SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2007, Seite 19

Multis in Kolumbien

Interview mit Edgar Páez

Auf einem Workshop des Alternativgipfels zu G8, der von der Basisinitiative Solidarität (BaSo), der Ökumenischen Initiative Mittelamerika und Kolumbiengruppen aus verschiedenen Städten organisiert wurde, berichtete Edgar Páez, internationaler Sekretär der kolumbianischen Lebensmittelgewerkschaft Sinailtrainal, über die Situation in Kolumbien. Beatrix Sassermann, eine der Organisatorinnen der Veranstaltung, sprach mit ihm für die SoZ.

Edgar, eure Gewerkschaft ist Mitorganisatorin einer Anhörung im Rahmen des Ständigen Tribunals der Völker (STV) in Kolumbien. Was ist dieses Tribunal, und was wollt ihr mit der Anhörung erreichen?

Kolumbien ist ein an natürlichen Ressourcen sehr reiches Land, die besonders von multinationalen Konzernen ausgebeutet werden. Um sich Zugang zu den natürlichen Reichtümern zu sichern, begehen die Konzerne Verbrechen gegen die Menschheit oder profitieren zumindest von ihnen. Ermordungen, Vertreibungen, Kriminalisierung der sozialen Proteste sind ein Dauerzustand in unserem Land. Die Rohstoffe werden durch den sog. schmutzigen Krieg (Terror durch paramilitärische Gruppen) oder durch den Staat — das nennen wir Staatsterror — auf Kosten weiter Teile der Bevölkerung gewonnen.

Diese Politik wird von transnationalen wie von nationalen Konzernen wie auch von der kolumbianischen Regierung betrieben. Dabei hilft ihnen, dass seit vielen Jahren Tausende Verbrechen fast vollständige straffrei bleiben. Die Justiz funktioniert im Interesse der Reichen, was verheerende Auswirkungen auf unsere Organisationen hat.

Aufgrund dieser Situation hat sich eine bedeutende Anzahl von Organisationen an die Lelio-Basso- Stiftung in Italien gewandt und darum gebeten, in Kolumbien eine Session des Ständigen Tribunals der Völker (STV) einzuberufen. In öffentlichen Anhörungen soll über das Vorgehen der transnationalen Konzerne Gericht gehalten werden. Die Stiftung hat sechs Anhörungen einberufen. Die Themen sind Nahrungsmittel und Landwirtschaft, Bergbau, biologische Vielfalt, Erdöl, öffentlicher Dienst und die Ausrottung der indigenen Bevölkerung. Am Ende wird es ein abschließendes Urteil über die vorgetragenen Verbrechen geben.

Was ist das Ständige Tribunal der Völker?

Das STV ist ein Gericht mit Nichtregierungscharakter. Es geht auf das Russell-Tribunal zurück, das geholfen hat, die US-amerikanischen Kriegsverbrechen in Vietnam aufzuklären. Es ist ein juristisches Instrument zur Wahrheitsfindung, Erlangung von Gerechtigkeit und vollständiger Entschädigung der Opfer. Es besteht aus rund 130 Frauen und Männern mit hoher moralische Reputation. Es handelt sich um Soziologen, Indígenas, Politiker, Intellektuelle, Menschenrechtsvertreter und andere, die durch den Rat der Lelio-Basso-Stiftung für das Recht und die Befreiung der Völker bestellt werden.
Das STV fällt seine Urteile auf der Grundlage der Menschenrechtskonventionen und des Internationalen Rechts — ohne Rücksicht auf die Interessen der politisch Mächtigen, seien es nationale Eliten oder imperialen Herrscher. Sie werden außerhalb des üblichen juristischen Apparats der jeweiligen Länder gefällt und repräsentieren in gewisser Weise das ethische Bewusstsein der Völker bzw. der Menschheit.
Das STV ist bisher einunddreißigmal zusammen getreten, es hat sich immer mit gravierenden Leiden der Bevölkerung oder mit der Unterdrückung durch fremde Regierungen befasst. Neben dem Verhalten von multinationalen Konzernen wurden auch über die Politik von Weltbank und IWF gerichtet.
Vom 2. bis 4. August wird das STV in Bogotá ein Erdöl-Hearing durchführen, bei dem Anklagen gegen die Unternehmen Occidental Petroleum (OXY), Repsol und BP präsentiert werden.

