SoZ - Sozialistische Zeitung |
Am 2.Mai 2007 hätte sie ihren 70.Geburtstag gefeiert, das kam
anders, denn am 13.Mai 1992 setzte Gisela Elsner, nach knapp 55 Jahren, ihrem Leben ein Ende. Die Linke,
die sich heute schon selbst vergessen hat, ging damals wie jetzt nicht pfleglich mit dieser
außergewöhnlichen Frau um.
Erstaunlich, was die Tante FAZ im Nachruf
auf ihren Freitod schrieb: "...die letzte radikale Tat in einem an Rebellionen und Widersprüchen,
an engagierter Zeitgenossenschaft und vielen enttäuschten Hoffnungen reichen Lebenslauf."
Bürgerliche Federn sind großzügig, wenn Gegnerinnen und Gegner die Bühne des Lebens
verlassen haben.
Ihr größter literarischer Erfolg
war der Roman Die Riesenzwerge, der im Jahre 1964 bei Rowohlt erschien.
Zwei Monate vor ihrem Tod schrieb Gisela
Elsner in einem Brief an eine Kollegin: "Die Niederlage des Sozialismus oder das Scheitern des
großartigen Versuchs, den Sozialismus zu realisieren, verursachte bei mir die schlimmste Verzweiflung
und entsprechende Geschehnisse, die mich daran hinderten, einen neuen Roman zu schreiben. Mittlerweile habe
ich 120 Seiten eines neuen Romans geschafft, mit denen ich im Großen und Ganzen zufrieden bin. Aber
mir fehlt das Geld, um diesen Roman fertig zu stellen. Ich stehe unter einem absoluten Erfolgszwang. Von
dem Roman hängt nicht nur das Geschick meiner Bücher, sondern auch mein Geschick ab. Das ganze
ist zu einer Existenzfrage ausgeartet. Daher bitte ich Dich, diesen Brief als einen schriftlichen Notruf
aufzufassen. Kannst Du mir irgendwelche Tipps geben, wie ich zu Geld komme? ... Ich hoffe, dass Dir die
DKP-Mitgliedschaft nicht so geschadet hat wie mir. Ich bin ja erst aus der DKP ausgetreten, in der ich ein
paar Monate im Vorstand war, weil ich mir einbildete, ich könnte dort etwas zur Änderung der
Politik beitragen. Einer meiner größten Irrtümer, für die ich böse büßen
muss. Als sich dann im Osten alles da zusammenbraute, trat ich wieder ein, um zu zeigen, auf wessen Seite
ich stehe. Jetzt habe ich überhaupt keine Verbindungen mehr zur DKP, der meine Radikalität ebenso
suspekt war, wie meine Verzweiflung. Ich weiß nicht, welche Einstellung Du jetzt zu dieser Partei
hast. Mir reicht es jedenfalls für immer, was nicht zu besagen hat, dass sich meine Einstellung zum
Marxismus-Leninismus, wie es bei vielen der sog. Genossen der Fall ist, übernacht ins Gegenteil
verwandelt hat."
Gisela Elsners Roman Die Riesenzwerge wurde
im Jahre 1995 in der Rotbuch-Bibliothek wieder veröffentlicht. Es ist eine Abrechnung mit dem
scheinheiligen Bürgertum des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch heute ist dieser Roman
wieder zum "Ramschobjekt" geworden. Diese Gesellschaft, die so vieles was ihr störend
erscheint, erledigt, kann die Erinnerung an eine Literatin und ihre Literatur nicht ertragen, die mehr sein
wollte als nur unterhaltsam messbar an einer "Einschaltquote" oder der Empfehlung durch
irgendwelche Fernsehvorlesetanten und -onkels. Die Riesenzwerge sind die Abrechnung mit der Bourgeoisie der
50er Jahre. Es ist die Demontage der Lügenwelten, der "VonNICHTSgewusstZeit" und
Scheinheiligkeit. Elsners Vater hatte sie gezwungen, eine Beziehung zu beenden, drohte dem Freund mit einer
Klage wegen "Entführung Minderjähriger". Da war die Elsner schon 20 Jahre alt. In
diesem ersten Roman schreibt sie sich die Wut über das Leben der eigenen Eltern von der Seele. Da
demaskiert die Sprache jene, die einem Adolf Hitler und seiner Ideologie folgten, durch alle Täler und
Höhen der Unmenschlichkeit.
