SoZ - Sozialistische Zeitung

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SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2007, Seite 08

Tarifrunde im Einzelhandel

Keine Lohnerhöhung, keine Zuschläge?

von Helmut Born

Die Tarifrunde im Einzelhandel ist erwartungsgemäß eine der schwierigsten und verbissensten in diesem Jahr.
Die Unternehmer wollen auch diesmal wieder einen billigen Abschluss. Im Januar 2006 gab es zwei geringe Sonderzahlungen und eine lineare Lohnerhöhung von 1% für 25 Monate; das bedeutete einen realen Lohnabbau von 3%.
Im letzten Jahr haben fast alle Bundesländer sog. Ladenöffnungsgesetze beschlossen. In der Regel bedeutet dies, dass die Läden in der Woche rund um die Uhr geöffnet werden können. Sonntagsöffnungen sind zwischen zwei- und zehnmal im Jahr möglich. Der SPD/Linkspartei-Senat in Berlin hat als einziger zehn Sonntagsöffnungen erlaubt, das gibt es in keinem anderen Bundesland.
Laut Tarifvertrag sind ungünstige Arbeitszeiten mit Zuschlägen zu versehen, die in der Regel in Freizeit abzugelten sind. In NRW ist es z.B. so, dass die Zeit von 18.30 Uhr bis 20 Uhr von Montag bis Freitag und der Samstag ab 14.30 Uhr mit 20% Zuschlag vergütet wird. Nach 20 Uhr gibt‘s 55% mehr. Bei einer regelmäßigen Arbeitszeit bis 22 Uhr ergibt das folgendes Zuschlagsvolumen: viermal in der Woche 18.30—20 Uhr = 6 Stunden, davon 20% = 1,2 Stunden; samstags 14.30—20 Uhr = 5,5 Stunden, davon 20% = 1,1 Stunde; fünfmal in der Woche 20—22 Uhr = 10 Stunden, davon 55% = 5,5 Stunden.
Es ergeben sich also Zuschläge von insgesamt 7,8 Stunden, die tarifliche 37,5-Stunden-Woche reduziert sich somit auf 29,7 Stunden.
Der Vorstandsvorsitzende der Metro, Körber, hat die Abschaffung der Zuschläge als Voraussetzung für die Ausdehnung der Arbeitszeiten bezeichnet. Die Zuschläge sind also auch ein Schutz vor einer noch weiteren Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten.
Der Unternehmerverband im Einzelhandel (HDE) fordert nun in allen Tarifbezirken die Abschaffung dieser Zuschläge. Ferner sollen die tariflichen Einmalzahlungen und die Arbeitszeiten flexibilisiert werden, eine Erhöhung der Einkommen der Beschäftigten wird rundheraus abgelehnt.
Ver.di hat es damit zum wiederholten Mal mit einer Konfrontationsstrategie der Arbeitgeber zu tun. In der letzten Tarifrunde konnten sich die Unternehmer mit ihren Forderungen nicht durchsetzen, dafür gab es aber dann den erwähnten schlechten Lohnabschluss. In diesem Jahr ist Ver.di mit Lohnforderungen zwischen 4,5% und 6,5% und für einen Mindestlohn von 1500 Euro in die Tarifrunde gegangen. Die Forderungen der Unternehmer lehnt die Gewerkschaft ab und bezeichnet sie als nicht verhandlungsfähig.
Wegen der Haltung der Unternehmer wurden in allen Tarifbezirken die Verhandlungen für gescheitert erklärt. Seit Mitte Juli gibt es in vielen Tarifbezirken Streiks im Einzelhandel. Begonnen haben die Tarifbezirke Bayern und Baden-Württemberg, noch bevor dort die Sommerferien begannen. Da sich aber auch dort die Unternehmer stur stellten, haben sich die Streiks ab Ende Juli/Anfang August mehr in den Norden, vor allem nach Hamburg und Nordrhein-Westfalen verlagert.
In NRW gab es sehr eindrucksvolle Streiks der Beschäftigten: 250 Schlecker-Filialen wurden gemeinsam bestreikt, 24 Filialen der Metro-Tochter Real wurden an einem Wochenende bestreikt, die Kaufhof-Filialen in Düsseldorf streikten ebenfalls am ersten Wochenende im August. Dazu kommen noch viele andere oft eintägige Streiks.
Wurden am Anfang nur mehrstündige Warnstreiks durchgeführt, so ist Ver.di inzwischen dazu übergegangen, quasi Erzwingungsstreiks zu organisieren: etliche Filialen des Rewe-Konzerns werden nun schon über eine Woche bestreikt.
Das ist eine neue Qualität im Einzelhandel, die die Unternehmer auch langsam von ihrer arroganten Haltung abbringt. Vor allem wenn auch noch "König" Kunde die Einzelhandelsbeschäftigten unterstützt, wie in einer Hamburger Real-Filiale passiert: Dort hatten an einem Streiktag dreißig Fans des FC St.Pauli der trotz Streik geöffneten Filiale einen Besuch abgestattet und die Einkaufswagen voll gepackt. Als sie an die Kasse kamen, fragten sie die für sie fremden Kassierkräfte nach den Kassiererinnen, die sie von ihren früheren Einkäufen kannten. Als ihnen von diesen Beschäftigten gesagt wurde, dass diese sich im Streik befänden, ließen sie die voll gepackten Einkaufswagen an den Kassen stehen und sagten, sie würden den Streik der Einzelhandelsbeschäftigten unterstützen und lieber anderswo einkaufen gehen. Dies sei allen zur Nachahmung empfohlen.
Allmählich sehen die Unternehmer ein, dass sie langsam die Kurve kriegen müssen. In NRW haben sie für den 23.8. Sondierungsgesprächen zugestimmt, am 24.8. trifft sich der Bundesausschuss des HDE in Berlin. Dort wollen sie ihre Linie, die wahrscheinlich neue Verhandlungen vorsieht, festzurren.
Die Unternehmer werden in NRW versuchen, einen für sie akzeptablen Abschluss hinzubekommen; NRW hat mit 4,5% die niedrigste Lohnforderung aufgestellt. Hoffentlich lässt sich die Ver.di-Führung im Fachbereich Handel nicht von den Unternehmern vorführen.


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