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Die Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg wurde nachhaltig vom Kalten
Krieg geprägt. Zeitweilig wurden fast alle Lebensbereiche von seiner Logik erfasst. Die Literatur zum
Thema Kalter Krieg ist vielfältig und beinahe unüberschaubar. Daher ist es zunächst einmal
verdienstvoll, wenn der US-Politologe John Gaddis von der Yale University versucht, eine leicht lesbare
Überblicksdarstellung zu geben. Sie ist gut gegliedert und veranschaulicht ihren Gegenstand durch
zahlreiche Bilder und Grafiken. Grundlage seiner Analyse sind die Ideen der "demokratischen
Revolution", der "wirtschaftlichen Freiheit" und der "kollektiven Sicherheit". An
Gaddis Analyse lassen sich Glanz und Elend des politischen Liberalismus exemplarisch verdeutlichen.
Zunächst geht es in der Literatur um
die Frage nach den Ursachen des Kalten Krieges. Im Großen und Ganzen kann man hier zwei Denkrichtungen
unterscheiden: Die eine, die auf George F. Kennan zurückgeht, dem das Buch auch gewidmet ist
, macht die Sowjetunion mit ihrer Ideologie des Marxismus-Leninismus und ihrer angeblichen Praxis,
die Weltrevolution voranzutreiben, für den Ausbruch des Kalten Krieges verantwortlich. Auch Gaddis
spricht von zwei "Ideologien mit globalem Anspruch", die sich bekämpften und einer
"Sowjetunion", die "sich dem Klassenkampf verschrieben hatte".
Die Gegenströmung, begründet vom
US-Historiker William A. Williams und weiter entwickelt von dessen Schüler Gabriel Kolko sowie von Gar
Alperowitz, stellt die Politik der "offenen Tür", also der weltweiten Durchsetzung der
"freien Marktwirtschaft" mit Hilfe der "Pax americana" in den Mittelpunkt. So wurden
die Hilfen des Marshall-Plans 1947, die zusammen mit Trumans "Eindämmungspolitik" sowohl
für den westeuropäischen Aufschwung wie für die Teilung des Kontinents von entscheidender
Bedeutung waren, auch den osteuropäischen Ländern angeboten aber eben um den Preis der
Öffnung ihrer unterentwickelten und darnieder liegenden Märkte für den ungebremsten
Warenstrom aus den USA. Damals verfügten die USA über fast 50% des weltweiten
Bruttosozialprodukts und hatten mit einer enormen Überproduktion wegen der Umstellung auf die
"Friedenswirtschaft" zu kämpfen.
Die realen Ziele der Sowjetunion hingegen
waren im Wesentlichen defensiv: Sie wollte verhindern, von feindlichen Staaten umgeben zu sein und sich die
Westmächte durch eine neutrale Zone in Mitteleuropa (und Asien) möglichst auf Distanz halten. Ihr
Anspruch, an der Kontrolle von Gesamtdeutschland mitzuwirken, ergab sich (abgesehen vom Potsdamer Abkommen)
aus der Forderung nach 10 Milliarden Dollar Reparationen wegen der von der Wehrmacht verursachten
gigantischen Zerstörungen; diese Summe konnte ihre Besatzungszone (die spätere DDR) allein nicht
aufbringen.
Gaddis sitzt dem Mythos auf, die SU
hätte (aufgrund ihrer Ideologie) die Eroberung von ganz Europa im Sinn gehabt, räumt aber an
anderer Stelle ein, dass sie aufgrund der Kriegsfolgen dazu gar nicht in der Lage gewesen wäre.
Der Grundfehler des Buches liegt aber
darin, dass die Bevölkerungen der jeweiligen Länder offenbar nur als
"Verfügungsmasse" vorkommen. Die Bedeutung von Einzelpersonen wie Stalin, Thatcher, Reagan,
Havel, Johannes Paul II., aber auch Gorbatschow wird überbetont und das gesellschaftliche Umfeld, in
dem sie agierten, aus dem Blick verloren. Soziale Bewegungen kommen bei Gaddis praktisch nicht vor. Die
Oktoberrevolution ist für ihn nur "ein Staatsstreich" gewesen. Er ignoriert auch, dass
Kommunisten in vielen Ländern (besonders auf dem Balkan, in Frankreich und Italien) einen bedeutsamen
Anteil an den Kämpfen gegen die deutsche Besatzung hatten und es nicht nur Elend und Verzweiflung
waren, die "die Menschen dem Kommunismus in die Arme trieben".
Auch Gaddis Behauptung, der Kalte
Krieg sei durch die Beendigung der Entspannungspolitik und die SDI-Initiative Ronald Reagans beendet
worden, kann nicht überzeugen. Zwar sieht er, wie neue technologische Revolutionen und eine
unzufriedene Bevölkerung den Ostblock immer stärker in die Defensive brachten und schreibt auf
einmal, bei der Sowjetunion habe es "Anzeichen für das Fehlen jeglicher Strategie" gegeben.
Doch weil er kein Verständnis für die Widersprüche bürokratischer Herrschaft hat,
versteht er auch nicht, warum Gorbatschows Politik einer bürokratischen Selbstreform scheitern musste.
Die Periode des Fortschreitens "der
Demokratie" scheint derzeit ins Stocken geraten zu sein, nachdem Putin mit autoritären Methoden
(und unter Verzicht auf die frühere Ideologie) die Stabilität des russischen Staates
wiederhergestellt hat. Und da es Anzeichen einer Wiederauflage zumindest von Elementen des Kalten Krieges
gibt (vgl. SoZ 3/07), fällt auch die überaus optimistische These vom "Triumph der
Hoffnung" in sich zusammen.
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