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Der Tarifabschluss in der Druckindustrie liegt nahe am Angebot der
Unternehmerseite.
Die "positiven konjunkturellen"
Voraussetzungen und die landauf, landab wohlwollend "akzeptierten" Lohnabschlüsse in der
Chemie- und Metallindustrie, die zumindest nominell (wenn auch nicht in der Substanz) eine 3 bzw. 4 vor dem
Komma hatten, waren keine schlechte Ausgangsbedingung, die leider wenig in die Waagschale geworfene
Schlagkraft von gleichzeitigen Kampfaktionen mit den Ver.dianern von der Telekom jedoch eine letztlich
nicht wahrgenommene Option.
So ging es am 28.März in die erste
Tarifverhandlung, die etwas im letzten Jahrzehnt nicht mehr Gekanntes brachte, nämlich ein Angebot des
Unternehmerverbandes: Ab 1. April für 12 Monate 1,8% Lohnerhöhung, für die nächsten 12
Monate weitere 2%; potenziell zusätzliche Einmalzahlungen für die "besser verdienenden"
Unternehmen der Branche.
Angesichts der eigenen aufgestellten
Forderung von 6,5% lehnte Ver.di das "Angebot" brüsk und als "unverhandelbar" ab.
Wie sich heute nach weiteren vier vom 9. Mai bis 5.Juni von Warnstreiks in über hundert
Betrieben begleiteten Verhandlungen und angesichts des dann ausgehandelten Ergebnisses zeigt, eine
Spur zu "großmäulig". Zwangsläufig wurden damit Enttäuschung, Bitternis und
Unmut provoziert.
Der jetzt gefundene Tarifabschluss ist in
seiner Substanz nicht weit vom ersten Angebot der Druckindustriellen entfernt. Er beinhaltet: 3% ab 1. Juli
2007 (3 Nullmonate April bis Juni); 2,1% ab 1. Juli 2008 (3 Nullmonate April bis Juni); Gesamtlaufzeit 24
Monate.
Die Reaktionen sind entsprechend
vielfältig und zwiespältig. Wer meinte, eine 4 vor dem Komma durchsetzen zu können und in
seinem meist Zeitungsbetrieb, wo auch die 6,5%-Forderung auf die Tagesordnung gesetzt wurde, dafür
jedesmal warnstreikte, lehnt das Verhandlungsergebnis ab, spricht von Verrat der Verhandlungskommission und
Streikführung und ist wie schon immer auf die große Zahl der inaktiven Kolleginnen und Kollegen
in den Akzidenzdruckereien bis Klitschen sauer. Letztere bilden aber die große Masse der Betriebe in
der Druckindustrie, und von diesen kann gesagt werden, sie finden den Abschluss gar nicht so übel. In
zwei Dritteln der Druckbetriebe besteht eher das Problem, ob und wenn wie dieses Ergebnis betrieblich
umgesetzt werden kann.
Die da an verantwortlicher Stelle handeln
mussten, sind meist auch nicht des Verrats zu bezichtigten, sondern sind sich, immanent betrachtet, der
Probleme und Realitäten der Gesamtsituation manchmal bewusster als die so genannten Speerspitzen in
den Betrieben. Ihnen ist in erster Linie der Vorwurf zu machen, dass sie nicht offener über die
materiellen Wahrheiten debattieren und nach anderen Lösungen suchen.
Zu diesen materiellen Wahrheiten
gehört u.a.: Von den 180000 Beschäftigten in der Druckindustrie ist noch etwa ein Drittel
gewerkschaftlich organisiert. Von den 29 am Streik beteiligten Betrieben in NRW sind wahrscheinlich nur
zwei Drittel urabstimmungsfähig; in anderen Bundesländern sieht es noch schlechter aus. Fakt ist,
dass der Streik einer Spätschicht bei Springer z.B. leicht durch ein, zwei Angestellte/ Streikbrecher
kompensiert werden kann und das Erscheinen der Zeitung am nächsten Tag nicht verhindert wird.
Neben den wenigen Großbetrieben gibt
es vor allem kleine Mittelbetriebe bis Klitschen; auch solche, die von den Großen ausgelagert wurden
oder mit ihnen in Kooperation stehen. Hier wurden auch oftmals geräuschlos, nicht selten ohne Kenntnis
der Streikenden, Streikausfälle kompensiert.
Statt auf die vermeintliche Realität
einer besonders hohen Lohnforderung zu setzen, sollte man auch über andere Kampfmittel als den immer
unwirksamer werdenden Streik nachdenken: 500000 Menschen tragen allmorgendlich die Zeitung aus, was
wäre da zu tun? Wenn während der Tarifauseinandersetzung der G8-Gipfel tagt, was wäre zu
tun, dass es die Öffentlichkeit noch mitbekommt? Was brächte ein Autokorso, ein Infobus an
Außenwirkung, welche Kolleginnen und Kollegen, die nicht streiken, könnten erreicht und
einbezogen werden? Letztlich muss man zur Kenntnis nehmen, dass nicht tarifpolitisch und betrieblich
verteidigt werden kann, was einer massiven gesamtgesellschaftlichen Intervention bedarf.
Darauf weist einer der Ver.di-
Hauptverantwortlichen für den Druckbereich, Andreas Fröhlich, hin, der zu den vielfältigen
Kommentaren und Wutausbrüchen auf der Ver.di-Homepage u.a. äußerte: "Ja, auch die Wut
kann ich verstehen, denn ich bin auch wütend ... Ich bin wütend auf die Bedingungen, die
letztlich dazu führen, solche Tarifabschlüsse machen zu müssen ... Es ist besonders in
unserer Branche sportliche Herausforderung der Unternehmer geworden, durch ... Versuche von unbezahlter
Mehrarbeit und der Drohung mit bzw. dem Vollzug von Entlassungen sich im Markt zu positionieren. Die
Unternehmer glauben an diese Philosophie, weil sie in erheblichem Maße funktioniert. Und sie
funktioniert, weil es in den zurückliegenden Jahren gesamtgesellschaftlich keine durchschlagende
Gegenbewegung gegeben hat."
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