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Der Abschluss bei Telekom ist ein Sieg der Unternehmerseite. Zwar konnte
Ver.di einige Zumutungen des Managements abwehren, doch in der Hauptsache hat sich die Konzernleitung
durchgesetzt: 50000 Beschäftigte werden ausgegliedert. Die Entgelte werden um 6,5% gekürzt. Die
Wochenarbeitszeit wird um vier Stunden verlängert; der Samstag wird regulärer Arbeitstag.
Während der Telekom-
Verhandlungsführer Sattelberger Mühe hatte, seine Freude über den Abschluss nicht allzu
offen zur Schau zu tragen, hatten die Ver.di-Vertreter in den ersten Versammlungen, auf denen das Ergebnis
den Beschäftigten vorgestellt wurde, keinen leichten Stand. Zum Teil schlug ihnen heftige Ablehnung
seitens der Streikenden entgegen.
In Berlin, wo das Streiklokal im Innenhof
der Ver.di-Zentrale eingerichtet worden war, kämpfte Landesfachbereichsleiter Mike Döding gegen
empörte Zwischenrufe an. Streikende hatten vor ihm ein Transparent entrollt, auf dem der Namenszug
Ver.di in "Ver.räter" umgewandelt war. "Was wollt ihr von mir hören? Ich finde das
Ergebnis ja auch Scheiße", rief Döding ins Mikrofon. "Warum habt ihr dann
zugestimmt?", riefen mehrere Streikende zurück.
In Darmstadt gab der
Betriebsgruppenvorstand T-Com keine Empfehlung für die Urabstimmung ab. In Fulda votierte die
Mitgliederversammlung einstimmig für die Fortsetzung des Streiks eine für Ver.di-
Verhältnisse ungewöhnliche Oppositionshaltung.
Dennoch stimmten in der Urabstimmung
letztlich rund 72% für das Ergebnis. Dass dem so ist, hat auch damit zu tun, dass Ver.di in der Zeit
zwischen Tarifabschluss und Urabstimmung eine beispiellose Kampagne unternommen hat, um den Abschluss ins
gewünschte Licht zu rücken. Dies scheint bei den Kollegen Wirkung gezeigt zu haben.
Fragt man nach den Gründen für die Niederlage, so ist an erster Stelle zu vermerken, dass der
Streik beim Unternehmen Telekom keinen spürbaren wirtschaftlichen Schaden anrichten konnte. Kritiker
des Abschlusses sagen, der Streik hätte bis in den Herbst hinein weitergeführt werden
müssen. Doch das Management hätte ihn "aussitzen" können. Um dies zu verhindern,
hätte er ausgeweitet oder radikalisiert werden müssen, was beim gegenwärtigen
Bewusstseinstand der Streikenden nur schwerlich machbar gewesen wäre. Insofern steckt in dem Abschluss
auch ein Stück Rationalität und das mag letztlich auch die hohe Zustimmung in der
Urabstimmung erklären.
Das zentrale Problem war, dass Ver.di beim
Übergang von Warnstreiks zum Vollstreik nicht wirklich ein paar Schippen draufzulegen hatte. Schon der
Warnstreik war von relativ vielen Beschäftigten nicht als stundenweiser Streik, sondern als
Ganztagsstreik (mit Streikgeldzahlung) geführt worden. Da waren bereits täglich teilweise
über 10000 Beschäftige in Aktion.
Diese Zahl konnte während der
Vollstreikphase nicht deutlich genug erhöht werden. Jetzt rächte sich, dass Ver.di es jahrelang
versäumt hat, die Frage des Beamtenstreiks auf die Tagesordnung zu setzen. Die Folge war, dass die
Beamten, über die Hälfte der 50000 von Ausgliederung betroffenen Beschäftigten, ihrer Arbeit
ganz normal nachgingen. Sie wurden auch häufig von ihren Vorgesetzten als Lückenfüller in
Bereichen eingesetzt, wo es "brannte", d.h. wo der Streik Wirkung zeigte. Zwar hatte am Anfang
die Mehrzahl der Beamten Solidaritätserklärungen mit den Streikenden unterzeichnet. Aber die
Unterschrift unter einen Text und die Verweigerung einer Anweisung des Vorgesetzen zur Ausführung von
Streikbrechertätigkeiten sind zwei verschiedene paar Stiefel. Gerade an Standorten mit traditionell
wenig konfliktbereiten Betriebsräten dürfte solchen Kollegen wohl kaum der Rücken
gestärkt worden sein.
