungenschaften und Fortschritte aufweisen konnte, die durch die Restauration des Kapitalismus zerschlagen wurden.
Die "Vierte Republik", die die Zwillingsbrüder Kaczynski aufbauen wollen, soll von der Generation getragen werden, die nach dem 10.Mai 1972 geboren wurde. Mit dem willkürlich gesetzten Datum teilen die Funktionäre der PiS und vor allem die jungen Karrieristen in der Partei vollkommen willkürlich die polnische Gesellschaft in "Gute" und "Böse". Diese Karrieristen haben das "Säuberungsgesetz" ausgearbeitet. Will jemand eine öffentliche Funktion ausüben — deren Definition sehr breit gefasst ist —, muss er erklären, ob er unter dem "Kommunismus" mit den Geheimdiensten zusammengearbeitet hat. Das "Institut für das nationale Gedächtnis" (IPN), der Stoßtrupp der PiS, der die jüngere Geschichte auslegt, ist damit beauftragt, diese Erklärungen nachzuprüfen und zu entscheiden, wer die Wahrheit gesagt hat und wer nicht.
Wenn das IPN in diesem Orwell‘schen Neusprech jemanden als "glänzenden Lügner" entlarvt und der Betreffende über Geld verfügt, kann er klagen. Wenn nicht, hat er Pech gehabt, in den nächsten zehn Jahren darf er seinen Beruf nicht mehr ausüben, keine wissenschaftlichen Studien mehr durchführen und nicht mehr veröffentlichen, was er geschrieben hat.
Die Zahl der von der Säuberung Betroffenen wird auf 700000 geschätzt, die Überprüfung der Erklärungen dieser Menge durch das IPN kann ein Vierteljahrhundert dauern... Eine Gesellschaft wird terrorisiert und zerschlagen, indem ein großer Teil von ihr in die Knie gezwungen und der Weg für das autoritäre Regime der Kaczynski-Brüder und der PiS bereitet wird.
Doch die Stimmen derer, die "Nein" sagen und sich der Säuberung widersetzen, werden immer mehr, auch wenn sie noch in der Minderheit sind. Sie kommen von Journalisten der alten "demokratischen Opposition" unter dem "kommunistischen Regime", aber auch von Universitätsangehörigen und Prominenten.
Auf der "Linken" hat Trybuna, eine Zeitung mit Verbindungen zur poststalinistischen und neoliberalen Sozialdemokratie, Angst vor dem Ungehorsam und unterwirft sich mit Schimpf und Schande. Dagegen nimmt die polnische Ausgabe von Le Monde diplomatique klar Stellung gegen die Säuberungen. Trybuna Robotnicza, das neue Wochenblatt der Polnischen Partei der Arbeit (PPP — Polska Partia Pracy), nimmt eine ebenso unbeugsame Haltung ein. In einem Leitartikel hat Boguslaw Zietek, der Vorsitzende dieser Partei der radikalen Linken, die aus der freien Gewerkschaft Sierpien 80 (August 80) hervorgegangen ist, offen dazu aufgerufen, "das IPN zu verbrennen" — mit all seinen gigantischen Archiven der Geheimpolizei des alten Regimes. Es ist eine demokratische Schlacht von größter Bedeutung, die da in Polen stattfindet.

(Übersetzung: Angela Huemer)


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