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Der Film erzählt von Massakern der Wehrmacht in Griechenland 1944. Die
jüngste Entscheidung eines italienischen Gerichts, die Opfer durch Enteignung deutschen Eigentums in
Italien zu entschädigen, verleiht ihm ungewollte Aktualität.
Als Mussolini im Frühjahr 1941 versuchte, weite Teile des Balkans zu annektieren, kam es sowohl in
Jugoslawien wie in Griechenland zu so heftiger Gegenwehr, dass eine Niederlage der italienischen Truppen
drohte. Hitler eilte Mussolini zu Hilfe, was bewirkte, dass die Wehrmacht Moskau nicht vor Einbruch des
Winters 1941 einnehmen konnte.
Der massive Widerstand auf dem Balkan mit
Angriffen zahlreicher Partisanengruppen auf die Besatzer führte zu einer Brutalisierung des Krieges
mit zahlreichen Massakern. Eine ähnliche Entwicklung gab es 1944, als sich die Niederlage der
faschistischen Länder immer deutlicher abzeichnete.
In Griechenland kam es in fast 500
Dörfern und Städten zu solchen Bluttaten; die bekanntesten betroffenen Orte sind Kalavrita auf
dem Peloponnes, Kandanos auf Kreta und Distomo in der Nähe von Delphi (wo auch etwa 50 Dörfer
niedergebrannt wurden).
Nach dem Krieg verlangte Griechenland von
der BRD Reparationszahlungen in Höhe von 7 Milliarden Dollar, doch der Kalte Krieg und
schließlich die NATO-Mitgliedschaft beider Länder verhinderten sowohl die Zahlungen wie auch eine
ernsthafte Beschäftigung mit den Verbrechen der Wehrmacht (dasselbe gilt übrigens für
Italien).
Der Film Ein Lied für Argyris des
Schweizers Stefan Haupt rollt die Problematik am Beispiel von Argyris Sfountouris auf, der beim Massaker
von Distomo 1944 die Eltern und dreißig weitere Familienmitglieder verlor 218 Bewohner wurden
damals ermordet und 1948 im Zuge einer "humanitären Aktion" in die Schweiz gebracht
wurde, wo er in einem Pestalozzi-Dorf aufwuchs, das ungesühnte Verbrechen der Nazizeit aufarbeitete.
Es ist ein unglaublich bewegender
Dokumentarfilm entstanden. Das Material, in langen Recherchen zusammengetragen, wird durch eine bestimmte
filmische Montage zum Sprechen gebracht, ohne mit belanglosen Kommentaren oder dem erhobenen Zeigefinger
herumzufuchteln.
Zunächst geht es um den Zeitzeugen
Argyris Sfountouris; das nach dem Massaker aufgenommene Bild des fünfjährigen Jungen mit zwei wie
Nonnen gekleideten trauernden Frauen im Hintergrund man denkt sofort an eine griechische
Tragödie begleitet den Film wie ein Erkennungszeichen.
Argyris konnte in der Schweiz Abitur machen
und studieren; er arbeitete als Lehrer und später als Astrophysiker an der ETH in Zürich und ist
inzwischen Rentner. Es könnte also eine bürgerliche Erfolgsgeschichte eines gelungenen Aufstiegs
sein, wären da nicht die Erinnerungen und das Trauma eines Mannes, der keine
"Versöhnung" mit der Vergangenheit finden kann.
Zunächst ist da das Problem, dass er
die "Tätersprache" spricht (wenn auch in schwyzerdütscher Form), was bei seinen
frühen Besuchen in der Heimat zu erheblichen Verstörungen führt. Aber auch Opfer verhalten
sich nicht per se "moralisch besser", wie man am Ausschnitt aus einem Spielfilm sehen kann, der
1953 im Pestalozzi-Dorf mit Argyris in einer Nebenrolle gedreht wurde, und der auf der Berlinale sogar
einen Preis gewann. Darin geht es um eine Hetzjagd auf die Täter, in diesem Fall deutsche Kinder, die
verfolgt und verprügelt werden. Argyris hat heute ein sehr kritisches Verhältnis zu diesem Film,
weil er die Täterfrage in nationalen und nicht in moralischen Kriterien angeht.
Argyris Sfountouris politisierte sich im
Kampf gegen die Militärdiktatur der Obristen 19671974, wobei er sich vor allem mit
Öffentlichkeitsarbeit über die Verbrechen der von den Westmächten ausgehaltenen Diktatoren
hervortat. Gleichzeitig begann er, Werke griechischer Schriftsteller und Lyriker ins Deutsche zu
übertragen und zu veröffentlichen. Spuren dieser (oft nur hektografierten) Arbeiten sind noch in
einem Antiquariat zu sehen.
Zusammen mit anderen forderte Argyris
Gerechtigkeit für die Opfer von Distomo. Die volle völkerrechtliche Souveränität
Deutschlands nach 1990 schien eine Chance zu bieten, die unter dem Deckel gehaltenen Forderungen der Opfer
endlich durchzusetzen. Griechische Gerichte entschieden zugunsten der Klagenden und im Jahre 2000 war man
dabei, deutsches Eigentum in Griechenland zu pfänden, als unter deutschem Druck und einer politischen
Entscheidung der griechischen Regierung die Opfer wieder leer ausgingen. Klagen in Deutschland waren
bislang erfolglos.
Der Bundesgerichtshof erkannte zwar an,
dass in Distomo eines "der abscheulichsten Kriegsverbrechen" begangen worden sei, das Massaker
sei jedoch "eine Maßnahme im Rahmen der Kriegsführung" gewesen, weshalb den Opfern von
Rechts wegen keine Entschädigung zustünde. Das Gericht machte sich damit auch noch die Lüge
des (später im Osten gefallenen) SS-Hauptsturmführers Fritz Lautenbach zu eigen, der für den
Distomo-Einsatz verantwortlich gewesen war; gegen ihn hatte sogar die Feldpolizei der Wehrmacht ein
Ermittlungsverfahren angestrengt.
Nachdem sowohl die griechischen als auch
deutsche Klagen umsonst waren, konnten die Familien der 218 Opfer von Distomo endlich in Italien einen
Erfolg erzielen: ein Florentiner Gericht verfügte die Pfändung deutscher Besitztümer in
Italien zwei Villen am Comer See, darunter das deutsch-italienische Tagungszentrum "Villa
Vigoni". Das Auswärtige Amt hat den Vorgang bislang nicht kommentiert, will die Entscheidung
jedoch vor dem Kassationsgericht in Rom anfechten.
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