SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2007, Seite 08

Tarifabschluss Druckindustrie

Die Gewerkschaft hat sich verschluckt

von Michael Banos und Ulrich Leicht

Der Tarifabschluss in der Druckindustrie liegt nahe am Angebot der Unternehmerseite.
Die "positiven konjunkturellen" Voraussetzungen und die landauf, landab wohlwollend "akzeptierten" Lohnabschlüsse in der Chemie- und Metallindustrie, die zumindest nominell (wenn auch nicht in der Substanz) eine 3 bzw. 4 vor dem Komma hatten, waren keine schlechte Ausgangsbedingung, die leider wenig in die Waagschale geworfene Schlagkraft von gleichzeitigen Kampfaktionen mit den Ver.dianern von der Telekom jedoch eine letztlich nicht wahrgenommene Option.
So ging es am 28.März in die erste Tarifverhandlung, die etwas im letzten Jahrzehnt nicht mehr Gekanntes brachte, nämlich ein Angebot des Unternehmerverbandes: Ab 1. April für 12 Monate 1,8% Lohnerhöhung, für die nächsten 12 Monate weitere 2%; potenziell zusätzliche Einmalzahlungen für die "besser verdienenden" Unternehmen der Branche.
Angesichts der eigenen aufgestellten Forderung von 6,5% lehnte Ver.di das "Angebot" brüsk und als "unverhandelbar" ab. Wie sich heute nach weiteren vier — vom 9. Mai bis 5.Juni von Warnstreiks in über hundert Betrieben begleiteten — Verhandlungen und angesichts des dann ausgehandelten Ergebnisses zeigt, eine Spur zu "großmäulig". Zwangsläufig wurden damit Enttäuschung, Bitternis und Unmut provoziert.
Der jetzt gefundene Tarifabschluss ist in seiner Substanz nicht weit vom ersten Angebot der Druckindustriellen entfernt. Er beinhaltet: 3% ab 1. Juli 2007 (3 Nullmonate April bis Juni); 2,1% ab 1. Juli 2008 (3 Nullmonate April bis Juni); Gesamtlaufzeit 24 Monate.
Die Reaktionen sind entsprechend vielfältig und zwiespältig. Wer meinte, eine 4 vor dem Komma durchsetzen zu können und in seinem meist Zeitungsbetrieb, wo auch die 6,5%-Forderung auf die Tagesordnung gesetzt wurde, dafür jedesmal warnstreikte, lehnt das Verhandlungsergebnis ab, spricht von Verrat der Verhandlungskommission und Streikführung und ist wie schon immer auf die große Zahl der inaktiven Kolleginnen und Kollegen in den Akzidenzdruckereien bis Klitschen sauer. Letztere bilden aber die große Masse der Betriebe in der Druckindustrie, und von diesen kann gesagt werden, sie finden den Abschluss gar nicht so übel. In zwei Dritteln der Druckbetriebe besteht eher das Problem, ob und wenn wie dieses Ergebnis betrieblich umgesetzt werden kann.
Die da an verantwortlicher Stelle handeln mussten, sind meist auch nicht des Verrats zu bezichtigten, sondern sind sich, immanent betrachtet, der Probleme und Realitäten der Gesamtsituation manchmal bewusster als die so genannten Speerspitzen in den Betrieben. Ihnen ist in erster Linie der Vorwurf zu machen, dass sie nicht offener über die materiellen Wahrheiten debattieren und nach anderen Lösungen suchen.
Zu diesen materiellen Wahrheiten gehört u.a.: Von den 180000 Beschäftigten in der Druckindustrie ist noch etwa ein Drittel gewerkschaftlich organisiert. Von den 29 am Streik beteiligten Betrieben in NRW sind wahrscheinlich nur zwei Drittel urabstimmungsfähig; in anderen Bundesländern sieht es noch schlechter aus. Fakt ist, dass der Streik einer Spätschicht bei Springer z.B. leicht durch ein, zwei Angestellte/ Streikbrecher kompensiert werden kann und das Erscheinen der Zeitung am nächsten Tag nicht verhindert wird.
Neben den wenigen Großbetrieben gibt es vor allem kleine Mittelbetriebe bis Klitschen; auch solche, die von den Großen ausgelagert wurden oder mit ihnen in Kooperation stehen. Hier wurden auch oftmals geräuschlos, nicht selten ohne Kenntnis der Streikenden, Streikausfälle kompensiert.
Statt auf die vermeintliche Realität einer besonders hohen Lohnforderung zu setzen, sollte man auch über andere Kampfmittel als den immer unwirksamer werdenden Streik nachdenken: 500000 Menschen tragen allmorgendlich die Zeitung aus, was wäre da zu tun? Wenn während der Tarifauseinandersetzung der G8-Gipfel tagt, was wäre zu tun, dass es die Öffentlichkeit noch mitbekommt? Was brächte ein Autokorso, ein Infobus an Außenwirkung, welche Kolleginnen und Kollegen, die nicht streiken, könnten erreicht und einbezogen werden? Letztlich muss man zur Kenntnis nehmen, dass nicht tarifpolitisch und betrieblich verteidigt werden kann, was einer massiven gesamtgesellschaftlichen Intervention bedarf.
Darauf weist einer der Ver.di- Hauptverantwortlichen für den Druckbereich, Andreas Fröhlich, hin, der zu den vielfältigen Kommentaren und Wutausbrüchen auf der Ver.di-Homepage u.a. äußerte: "Ja, auch die Wut kann ich verstehen, denn ich bin auch wütend ... Ich bin wütend auf die Bedingungen, die letztlich dazu führen, solche Tarifabschlüsse machen zu müssen ... Es ist besonders in unserer Branche sportliche Herausforderung der Unternehmer geworden, durch ... Versuche von unbezahlter Mehrarbeit und der Drohung mit bzw. dem Vollzug von Entlassungen sich im Markt zu positionieren. Die Unternehmer glauben an diese Philosophie, weil sie in erheblichem Maße funktioniert. Und sie funktioniert, weil es in den zurückliegenden Jahren gesamtgesellschaftlich keine durchschlagende Gegenbewegung gegeben hat."

Die Autoren gehören dem Aktionskreis Tarifrunde, Bezirk Westliches Westfalen an.



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