Gisela Elsner stellte das Manuskript das
erste Mal auf einer Lesung der Gruppe 47 vor. Sie saß allein auf einer Bühne, las vor und durfte
anschließend ihr Werk nicht verteidigen. Es wundert gar nicht, wenn man die Geschichte des Günter
Grass kennt, dass dieser das Buch heftig ablehnte.
Der Berliner Verbrecher-Verlag hat nun
eine editionsgeschichtliche Kuriosität den Roman veröffentlicht, den der ehemalige
Verlag von Gisela Elsner, Rowohlt, abgelehnt hatte. "Heilig Blut", stellt Christine Künzel
im Nachwort fest, sei "eines der gelungensten Werke" der Autorin. Dieses Buch hat der
Herausgeberin viel Arbeit bereitet. Das Manuskript war nicht druckfertig abgeschlossen. So ist Heilig Blut
nicht unbedingt der schlüssigste Roman in Elsners Werk. Aber kennt man den Lebenslauf der Autorin,
wird schon klar, warum in ihm eine Anzahl von Germanistinnen, unter ihnen eine Herausgeberin, vorkommen,
die auf Werke der Autorin aufmerksam machen. Heiligenblut mag vielen Deutschen nichts sagen, wer jedoch die
Großglocknerstraße aus Richtung Zell am See bergan fährt, kommt auf der anderen Seite durch
Heiligenblut. Ein Ort, den Gisela Elsner sicherlich nicht gekannt hat. Doch liegt der Ort in ihrem Roman
nicht weit davon entfernt. Es ist ein fiktiver Ort im Bayerischen Wald, in dessen Nähe fünf
Ewiggestrige eine entsprechend ausgestattete Jagdhütte besitzen.
Heilig Blut ist eine Passionsgeschichte in
deutschen Wäldern, ein Roman mit dem Thema der Männerbündelei, samt den dazu gehörigen
Generationskonflikten. Dabei geht es nicht nur um NS-Engagement. Hier liest man von der Angst der
Männer, deren Welt verschwindet, samt ihren daraus abgeleiteten Machtansprüchen.
Der Verbrecher-Verlag hat schon zwei von
Elsners Romanen wieder veröffentlicht: Die Zähmung und Das Berührungsverbot. So ist nicht
ganz wahr geworden, was die Autorin in dem zitierten Brief beklagte. Ihre Romane werden nicht verramscht.
Es sei denn man sucht nach Die Riesenzwerge, die gibt es in der Ausgabe des Rotbuch-Verlags allerdings bei
Amazon für wenig Geld.
Das Ende von Elsners Leben? Sie klappt auf
offener Straße zusammen. Nach täglich vier Packungen Gitanes, kaum 50 Kilo schwer. Sie landet im
Krankenhaus Josefinum, einer katholischen Klinik. Damals mit sehr guter Verpflegung. Die gehört dem
Orden der Barmherzigen Schwestern. In der Aufnahme sagt man ihr: "Ihnen geht es aber schlecht."
Sie wird ins Zimmer 401 eingewiesen im 4.Stock. Dort wird sie von Nonnen betreut, die so ganz anders
gekleidet waren als die Elsner. Lauter fromme Frauen. Ob ihr da klar wurde, dass ihr Leben nur aus
Niederlagen bestanden hatte? Sie kauft sich am nächsten Tag, dem 13.Mai 1992, einige Häuser von
der Klinik entfernt eine Schachtel Gitanes. Nach dem Abendessen klettert sie über die Kloschüssel
durch ein schmales Fenster auf das Dach der Klinik. Sie sieht in den Innenhof, dort steht, trotz nahender
Dunkelheit, ein geöffneter Sonnenschirm. Sie wechselt die Position. Sie wartet nicht, sie will keine
Stimmen hören, die ihr zum Leben raten. Sie stürzt, kopfüber, in die Tiefe.
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