SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2007, Seite 06

Lokführer erläutern ihren Arbeitskampf

"In Deutschland hat man verlernt zu kämpfen"

von Angela Huemer und Angela Klein

In den letzten Wochen haben die Lokomotivführer mit ihren Warnstreiks, ihrer "Sturheit" und ihren angeblich exorbitanten Forderungen ganz Deutschland in Aufruhr versetzt. Die beiden anderen Bahngewerkschaften, Transnet und GDBA (Gewerkschaft der Deutschen Bahn), haben sich im Juli nach einigem Gezerre und kleineren Warnstreiks mit Bahnchef Mehdorn gütlich auf 4,5% Lohnsteigerung plus einer Einmalzahlung von 600 Euro geeinigt. Die GDL hingegen ist in die Rolle des böse kleinen Jungen vom Dienst gedrängt.
Die GDL ist mittlerweile nicht mehr nur eine Gewerkschaft der Lokomotivführer, sondern organisiert auch das Fahrpersonal, sowohl Zugbegleiter wie auch das Servicepersonal. Sie vertritt 62% des gesamten Fahrpersonals und 80% der Lokomotivführer.
Das Netzwerk Linke Opposition hat Mitte August in Köln-Ehrenfeld den Vorsitzenden der Gewerkschaft der Lokomotivführer in NRW, Frank Schmidt, zu einer Veranstaltung eingeladen. Zusammen mit drei Lokomotivführern erläutert er die Klagetaktik der Bahn und die Positionen der GDL. Die Kölner Veranstaltung fand mitten in der Friedensfrist statt, die den Lokführern bis zum 27.August durch eine einstweilige Verfügung vom Arbeitsgericht Nürnberg aufgezwungen wurde; bis dahin wird nicht gestreikt.
Die Streiks waren notwendig geworden, erzählt Schmidt, als von der Bahn AG als einziges "Angebot" die Aufforderung kam, sich die von Transnet und GDBA ausgehandelten Ergebnisse zu eigen zu machen, wohl wissend, dass es für eine Gewerkschaft undenkbar ist, ein Verhandlungsergebnis anzunehmen, an dessen Entstehen sie nicht einmal beteiligt war.
Frank Schmidt stellt auch die Berichterstattung über die Forderungen der GdL richtig: Die Forderung nach 31% Lohnerhöhung sei zunächst nur ein Rechenbeispiel in dem von der GDL geforderten eigenständigen Tarifvertrag für das Fahrpersonal gewesen. Die Lokführer fordern in ihrem auszuhandelnden Tarifvertrag ein Tabellensystem, das beginnt bei der Ersteinstellung eines Lokomotivführers. Als Einstiegsgehalt soll ein Lokführer 2500 Euro erhalten; darin sind etwa 120 Euro Bestandteile enthalten, die heute schon gezahlt werden. Bislang verdient er 1800 brutto. Vor allem Weihnachts- und Urlaubsgeld dürfen nicht immer wieder gesondert ausgehandelt werden, "die gehören ins Grundgehalt", sagt Frank Schmidt. "Die sind in den 70er Jahren von der Arbeitnehmerschaft bezahlt worden, heute wird so getan, als seien es Almosen."
Das Gehalt soll dann mit zunehmender Berufserfahrung und Konzernzugehörigkeit über 30 Jahre hindurch steigen. "Je älter ein Lokführer wird, desto mehr Streckenkunde hat er, desto mehr Fahrzeuge hat er gefahren, um so sicherer wird er im Job; und das A und O ist immer Ausbildung und Weiterbildung, wonach in Deutschland bezahlt wird." Die Tabellenforderung wurde an einem Rechenbeispiel verdeutlicht — da kommen die 31% Lohnerhöhung her, die die GdL als Forderung aber nie genannt hat. "Diese 31% haben Herr Mehdorn und Frau Sukale (Personalchefin bei der Bahn) herausposaunt und als exorbitant und unverschämt dargestellt. Das war nie unsere Forderung."
Für das restliche Fahrpersonal fordert die GDL mindestens 2180 Euro für Zugbegleiter und 1820 Euro Gastronomiemitarbeiter, immer brutto, versteht sich.
"Und damit nicht wieder ein Richter oder Anwalt der GdL unterstellt, sie sei mit ihrer Tabelle in der Friedenspflicht, haben wir überlegt: Ganz Deutschland weiß von den 31%, dann nehmen wir sie auch und machen sie zu unserer Forderung. So sind die 31% bei der GdL entstanden.

