SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2007, Seite 06

Wird Siemens zerschlagen?

Warum Vorstandschef Kleinfeld gehen musste.

Ein Lehrbeispiel in Heuschreckentätigkeit

von Fred Schmid

So etwas gab‘s noch nie. Ein Dax-30-Boss legt glänzende Geschäftszahlen vor und wird am gleichen Tag gefeuert — ohne dass ein Nachfolger feststünde. So geschehen bei Siemens Ende April. Vorstandschef Klaus Kleinfeld präsentierte einen der besten Quartalsberichte in der Konzerngeschichte.
Das Geschäft brummt, der Umsatz stieg um 10%, das operative Ergebnis um knapp 50%, der Gewinn nach Steuern um 36%. Fast alle Konzernsparten haben ihre Margenziele erreicht oder übertroffen. Kleinfeld prophezeite, im Verlauf des laufenden Geschäftsjahres noch bessere Renditezahlen aus den Beschäftigten herauszupressen. Der Kurs der Siemensaktie stieg seit Beginn des Jahres um 22%, der Aktienwert hatte sich also binnen vier Monaten um fast ein Viertel erhöht, die Anleger waren zufrieden. Und dennoch war die (auf dem offiziellen Foto wegretuschierte) Rolex-Uhr von Kleinfeld abgelaufen, er musste seinen Rücktritt erklären.
An den Korruptionsaffären und den an die AUB (Arbeitsgemeinschaft unabhängiger Betriebsangehöriger) und deren Chef Schelsky gezahlten Schmiergeldern kann es kaum gelegen haben. Die Verstrickungen in diesen Sumpf brachten den bisherigen Aufsichtsratsvorsitzenden und langjährigen Siemensboss Heinrich von Pierer zu Fall. Er musste wenige Tage vor Kleinfeld sein Amt als Aufsichtsratschef räumen.
Seinen Posten übernahm ThyssenKrupp- Aufsichtsratschef Gerhard Cromme, seit 2003 auch Mitglied des Siemens-Aufsichtsrats (AR). Er leitet den Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats in Sachen Korruptionsaffäre und gilt als Vorsitzender der Regierungskommission für transparente Unternehmensführung — als "Mister Corporate Governance", als "Saubermann der deutschen Wirtschaft".
Cromme lobte noch in der Aufsichtsratssitzung, in der Kleinfeld den Bettel hinschmiss, die "entschlossene und erfolgreiche Führung" des Konzerns, den "konsequenten Einsatz Kleinfelds" bei der Aufarbeitung der Korruptionsaffäre.
Entlastung für Kleinfeld kam zudem aus den USA. Zwar ermittelt wegen der Bestechungsaffären die allmächtige US-Börsenaufsicht SEC gegen Siemens. Im Fall einer Verurteilung droht Siemens eine Geldstrafe von bis zu zwei Milliarden US- Dollar, was auch die "Bank mit angeschlossener Elektroabteilung" nicht mehr als "Peanuts" wegstecken könnte. Doch einen Tag vor besagter AR-Sitzung gaben die von Siemens beauftragten externen Ermittler, die US-Kanzlei Debevois & Plimpton bekannt, dass bislang gegen Kleinfeld nichts Belastendes gefunden worden sei.
Eine Vertragsverlängerung für Kleinfeld hätte zudem eine Schutzklausel enthalten können: Falls Kleinfeld tatsächlich in die Korruptionsaffäre verstrickt wäre, müsste er vorzeitig und ohne Abfindung gehen.