Was sind die größten Probleme im Erdölsektor?

Die erwähnten Konzerne werden in mehreren Fällen der Verbrechen gegen die Menschheit und gegen die Umwelt beschuldigt. Dazu gehören die Auslöschung indigener Bevölkerungen (Guajivos und Uwas), die Zerstörung der biostrategischen Lagune del Lipa, systematische Menschenrechtsverletzungen und die Auslöschung von sozialen Bewegungen, besonders in den Provinzen Casanare, Arauca, Boyaca, Santander.
Andere wichtige Themen, die vorgebracht werden, sind die Deregulierung der Arbeitsbedingungen, die Prekarisierung, die Massenentlassung von Streikenden, die Ermordung und das Verschwindenlassen von Hunderten Gewerkschaftern der Erdölgewerkschaft USO — auch mit dem Ziel, den Widerstand gegen die Privatisierung der Erdölproduktion (Ecopetrol) zu brechen und transnationalen Firmen noch stärker Zugriff auf kolumbianisches Erdöl zu verschaffen. Die USO ist entstanden im Kampf für die Verstaatlichung der Erdölproduktion. Heute ist sie mit der Privatisierung der zweiten Raffinerie im Norden Kolumbiens konfrontiert.
Der kolumbianische Staat hat diesen Prozess nicht nur durch Gesetzesänderungen, sondern auch durch den Aufbau und das Training paramilitärischer Gruppen und die Komplizenschaft bei Menschenrechtsverletzungen gefördert. Dafür wird vor dem Tribunal auch der kolumbianische Staat angeklagt werden.

Wer wird an dem Hearing teilnehmen?

Es werden Menschen aus den verschiedenen Regionen Kolumbiens, aber auch aus anderen Teilen der Welt zugegen sein.

Du warst auch bei Veranstaltungen des Gegengipfels dabei. Was war dein Eindruck?

Für mich war das eine sehr schöne Erfahrung: Große Demonstrationen, die die kriminelle Politik der Mächtigen, der Konzerne, den Kapitalismus angreifen. Tausende Menschen sind aus verschiedensten Ländern zusammengekommen, um gemeinsam für eine bessere Zukunft zu kämpfen, Alternativen zu entwickeln und Aktionen zu koordinieren, damit unsere Träume von der anderen Welt ein Gesicht bekommen.

In Deutschland ist deine Gewerkschaft hauptsächlich durch die Kampagnen gegen Coca Cola und Nestlé bekannt. Wie ist der Stand bei diesen Kampagnen?

Sie gehen weiter und weiten sich aus zu einer allgemeinen Solidarität mit unseren Kämpfen. Der Einfluss der Konzerne und die Umweltprobleme werden immer größer. Immer weniger Arbeiter haben vernünftige Beschäftigungsverhältnisse. Die Abhängigkeit bei der Nahrungsmittelversorgung wächst, der Abbau der demokratischen Rechte schreitet voran und die Menschenrechte werden weiter verletzt. Deshalb sollte die Solidarität sich nicht nur auf einen Konzern beschränken, sondern wir sollten gemeinsam weitere Initiativen ergreifen.
Am 22. Juli 2008 wird in Bogotá das letzte zusammenfassende Tribunal stattfinden. Wir möchten gerne, dass ihr uns bei diesen Aktivitäten begleitet und uns helft, unsere gravierende Situation sichtbar zu machen. Gemeinsam kommen wir besser voran auf der Suche nach sozialer Gerechtigkeit, Souveränität und einem würdigen Leben. Lasst uns unsere gemeinsamen Bemühungen des Widerstands und für das Leben verstärken. Vielen Dank dafür, und wir sehen uns in Kolumbien!


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