SoZ - Sozialistische Zeitung |
Dieses Buch aus der Feder sozialistischer Christen aus der BRD (Durchrow,
Petracca) und Argentinien (Krüger) erschien im Mai 2006 und wurde bisher vor allem in
fortschrittlichen christlichen Zusammenhängen zur Kenntnis genommen. Der vierte Autor, Reinhold
Bianchi, ist Psychoanalytiker in der Tradition der Relationalen Psychoanalyse, die den Menschen in
Abgrenzung von der klassischen triebtheoretischen Psychoanalyse als von Anfang an gesellschaftliches und
personales Beziehungswesen sieht (siehe SoZ 5/2007).
Die Fragestellung lautet: "Wie
können die betroffenen Menschen ihre vom Neoliberalismus verursachten psychischen Schäden und
Blockaden überwinden, um eben diesen neoliberalen Kapitalismus durch Widerstand und die Umsetzung
realer gesellschaftlicher und politischer Alternativen zu überwinden?" Mit Hilfe von Begriffen
aus der "relationalen Klassentheorie" gelangen die Autoren zu einer Dreiteilung der BRD in
Gewinner, Mittelklasse und Verlierer, wobei die Arbeiterklasse sich in der zweiten und dritten Gruppe
wiederfindet, während das alte und das neue Kleinbürgertum der Mittelklasse zugeordnet wird.
Die zentrale These des Buches ist, dass
ähnlich wie in den letzten Jahren der Weimarer Republik der Schlüssel für eine
positive Antwort auf diese Frage in der Entscheidung der Mittelklasse liegt, ob sie sich ein weiteres Mal
auf die Seite der Gewinner stellen wird, insbesondere des Großkapitals und seiner Funktionseliten,
oder sich mit den Verlierern verbündet. Mit den Denkmitteln der Relationalen Psychoanalyse (RP) wird
ausführlich und absolut lesenswert entwickelt, welchen spezifischen sozialpsychologischen
Deformationen diese drei Gruppen ausgesetzt sind.
Die Verlierer gelangen vor allem durch die
aktive Teilnahme an solidarischen Bewegungen zur Entwicklung solidarischen Bewusstseins. Unter den
Gewinnern werden vorerst lediglich wenige Außenseiter aus dem sozialdestruktiven Kurs aussteigen.
Dieser sozialen Gruppe muss die Macht entzogen werden. Hinsichtlich der Mittelschichten sprechen die
Autoren von Chancen und Hemmnissen: Sie müssten sich von "tief verwurzelten und weiterhin von den
Eliten massiv forcierten ideologisch-emotionalen Bindungen" befreien, aus näher rückender
sozialer Verunsicherung und Absturzangst solidarische statt individualisierende Konsequenzen ziehen, sich
globalisierungskritischen und anderen solidarischen Bewegungen aktiv zuwenden.
Im Strategiekapitel formulieren die Autoren
eine klare Absage an reformistische Konzeptionen, denen die reale Basis fehle. Es wird klar und eindeutig
zum politischen Handeln im Rahmen der über den Kapitalismus hinausstrebenden
"Transformationskräfte" aufgefordert, die als eine Strömung der
globalisierungskritischen Bewegung dargestellt werden.
Die Autoren präsentieren dazu eine
zweigliedrige "multiple Doppelstrategie": Zum einen Entmythologisierung der neoliberalen
Ideologie (als Gegengift gegen die vorherrschende Desorientierung), zum anderen Verweigerung und Widerstand
Streiks, aber auch verschiedene Kampfformen der neuen sozialen Bewegungen. Der zweite Teil ist
positiv formuliert und soll "dem Leben Nahrung geben". Darunter verstehen die Autoren den Aufbau
von Alternativen im lokal-regionalen Bereich, die über den Kapitalismus hinaus gehen, aber auch
Kämpfe zur gesellschaftlichen und politischen Wiederaneignung der gestohlenen Ressourcen auf allen
Ebenen in einer postkapitalistischen Perspektive. Der Sozialforumsprozess und die darum herum sich
entfaltende Politik breiter emanzipatorischer Bündnisse als Potenzial einer "kulturellen
Wende" weist solidarisch gewordenen Menschen den Weg zu einer neuen globalen Mehrheitskultur. Die
Arbeiterinnen und Arbeiter können die gegenseitige globale Konkurrenz nur selbst überwinden. Hier
haben die Gewerkschaften eine riesige Aufgabe vor sich. Schließlich verweisen die Autoren auch auf die
Notwendigkeit, eine neue "große Erzählung" mit immer mehr Hoffnungsgeschichten zu
beginnen. Sie schlagen zur Zielbestimmung den Begriff der solidarischen Sozialwirtschaft vor, weil der
Begriff des Sozialismus immer erst historisch gewachsene Missverständnisse und Vorurteile hervorrufe.
Kritisch bleibt anzumerken, dass die
Autoren die Organisations- und Parteifrage umgehen. Ebenso fehlt ein überzeugendes Konzept für
die postulierte Entmachtung der kapitalistischen Eliten. Vielmehr zeichnen sie den Weg des
allmählichen und gewaltfreien Aufbaus von Gegenmacht. Die Festlegung auf Gewaltfreiheit ist angesichts
der globalen Gewalttätigkeit der herrschenden Klassen vor dem Hintergrund der selbst gesteckten Ziele
nicht akzeptabel, nicht konsequent und auch unlogisch. Die Ausführungen zur Strategie wirken daher
merkwürdig begrenzt.
Das Buch endet mit dem Hinweis an die
hiesigen christlichen Gemeindemitglieder, dass sie verpflichtet sind, die biblische Option für die
Armen zu wählen dies wäre ein strategisch wichtiger Beitrag, um die neoliberale Hegemonie
zu brechen. Es gibt Hinweise auf zeitgenössische emanzipatorische Ansätze in allen
Weltreligionen. Nicht zuletzt ist das Buch reich an befreiungstheologischen und damit glasklar
klassenkämpferischen Interpretationen der Bibel, die auch für Nichtchristen anregend sind
z.B. hinsichtlich der strategisch bedeutsamen Frage, wie wir in revolutionären Organisationen gut
zusammenleben wollen und können. Dem Buch und den Autoren sei angesichts ihrer ambitionierten Arbeit
ausführliche Resonanz gewünscht.
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