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Im Herbst soll der Bundestag die Mandate für die deutsche Beteiligung am
Krieg in Afghanistan verlängern. Die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland lehnt die
Militärpräsenz in Afghanistan ab. Trotzdem scheint ein Ausstieg aus den Operationen am Hindukusch
unwahrscheinlich.
Über die Lage in Afghanistan und die
Situation vor der Bundestagsabstimmung sprach Harald Etzbach für die SoZ mit dem außenpolitischen
Sprecher der Fraktion Die Linke im Bundestag, Norman Paech.
Sie waren Anfang dieses Jahres in Afghanistan. Welchen Eindruck haben Sie dort von der Situation im
Land gewonnen?
Ich kenne Afghanistan seit Anfang der 70er Jahre. Der Zustand des Landes heute ist außerordentlich
beklagenswert. Das betrifft nicht nur die physischen Zerstörungen, die wieder beseitigt werden
können. Afghanistan ist niemals eine Kolonie gewesen, heute aber ist es ein Protektorat, das keinerlei
Souveränität mehr hat. Hinzu kommen eine nahezu unübersehbare Zahl von Geld gebenden NGOs
aus Europa und den USA, die dort alle ihre mehr oder weniger segensreichen Aktivitäten entfalten und
sich etliche Afghanen heranholen, die von ihnen abhängig sind. Das Land ist durchdrungen mit zum Teil
zweifelhaften internationalen Institutionen, die Lage ist vollkommen unübersichtlich.
Zum anderen ist jegliche ökonomische
Tätigkeit außer Schmuggel, Opiumanbau und ähnlichen kriminellen Aktivitäten
unterbunden. Es gibt keine einheimische Industrie, nicht einmal eine Lebensmittelindustrie. Alles wird
importiert oder über die grüne Grenze gebracht.
Wie steht die Bevölkerung zu den ausländischen Truppen, insbesondere zur Bundeswehr?
Wenn man den SPD-Außenpolitiker Niels Annen fragt, der zur Zeit mit seinem Fraktionsvorsitzenden
Peter Struck in Afghanistan unterwegs ist, wird man hören, er habe niemanden getroffen, der nicht
für die Anwesenheit ausländischer Truppen ist. Das hört man immer im Umkreis der
Botschaften, also bei jenen, die davon profitieren. Verlässt man aber diesen Kreis, dann wird die
Skepsis gegenüber dem ausländischen militärischen Engagement immer größer. Ich
habe bei meinen Kontakten in Afghanistan, zum Beispiel an der Universität, aber auch unter
Abgeordneten, sehr viele getroffen, die gegen die Anwesenheit ausländischer Truppen sind.
Wie hat sich die Sicherheitslage in Afghanistan in den letzten Jahren entwickelt?
Sie hat sich seit 2001 kontinuierlich verschlechtert. André Brie konnte noch 2003 als
Europaabgeordneter problemlos durch das Land reisen. Ich selbst habe mich nur unter starkem
militärischem Schutz in zwei Provinzen bewegen können. Heute ist wohl auch das nicht mehr
möglich.
Können Sie etwas zur Lage der Frauen in Afghanistan sagen? Immerhin war ja die
Unterdrückung der Frauen durch die Taliban ja ein Argument, mit dem die Intervention in Afghanistan
gerechtfertigt wurde.
Anfang der 70er Jahre habe ich in Afghanistan eine große Zahl von vollkommen emanzipierten Frauen
mit westlicher Kleidung und westlicher Ausbildung erlebt. Das gibt es heute wieder. Man sieht aber sehr
viel häufiger Frauen, selbst in Kabul, die nur verschleiert mit Tschador oder Burqa auf die
Straße gehen. Das gilt auch für politisch aktive Frauen. Ich glaube übrigens nicht, dass die
Zahl der öffentlich aktiven Frauen heute bedeutend größer ist als zur Zeit der Reformen
unter Taraki und Amin Ende der 70er Jahre.
Wie wirkt die Präsenz ausländischer Truppen in der Region insgesamt, Stichwort
Pakistan?
Dazu kann ich wenig sagen, weil es von Afghanistan aus fast unmöglich ist, einen Überblick zu
gewinnen. Ich hatte geplant, zwei Camps der Bundeswehr zu besuchen, das Camp in Mazar-i-Sharif und das Camp
Warehouse. Das wurde aber dann von Seiten der Bundeswehr aus irgendwelchen Gründen abgesagt. UN-
Vertreter, aber auch der Gouverneur der an der Grenze zu Pakistan gelegenen Provinz Paktika haben mir
gesagt, sie hätten keinen Überblick über die Aktivitäten der Amerikaner und der
ausländischen Truppen. Das ist alles völlig undurchsichtig, und die Amerikaner lassen sich da
auch nicht in die Karten schauen. Sie betrachten das als ihre Domäne. Genau das gehört eben zum
vollkommenen Ausschalten der afghanischen Souveränität.