Türöffner für Heuschrecken

Wer und was steckt also hinter dem Rücktritt von Kleinfeld? Wer, das steht fest. Kleinfeld- Lobpreiser Cromme führte zugleich den Dolch im Gewande. Er hatte auch den Sturz von Pierers betrieben, sich ein wenig geziert, dann aber schnell den Aufsichtsratsvorsitz bei Siemens übernommen. In dieser Funktion betrieb er sofort den Abgang von Kleinfeld.
Cromme war dabei nicht allein. Als maßgebliche Strippenzieher des Kleinfeldsturzes gelten die Herren der Hochfinanz, die Siemens- Aufsichtsratsmitglieder Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank, und Henning Schulte-Noelle, Aufsichtsratsvorsitzender des Versicherungsgiganten Allianz und deren früherer Chef. Der vierte im Bunde der Königsmörder war der stellvertretende IG-Metall-Vorsitzende und Siemens-Aufsichtsrat Berthold Huber. Siemens brauche "Klarheit" meinte dieser, damit sich das Unternehmen auf seine eigentlichen Aufgaben konzentrieren könne. Möglicherweise sieht diese "Klarheit" bald anders aus, als sich das Huber erträumt.
Cromme und die Vertreter der führenden deutschen Finanzkonzerne betreiben offenbar unter der Devise "Neuanfang" eine totale Neuausrichtung der Siemens-Konzernstrategie. Siemens verlor praktisch mit einem Schlag seine gesamte Führungsspitze. Das sich auftuende Führungschaos und Machtvakuum aber könnte gewollt sein, um Spekulationen und Spekulanten Tür und Tor zu öffnen.
Ein Externer an der Führungsspitze, wie es vorgesehen ist, wäre wohl kaum in der Lage, das hochkomplexe Siemens-Imperium und -Konglomerat so zu führen, dass der Konzern in seiner Gesamtheit mehr wert ist als die Summe seiner Einzelteile. Er müsste Siemens deshalb rasch zerlegen. Ein solches Szenario wurde von Analysten und Investmentfonds immer gefordert und auf mehreren Hauptversammlungen vorgetragen. Wortführer war dabei die Deutsche Bank bzw. deren Investmentfonds DWS.
Und die Rolle von Saubermann Cromme, dem jetzigen Siemens-Aufsichtsratschef? Der Ex-ThyssenKrupp-Chef hat keine Skrupel, wenn es um die Zerschlagung von Konzernteilen im Interesse des Profits geht. Als Krupp-Chef räumte er ohne Hemmungen im Konzern auf und ganze Belegschaften weg und walzte gegen den Willen und Widerstand einer ganzen Stadt das Stahlwerk Rheinhausen platt.
Gerhard Cromme ist eine Schlüsselfigur der internationalen Finanzoligarchie. Er sitzt in neun Aufsichtsräten. Neben ThyssenKrupp und Siemens ist er in Schlüsselkonzernen wie Allianz, E.on und Springer vertreten. Er ist aber auch mit dem französischen Kapital eng verfilzt und sitzt dort in den Aufsichtsgremien der Großbank BNP Paribas, des Versorgers Suez und des Traditionskonzerns Saint-Gobain.
Vier Jahre lang war er zudem der Deutsche Vorsitzende des European Round Table (ERT), eines Elite- und Lobbyclubs europäischer Konzernlenker, der die politischen Vorgaben und Vorlagen ("Blaupausen") für die EU-Kommission ausarbeitet. Dass er bis etwa 2005 drei Jahre lang auch den Finanzinvestor KKR beraten hat, hat Cromme nie öffentlich gemacht. "In dieser Zeit soll er dem Private-Equity-Haus zahlreiche Türen geöffnet haben", schreibt die "Financial Times Deutschland". "Ein Dienst, für den KKR kaum einen besseren Berater hätte finden können."
Möglicherweise dient sich Cromme auch jetzt wieder als Türöffner für die US-Heuschrecke an. Auch der frühere Finanzvorstand von Siemens, Hans-Joachim Neubürger, hat nach seinem überraschenden Abgang bei Siemens Anfang 2006 einige Monate später als Berater bei Kohlberg Krawis Roberts (KKR) angeheuert. "Alles nur Zufall?", fragt die Kommentatorin des Bayerischen Rundfunks. "Nein, das klingt nach Strategie. Es wäre nicht das erste Mal, dass Banker einen Vorstandschef abservieren. Und dass Heuschrecken und Investmentbanker einen Konzern gewinnbringend zerlegen wollen."

Modernes Finanzkapital in Aktion

In diese Strategie passt auch Ackermanns und Crommes Wunsch-Nachfolgekandidat, der jetzige Linde- Vorstandschef Reitzle. Reitzle hat zwar keine Ahnung vom Siemens-Geschäft, um so mehr aber versteht er sich auf die Zusammenarbeit von Finanzkonzernen und Private Equity Fonds bei der Zerlegung und dem Umbau von Konzernen.
Die Umorganisation des Linde- Gemischtwarenladens zum größten Industriegaskonzern der Welt, u.a. durch die Abspaltung der Gabelstapler-Sparte (Kion) und Zukäufe (britische BOC) geschah im Schulterschluss und Auftrag der Linde-Großaktionäre Deutsche Bank und der Allianz-Versicherung — aber auch im Zusammenspiel mit der US-Investmentbank Goldman Sachs und dem Private-Equity-Fonds KKR.
Eine totale Zerlegung des Siemens- Konglomerats in kerngeschäftorientierte Einzelteile im Zusammenspiel von Investmentbanken und Finanzinvestoren wäre für diese neue Form des internationalen Finanzkapitals auf Jahre hinaus eine gigantische Profitquelle (siehe dazu Leo Mayer, "Das moderne Finanzkapital", Plenarvortrag auf der Marxismus-Konferenz in Berlin, www.isw-muenchen.de).
Die Investmentbanken, vorrangig die Deutsche Bank, würden als Berater des Umbaus mit den damit verbundenen Börsengängen, Fusionen, Übernahmen usw. Milliarden an Provisionen einstecken; für die Allianz als institutioneller Anleger würden deren Siemens-Finanzinvests an Wert zulegen; und Heuschrecken wie KKR, Cerberus (in deren Diensten der zweite gehandelte Nachfolgekandidat, Ex-VW-Sanierer Wolfgang Bernhard steht) und andere Finanzinvestoren würden sich in die Einzelteile einkaufen, diese in die Verschuldung treiben, ausschlachten und weiterverkaufen.
Mag sein, dass Kleinfeld für ein solches Konzept der Totalzerschlagung nicht zur Verfügung stehen wollte. Er hatte zwar keine Hemmungen, Konzernsparten abzuspalten, die nicht die vorgegebene Rendite erbrachten (und dabei mit den Belegschaften übel umzuspringen — vgl. die an BenQ verscherbelte Handy-Sparte), verfolgte für den Gesamtkonzern aber eher das Holding-Konzept: so im Falle VDO, ein Unternehmen, das zwar eigenständig an die Börse gebracht werden soll, von dem Siemens aber die Aktienmehrheit oder zumindest eine Parität, wie auch bei NokiaSiemens oder SiemensFujitsu behalten will.
Das Gespann Ackermann-Cromme verfolgt offenbar das Konzept der schnellen und umfassenden Zerschlagung. Möglicherweise gehört nach dem Verschwinden traditionsreicher Konzernnamen, die häufig auf Unternehmerpersönlichkeiten des 19.Jahrhunderts zurückgehen wie AEG, Hoechst, Mannesmann usw. auch der Firmenname Siemens bald der Wirtschaftsgeschichte an.

Der Autor ist Mitarbeiter des Instituts für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (isw) (www.isw-muenchen.de).



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