SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2007, Seite 21

Filmtipp

Der große Ausverkauf

BRD 2006, Regie: Florian Opitz. Start: 17.Mai 2007 (www.dergrosseausverkauf.de)

von Andreas Bodden

"Mit dem Film Der große Ausverkauf möchte ich zeigen, was hinter dem abstrakt klingenden Phänomen der Privatisierung öffentlicher Dienste steckt. Was es für die Menschen bedeutet, die davon direkt betroffen sind." Mit diesen Worten beschreibt Regisseur Florian Opitz seine Motivation für diesen Film — und er wird seinem Anspruch gerecht.
Der Film verwebt vier Orte, vier Privatisierungsgeschichten und vier Geschichten vom Kampf gegen die Privatisierung ineinander. Er führt uns nach Soweto in Südafrika, nach Manila auf den Philippinen, nach Cochabamba in Bolivien und nach Brighton in England. Dabei erzählt der Film die vier Geschichten nicht hintereinander, sondern er wechselt ständig den Schauplatz, so dass die Geschichten parallel erzählt werden.
In Soweto kämpft Bongani Lubis im Rahmen des "Soweto Electricity Crisis Committee" gegen die Privatisierung der Stromversorgung in Südafrika. Dadurch haben sich die Strompreise so stark erhöht, dass gerade in den Townships viele Menschen sich die Elektrizität nicht mehr leisten können. Das "Soweto Electricity Crisis Committee" leistet unmittelbar praktische Hilfe, indem es die Stromleitungen einfach wieder anklemmt — ohne Bezahlung natürlich.
In Brighton steht der Lokführer und Gewerkschafter Simon Weller im Mittelpunkt. Er berichtet sehr eindrucksvoll über die Folgen der Privatisierung der Eisenbahn in Großbritannien, wo es deshalb zu schweren Zugunfällen mit Toten und Verletzten kam.
In Manila, der Hauptstadt der Philippinen, kämpft Minda Lorando einen eher einsamen Kampf. Ihr Sohn ist nierenkrank und benötigt zweimal in der Woche eine Dialyse. Frau Lorando, die in einem Armenviertel lebt, ist ständig damit beschäftigt, das Geld für die teure Behandlung aufzutreiben. Früher hatten die Philippinen ein kostenloses Gesundheitswesen, nach der Privatisierung wurde es für viele unbezahlbar. Außerdem wurden die Arbeitsbedingungen so schlecht, dass viele Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte lieber auswandern. Darüber berichtet der Krankenpfleger Delfin Seriano Jr., der zweite Hauptdarsteller des Films auf den Philippinen.
In Cochabamba in Bolivien wurde die Wasserversorgung so konsequent privatisiert, dass sogar das Sammeln von Regenwasser verboten wurde. Dagegen erhob sich in der Stadt ein Aufstand, der letztlich erfolgreich war. Der Gewerkschafter Oscar Olivera und die 60-jährige Mutter von fünf Kindern Rosa de Turpo stehen hier im Mittelpunkt. "Sie haben alle Fabriken, die Telefongesellschaft, unsere Bahn, unsere Fluglinien und unsere Bodenschätze privatisiert. Als sie aber versuchten, auch noch das Wasser zu privatisieren, da mussten wir reagieren und kämpfen. Wasser ist doch Leben. Man kann doch das Leben nicht privatisieren!", sagt Rosa de Turpo.
So schön dieses Zitat auch ist, zeigt es aber auch, wie tief die Privatisierungsideologie in den Köpfen der Menschen steckt. Die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen erfolgt weltweit Tag für Tag, aber der Widerstand dagegen ist die Ausnahme und nicht die Regel. Erst wenn es zum Äußersten kommt, findet organisierter Widerstand statt. Ansonsten findet eher individueller Kampf ums Überleben wie im Falle von Minda Lorando oder direkte Selbsthilfe wie in Soweto statt — meistens aber noch nicht einmal das.
Ein weiterer Protagonist des Films ist Joseph E. Stiglitz, Träger des Wirtschaftsnobelpreises, ehemaliger Wirtschaftsberater von US- Präsident Clinton und Ex-Chefökonom der Weltbank. Dort wurde er wegen seiner Kritik an der Globalisierung entlassen. Stieglitz ist heute einer der wenigen führenden Ökonomen weltweit, die keynesianische Positionen vertreten. Diesen fühlt sich wohl auch Regisseur Opitz verpflichtet.
Damit ist er zwar weit von einer konsequenten Kapitalismuskritik entfernt, was den Film aber nicht weniger sehenswert macht. Denn der Film hat nicht die Propagierung einer bestimmten Ideologie zum Inhalt. Er zeigt vielmehr sehr unmittelbar und auch sehr subjektiv die Auswirkungen der Privatisierung auf das Alltagsleben der Menschen. Dabei merkt man dem Film an, dass der Regisseur sich erfolgreich um ein Vertrauensverhältnis zu seinen Protagonistinnen und Protagonisten bemüht hat. Der Regisseur tritt völlig hinter die von ihm porträtierten Menschen zurück. Die dadurch gewonnenen Informationen sind auf jeden Fall sehr wertvoll und für einen Dokumentarfilm ungewöhnlich. Dadurch wird der Film für alle sehenswert, die sich gegen den Ausverkauf öffentlicher Dienstleistungen zur Wehr setzen wollen, egal ob Keynesianer, Marxisten oder was auch immer.


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