Im Herbst soll der Bundestag die Mandate International Security Assistance Force (ISAF), Operation
Enduring Freedom (OEF) und den Tornado-Einsatz verlängern. Wie hängen diese drei Mandate
zusammen? Oder sind es völlig getrennte Dinge, wie von der Bundesregierung behauptet wird?
Nein, seit dem NATO-Gipfeltreffen in Istanbul im Juni 2004 sind ISAF und OEF eigentlich nur noch nach
außen hin formal getrennt. Das ist eine einheitliche Mission, die sich auch verschiedentlich
völkerrechtswidriger Methoden bedient hat, wobei die Zivilbevölkerung unter allen
militärischen Aktionen sehr stark zu leiden hatte.
Sie halten also nichts von der Forderung, ISAF und OEF zu entkoppeln, wie sie zum Teil von SPD und
Grünen vorgebracht wird?
Da ist nichts mehr zu entkoppeln, es sei denn, dass OEF völlig eingestellt wird, was aber
völlig illusorisch ist. Daraus ergibt sich die Position der Bundestagsfraktion, dass wir alle drei
Mandate ablehnen und sie auflösen wollen.
nGlauben Sie, dass der Bundestag der Verlängerung der Mandate zustimmen wird? Immerhin gibt es ja
kritische Stimmen in allen Parteien.
Ja, er wird zustimmen, und wir werden
ablehnen.
Welche Interessen verfolgt Deutschland in Afghanistan? Sind es eigene Interessen, oder agiert
Deutschland als Anhängsel der US-Politik?
Deutschland hat traditionell eine starke Verbindung zu Afghanistan, im kulturellen wie im
wissenschaftlichen Bereich. Der wirtschaftliche Bereich war bislang weniger wichtig. Diese Beziehung hat
sich über die Entwicklungspolitik und die wissenschaftlich-kulturelle Zusammenarbeit über
Jahrzehnte hinweg geformt. In jüngster Zeit haben sich allerdings die Interessen verschoben: mit den
Amerikanern sind strategische Interessen im Bereich der Sicherung von Rohstoffen hinzugekommen, und die
Bundesregierung hat sich an dieser Interessendurchsetzung beteiligt, indem sie im Rahmen der NATO mit den
Amerikanern zusammen deren Krieg dort führt. Sie geht von einem Zeitrahmen von über zehn Jahren
aus, die Briten haben schon von vierzig Jahren gesprochen. Das alles deutet darauf hin, dass die NATO in
ihrer Gesamtheit mit den USA dort ihre strategischen Rohstoffinteressen will sowohl in Bezug auf
ihre Ausbeutung wie auf ihren Transport. Da spielt die Bundesregierung nun mit.
Was antworten Sie denen, die sagen, nach einem Abzug der ausländischen Truppen werde
Afghanistan unweigerlich im Chaos versinken?
Größer als jetzt kann das Chaos eigentlich nicht werden. Ich glaube auch nicht, dass
militärische Präsenz eine Lösung sein kann, sondern selbst das Problem ist, das zu Chaos und
zur Militarisierung der gesamten afghanischen Gesellschaft führt. Der Abzug der ausländischen
Truppen ist die Voraussetzung dafür, dass es in Afghanistan überhaupt wieder zu einem normalen
Leben kommen kann. Es wird wahrscheinlich in einer Übergangszeit weiter Auseinandersetzungen, auch
gewalttätige, geben. Aber nur nach einem Truppenabzug ist eine Beruhigung und Entwicklung in dieser
Gesellschaft wieder möglich.
Wie könnte eine sinnvolle Afghanistanpolitik demnach aussehen?
Zunächst muss die Souveränität des Landes wiederhergestellt werden. Afghanistan darf
nicht länger den Status eines Kolonialstaats haben. Dann müssen auf gleichberechtigter Basis die
Projekte der Entwicklungszusammenarbeit, der kulturellen und wissenschaftlichen Zusammenarbeit wieder
aufgenommen werden. Das sollte aber ein Angebot sein und den Afghanen nicht aufgezwungen werden.
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