Gerichtsstände

Am 19.März unterbreitete die GdL der Bahn AG — und der Gewerkschaft Transnet zur Kenntnis — ihren Vorschlag für einen Fahrpersonaltarifvertrag. Bis zum 3.Juli gab es keine Gespräche mit der GdL, und danach auch nur, weil sie zum ersten Mal in den Streik trat, nachdem die Friedenspflicht abgelaufen war. Zu dem Zeitpunkt befanden sich außerdem noch Transnet und GDBA im Streik; sie schlossen am 9.7. ab. Danach hagelte es einstweilige Verfügungen, allein drei aus Mainz. Das Arbeitsgericht behauptete, die GdL befinde sich noch in der Friedenspflicht. "Wir haben ein Gesamtwerk als Tarifvertrag vorgeschlagen, der berührt halt auch andere, noch bestehende Tarifverträge, die bei der Bahn AG nicht gekündigt sind" — z.B. einen Beschäftigungssicherungsvertrag, den die GdL auch unterschrieben hat. Daraus wird immer wieder eine Friedenspflicht konstruiert. "Leider können wir deshalb diese Tabelle nicht zum Gegenstand eines Streikaufrufs und unserer Forderungen machen." Die GdL hat daraufhin ihre Forderungen überarbeitet, was nicht heißt, dass sie ihren Fahrpersonaltarifvertrag zurückgenommen hätte. Sie konzentriert sich jetzt darauf, dass sie überhaupt einen eigenen Tarifvertrag abschließt.
Mehdorn versucht, die GDL mit Klagen gefügig zu machen. Die Bahn AG kann praktisch an jedem der über 200 Arbeitsgerichte in Deutschland klagen, denn die Eisenbahn gibt es ja überall. Beim Arbeitsgericht Nürnberg hatte sie Erfolg; es hat der GdL den Streik untersagt, weil er "volkswirtschaftlichen Schaden anrichtet". "Wenn man das zu Ende denkt", sagt Schmidt, "hat sich die Privatisierung der Bahn erledigt. Lokomotivführer und Zugbegleiter dürften nach dieser Argumentation dann gar nicht mehr streiken, weil die Bahn ja ein so hohes volkswirtschaftliches Gut ist. Dann wird die Bahn wieder zu einer Behördenbahn. Wenn man aber sagt, es gibt Berufsgruppen, die von Natur aus kein Streikrecht haben, dann reden wir von leitenden Angestellten; dann müssten Lokführer eigentlich als leitende Angestellte eingestellt werden. Dann reden wir von mehr als von einer Lohnsteigerung um 31%."
Bislang wurden die Streikverbote noch immer in höherer Instanz aufgehoben. Es gab auch etliche Gerichte, die sich für nicht zuständig erklärten und die Klage nach Frankfurt verwiesen haben. Aber in Frankfurt am Main hat Mehdorn seine Klage zurückgezogen.

Der eigene Tarifvertrag

Die Lohnforderung steht für die GdL nicht im Vordergrund. Das Wichtigste ist ihr der Abschluss eines eigenen Tarifvertrags. "Der eigene Tarifvertrag ist für die GdL nicht verhandelbar. Der ist Dogma. Sämtliche Inhalte sind verhandelbar. Das war noch nie anders gewesen."
Der eigene Tarifvertrag ist nicht leicht zu vermitteln, auch in der Öffentlichkeit nicht. Die Bevölkerung versteht eher, dass Lokführer ein verantwortungsvoller Job ist, für den mehr als maximal 1928 Euro gezahlt werden müssen, als dass sie versteht: Wenn der Lokführer eine andere Gehaltsstruktur haben will, muss er einen eigenen Tarifvertrag bekommen. Denn mit der Verhandlungsführung von Transnet und GdBA bekommt er sie nie. Mehdorn und Hansen (Vorsitzender von Transnet) scheinen hauptsächlich von der Furcht umgetrieben zu werden, der geplante Börsengang der Bahn könne platzen. "Die Bahn ist ohne GDL einfacher an der Börse loszukriegen", bringt Schmidt es auf den Punkt. Deshalb will man die GdL kaputtmachen.
Schmidt verweist auf andere Beispiele, wo aus dem eigenen Tarifvertrag kein Problem gemacht wurde. Die Lufthansa beispielsweise hat kein Problem damit, gesonderte Tarifverträge für das fliegende Personal zu haben. Indes muss es stutzig machen, wenn der Chef des Arbeitgeberverbands, Dieter Hundt, sich auf einmal vehement gegen einen gesonderten Tarifvertrag für die GDL ausspricht — bis dato hat er immer gegen den Flächentarifvertrag gewettert.
Mitte August hat eine sog. Mediation begonnen, d.h. eine Reihe von Vermittlungsgesprächen, die dazu dienen sollen, wieder eine Gesprächsbasis zu schaffen. Die GDL hat dem zugestimmt, um das eigene Anliegen in der Öffentlichkeit schlüssig zu vermitteln.
Die GdL verwahrt sich dagegen, als "radikal" eingestuft zu werden. Sie will "Gerechtigkeit statt Gleichmacherei". Aber: "In Deutschland hat man verlernt zu kämpfen. Beim Tarifkampf geht es schon lange nicht mehr um eine Summe."


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