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In den
letzten Wochen haben die Lokomotivführer mit ihren Warnstreiks, ihrer "Sturheit" und ihren
angeblich exorbitanten Forderungen ganz Deutschland in Aufruhr versetzt. Die beiden anderen
Bahngewerkschaften, Transnet und GDBA (Gewerkschaft der Deutschen Bahn), haben sich im Juli nach einigem
Gezerre und kleineren Warnstreiks mit Bahnchef Mehdorn gütlich auf 4,5% Lohnsteigerung plus einer
Einmalzahlung von 600 Euro geeinigt. Die GDL hingegen ist in die Rolle des böse kleinen Jungen vom
Dienst gedrängt.
Die GDL ist mittlerweile nicht mehr nur
eine Gewerkschaft der Lokomotivführer, sondern organisiert auch das Fahrpersonal, sowohl Zugbegleiter
wie auch das Servicepersonal. Sie vertritt 62% des gesamten Fahrpersonals und 80% der Lokomotivführer.
Das Netzwerk Linke Opposition hat Mitte
August in Köln-Ehrenfeld den Vorsitzenden der Gewerkschaft der Lokomotivführer in NRW, Frank
Schmidt, zu einer Veranstaltung eingeladen. Zusammen mit drei Lokomotivführern erläutert er die
Klagetaktik der Bahn und die Positionen der GDL. Die Kölner Veranstaltung fand mitten in der
Friedensfrist statt, die den Lokführern bis zum 27.August durch eine einstweilige Verfügung vom
Arbeitsgericht Nürnberg aufgezwungen wurde; bis dahin wird nicht gestreikt.
Die Streiks waren notwendig geworden,
erzählt Schmidt, als von der Bahn AG als einziges "Angebot" die Aufforderung kam, sich die
von Transnet und GDBA ausgehandelten Ergebnisse zu eigen zu machen, wohl wissend, dass es für eine
Gewerkschaft undenkbar ist, ein Verhandlungsergebnis anzunehmen, an dessen Entstehen sie nicht einmal
beteiligt war.
Frank Schmidt stellt auch die
Berichterstattung über die Forderungen der GdL richtig: Die Forderung nach 31% Lohnerhöhung sei
zunächst nur ein Rechenbeispiel in dem von der GDL geforderten eigenständigen Tarifvertrag
für das Fahrpersonal gewesen. Die Lokführer fordern in ihrem auszuhandelnden Tarifvertrag ein
Tabellensystem, das beginnt bei der Ersteinstellung eines Lokomotivführers. Als Einstiegsgehalt soll
ein Lokführer 2500 Euro erhalten; darin sind etwa 120 Euro Bestandteile enthalten, die heute schon
gezahlt werden. Bislang verdient er 1800 brutto. Vor allem Weihnachts- und Urlaubsgeld dürfen nicht
immer wieder gesondert ausgehandelt werden, "die gehören ins Grundgehalt", sagt Frank
Schmidt. "Die sind in den 70er Jahren von der Arbeitnehmerschaft bezahlt worden, heute wird so getan,
als seien es Almosen."
Das Gehalt soll dann mit zunehmender
Berufserfahrung und Konzernzugehörigkeit über 30 Jahre hindurch steigen. "Je älter ein
Lokführer wird, desto mehr Streckenkunde hat er, desto mehr Fahrzeuge hat er gefahren, um so sicherer
wird er im Job; und das A und O ist immer Ausbildung und Weiterbildung, wonach in Deutschland bezahlt
wird." Die Tabellenforderung wurde an einem Rechenbeispiel verdeutlicht da kommen die 31%
Lohnerhöhung her, die die GdL als Forderung aber nie genannt hat. "Diese 31% haben Herr Mehdorn
und Frau Sukale (Personalchefin bei der Bahn) herausposaunt und als exorbitant und unverschämt
dargestellt. Das war nie unsere Forderung."
Für das restliche Fahrpersonal fordert
die GDL mindestens 2180 Euro für Zugbegleiter und 1820 Euro Gastronomiemitarbeiter, immer brutto,
versteht sich.
"Und damit nicht wieder ein Richter
oder Anwalt der GdL unterstellt, sie sei mit ihrer Tabelle in der Friedenspflicht, haben wir überlegt:
Ganz Deutschland weiß von den 31%, dann nehmen wir sie auch und machen sie zu unserer Forderung. So
sind die 31% bei der GdL entstanden.
