SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2007, Seite 07

Links wollen

... und links bekommen

von Jochen Gester

"Deutschland rückt nach links", titelte die Zeit im August. Angesichts der Erfahrung, dass in Berlin eine Koalition herrscht, die sich der Agenda-2010-Politik des Exkanzlers verpflichtet weiß und dem Wissen, dass die grün-gelbe Opposition nicht gerade links davon steht, verwundert diese These. Hintergrund der Schlussfolgerung der Zeit-Redaktion ist eine von ihr beauftragte Emnid-Bürgerbefragung, die erstaunliche Ergebnisse hervorgebracht hatte. Die Befragten gaben zu Papier, dass sie auf zentralen Politikfeldern genug haben vom penetranten TINA-Gedröhne der neoliberalen Parlamentsmehrheit und bereit wären der Vermarktwirtschaftung der Gesellschaft klare Grenzen zu setzen. Interessant dabei ist, dass sich diese Neigung nicht auf den Teil der Wählerschaft beschränkt, dem man so etwas traditionell zutrauen würde. Einige Beispiele:
82% der SPD-Wähler unterstützen die Rücknahme der Rente mit 67. In der Union sind es ebenfalls 80%. Die Unterstützung eines Mindestlohns geht soweit, dass er sogar von 68% der FDP-Wähler befürwortet wird. Das gleiche Bild zeigt sich in der Privatisierungsdebatte, bei der es in keiner Partei eine Mehrheit für die Umwandlung von Staatsunternehmen in private gibt. Die größte Lobby hierfür besteht bei den Grünwählern, die allerdings gleichzeitig am stärksten der Auffassung sind, dass die Gewerkschaften eine zu marginale Rolle spielen. Es gibt zum Teil satte Mehrheiten für die Rücknahme der Agendareformen und auch in wichtigen Bereichen der deutschen Außenpolitik fehlt es an repräsentativen Mehrheiten. So findet der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan in keiner Partei eine Mehrheit. Das größte Unterstützerkontigent stellt die ehemalige "Partei der Friedensbewegung".
Für die Betreiber und Nutznießer des neoliberalen Gesellschaftsumbaus, die seit Jahren mit Ruckrhetoriken eine Beschleunigung dieses Prozesses fordern, bedeuten die beschriebenen Ergebnisse eher wachsende Probleme und entsprechend ungehalten reagiert man hier auf die Einengung des politischen Spielraums, der auch jetzt in einer Partei auftritt, die sich bisher weigert auf die Agenda 2010 zu schwören. Als Zielscheibe der Attacken hat man sich Lafontaine ausgesucht, der sich auch nicht scheut auf Begrifflichkeiten und Erklärungsmuster zurückzugreifen, die sich kaum für linke Politik eignen. So beklagt der Vorstandsvorsitzende der Springer AG, Döpfner, die "Selbstaufgabe im sog. bürgerlichen Lager", d.h. dass Lafontaine in den "freiheitlich-bürgerlichen Medien" Raum erhält für seine "nationalistisch-sozialistischen Ressentiments". Das wirkt natürlich schon deshalb komisch, weil dieser Herr Herausgeber einer Reihe von Medien ist, die geradezu als Leitmedien des Ressentiments gelten können. Doch auch im Tagesspiegel hat man es sich nicht verkniffen einen Kommentar zu schreiben, in dem Lafontaine zum "deutschen Haider" erklärt wird. Das Leserecho auf diesen Versuch der politischen Marktbereinigung zeigte jedoch auch, dass die Beauftragten der Familie Holzbrinck und ihre Leser die Welt sehr verschieden interpretieren.
Recht sachlich heißt es in einem Kommentar in der Zeit von Jörg Lau: "Es stimmt wahrscheinlich immer noch, dass Wahlen in der Mitte gewonnen werden. Aber diese Mitte ist ein gutes Stück nach links verrutscht."
Es bleibt das bekannterweise nicht geringe Problem, den politischen Wunsch nach Zuständen, in denen Solidarität und gesellschaftliche Verantwortung eine größere Rolle spielen, in reale Veränderungen umzusetzen. Auch wenn es Freude macht zu beobachten, dass in aktuellen Meinungsumfragen die soziale Kompetenz der Linkspartei höher bewertet wird als die der SPD, so bleibt doch nüchtern festzustellen, dass die Mobilisierungskraft der sozialen Bewegungen gegen die Agendareformen ziemlich gelitten hat und sich die Hoffnung darauf, dass eine parlamentarische Präsenz der Partei Die Linke diese Windstille auszugleichen vermag, als Fata Morgana erweisen kann. Der Sprung von "Links wollen" zu "Links bekommen" erfordert mehr als die Abgabe eines Wahlzettels.


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