Hinzu kommt, dass Ver.di kaum etwas gegen
den Einsatz von Leiharbeiterfirmen unternommen hat. Nur wenige Fälle sind bekannt, wo Ver.di Kontakt
zu den Beschäftigten von Leiharbeitsfirmen aufgenommen hat. Und nur ganz selten kam es vor, dass
streikende Telekombeschäftigte zu Baustellen gingen, wo Leiharbeiter im Einsatz waren, um diese von
ihrer Streikbrecherarbeit abzuhalten. Bei den heutigen Kommunikationsmitteln ist dies durchaus machbar,
verlangt den Streikenden aber ein hohes Maß an selbstständiger Handlungsfähigkeit und -
bereitschaft ab.
Überhaupt blieb man als Streikender
recht "brav": Es wurden keine Tore dicht gemacht, Kollegen, die trotz Streik zur Arbeit gingen,
wurden nicht daran gehindert. Die Streikenden blieben zwar am Morgen eine Zeitlang vor dem Betrieb, zogen
aber dann ab, sodass jeder, der wollte, dann zur Arbeit gehen konnte.
In den Telekom-Call-Centern war die
Streikbeteiligung sehr niedrig. Hier führen die Vorgesetzten ein fast schon totalitär zu
nennendes Regime und ziehen alle Register moderner Mitarbeiterführung. Wer dort streikt, braucht ein
viel höheres Maß an Zivilcourage als etwa ein Techniker im Service. Mit der Unterstützung
durch die nicht vom Streik betroffenen Teile von T-Com war es oft auch nicht weit her.
Eher beschämend war die
Unterstützung aus anderen Konzernteilen wie T-Systems oder T-Mobile. Dabei macht das Management im
Falle von T-Systems aus seinen Verkaufsabsichten gar keinen Hehl es ist klar, dass diesen Kollegen
Ähnliches oder gar Schlimmeres droht wie den Beschäftigten von T-Service. Trotzdem hat Ver.di
kaum deren öffentliche Solidarität organisiert.
Erstaunlicherweise hatte der Streik weit mehr Sympathie und Solidarität in der Bevölkerung,
als viele Telekom-Beschäftigten dachten. Laut Meinungsumfragen lag die Zustimmung zum Streik bei 77%.
Die verbreitete Kritik am Service der Deutschen Telekom hat die Bevölkerung nicht den streikenden
Kollegen angelastet. Versuche unternehmernaher Medien, solche Stimmungen zu fördern, liefen ins Leere.
Im Gegenteil, viele haben es offenbar spontan als eine Sauerei empfunden, wenn Beschäftigte gezwungen
werden, länger zu arbeiten, und ihnen im Gegenzug auch noch der Lohn gekürzt wird. Hier hat die
Öffentlichkeitsarbeit von Ver.di Früchte getragen.
Während Ver.di eher defensiv und
legalistisch agierte, führten die Telekom-Bosse die Auseinandersetzung mit einer bisher nicht
gekannten Schärfe und Entschlossenheit. Streikende wurden bedroht und eingeschüchtert, zu
Notdiensten gezwungen, die keine waren, Leiharbeiter wurden gesetzeswidrig als Streikbrecher eingesetzt.
Diese unterschiedliche Bereitschaft zu Einsetzung aller zur Verfügung stehenden Mittel machte den
Unterschied aus.
Der Konflikt hatte Beispielcharakter
für die gesamte Wirtschaft, wie auch Ver.di vorher immer betont hat. In vielen Industriebetrieben und
Serviceunternehmen dürften ähnliche Maßnahmen zur Senkung der Löhne und zur
Verlängerung der Arbeitszeit fertig ausgearbeitet in den Schubladen liegen. Es ist nur eine Frage der
Zeit, bis sie herausgezogen werden.
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