Am 19.März unterbreitete die GdL der Bahn AG und der Gewerkschaft Transnet zur Kenntnis
ihren Vorschlag für einen Fahrpersonaltarifvertrag. Bis zum 3.Juli gab es keine Gespräche
mit der GdL, und danach auch nur, weil sie zum ersten Mal in den Streik trat, nachdem die Friedenspflicht
abgelaufen war. Zu dem Zeitpunkt befanden sich außerdem noch Transnet und GDBA im Streik; sie
schlossen am 9.7. ab. Danach hagelte es einstweilige Verfügungen, allein drei aus Mainz. Das
Arbeitsgericht behauptete, die GdL befinde sich noch in der Friedenspflicht. "Wir haben ein Gesamtwerk
als Tarifvertrag vorgeschlagen, der berührt halt auch andere, noch bestehende Tarifverträge, die
bei der Bahn AG nicht gekündigt sind" z.B. einen Beschäftigungssicherungsvertrag, den
die GdL auch unterschrieben hat. Daraus wird immer wieder eine Friedenspflicht konstruiert. "Leider
können wir deshalb diese Tabelle nicht zum Gegenstand eines Streikaufrufs und unserer Forderungen
machen." Die GdL hat daraufhin ihre Forderungen überarbeitet, was nicht heißt, dass sie
ihren Fahrpersonaltarifvertrag zurückgenommen hätte. Sie konzentriert sich jetzt darauf, dass sie
überhaupt einen eigenen Tarifvertrag abschließt.
Mehdorn versucht, die GDL mit Klagen
gefügig zu machen. Die Bahn AG kann praktisch an jedem der über 200 Arbeitsgerichte in
Deutschland klagen, denn die Eisenbahn gibt es ja überall. Beim Arbeitsgericht Nürnberg hatte sie
Erfolg; es hat der GdL den Streik untersagt, weil er "volkswirtschaftlichen Schaden anrichtet".
"Wenn man das zu Ende denkt", sagt Schmidt, "hat sich die Privatisierung der Bahn erledigt.
Lokomotivführer und Zugbegleiter dürften nach dieser Argumentation dann gar nicht mehr streiken,
weil die Bahn ja ein so hohes volkswirtschaftliches Gut ist. Dann wird die Bahn wieder zu einer
Behördenbahn. Wenn man aber sagt, es gibt Berufsgruppen, die von Natur aus kein Streikrecht haben,
dann reden wir von leitenden Angestellten; dann müssten Lokführer eigentlich als leitende
Angestellte eingestellt werden. Dann reden wir von mehr als von einer Lohnsteigerung um 31%."
Bislang wurden die Streikverbote noch immer
in höherer Instanz aufgehoben. Es gab auch etliche Gerichte, die sich für nicht zuständig
erklärten und die Klage nach Frankfurt verwiesen haben. Aber in Frankfurt am Main hat Mehdorn seine
Klage zurückgezogen.
Die Lohnforderung steht für die GdL nicht im Vordergrund. Das Wichtigste ist ihr der Abschluss
eines eigenen Tarifvertrags. "Der eigene Tarifvertrag ist für die GdL nicht verhandelbar. Der ist
Dogma. Sämtliche Inhalte sind verhandelbar. Das war noch nie anders gewesen."
Der eigene Tarifvertrag ist nicht leicht zu
vermitteln, auch in der Öffentlichkeit nicht. Die Bevölkerung versteht eher, dass Lokführer
ein verantwortungsvoller Job ist, für den mehr als maximal 1928 Euro gezahlt werden müssen, als
dass sie versteht: Wenn der Lokführer eine andere Gehaltsstruktur haben will, muss er einen eigenen
Tarifvertrag bekommen. Denn mit der Verhandlungsführung von Transnet und GdBA bekommt er sie nie.
Mehdorn und Hansen (Vorsitzender von Transnet) scheinen hauptsächlich von der Furcht umgetrieben zu
werden, der geplante Börsengang der Bahn könne platzen. "Die Bahn ist ohne GDL einfacher an
der Börse loszukriegen", bringt Schmidt es auf den Punkt. Deshalb will man die GdL kaputtmachen.
Schmidt verweist auf andere Beispiele, wo
aus dem eigenen Tarifvertrag kein Problem gemacht wurde. Die Lufthansa beispielsweise hat kein Problem
damit, gesonderte Tarifverträge für das fliegende Personal zu haben. Indes muss es stutzig
machen, wenn der Chef des Arbeitgeberverbands, Dieter Hundt, sich auf einmal vehement gegen einen
gesonderten Tarifvertrag für die GDL ausspricht bis dato hat er immer gegen den
Flächentarifvertrag gewettert.
Mitte August hat eine sog. Mediation
begonnen, d.h. eine Reihe von Vermittlungsgesprächen, die dazu dienen sollen, wieder eine
Gesprächsbasis zu schaffen. Die GDL hat dem zugestimmt, um das eigene Anliegen in der
Öffentlichkeit schlüssig zu vermitteln.
Die GdL verwahrt sich dagegen, als
"radikal" eingestuft zu werden. Sie will "Gerechtigkeit statt Gleichmacherei". Aber:
"In Deutschland hat man verlernt zu kämpfen. Beim Tarifkampf geht es schon lange nicht mehr um
eine Summe."
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