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Die Tarifrunde im Einzelhandel
ist erwartungsgemäß eine der schwierigsten und verbissensten in diesem Jahr.
Die Unternehmer wollen auch diesmal wieder einen billigen
Abschluss. Im Januar 2006 gab es zwei geringe Sonderzahlungen und eine lineare Lohnerhöhung von 1% für 25 Monate;
das bedeutete einen realen Lohnabbau von 3%.
Im letzten Jahr haben fast alle Bundesländer sog.
Ladenöffnungsgesetze beschlossen. In der Regel bedeutet dies, dass die Läden in der Woche rund um die Uhr
geöffnet werden können. Sonntagsöffnungen sind zwischen zwei- und zehnmal im Jahr möglich. Der
SPD/Linkspartei-Senat in Berlin hat als einziger zehn Sonntagsöffnungen erlaubt, das gibt es in keinem anderen
Bundesland.
Laut Tarifvertrag sind ungünstige Arbeitszeiten mit
Zuschlägen zu versehen, die in der Regel in Freizeit abzugelten sind. In NRW ist es z.B. so, dass die Zeit von 18.30 Uhr
bis 20 Uhr von Montag bis Freitag und der Samstag ab 14.30 Uhr mit 20% Zuschlag vergütet wird. Nach 20 Uhr gibts
55% mehr. Bei einer regelmäßigen Arbeitszeit bis 22 Uhr ergibt das folgendes Zuschlagsvolumen: viermal in der Woche
18.3020 Uhr = 6 Stunden, davon 20% = 1,2 Stunden; samstags 14.3020 Uhr = 5,5 Stunden, davon 20% = 1,1 Stunde;
fünfmal in der Woche 2022 Uhr = 10 Stunden, davon 55% = 5,5 Stunden.
Es ergeben sich also Zuschläge von insgesamt 7,8
Stunden, die tarifliche 37,5-Stunden-Woche reduziert sich somit auf 29,7 Stunden.
Der Vorstandsvorsitzende der Metro, Körber, hat die
Abschaffung der Zuschläge als Voraussetzung für die Ausdehnung der Arbeitszeiten bezeichnet. Die Zuschläge
sind also auch ein Schutz vor einer noch weiteren Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten.
Der Unternehmerverband im Einzelhandel (HDE) fordert nun in
allen Tarifbezirken die Abschaffung dieser Zuschläge. Ferner sollen die tariflichen Einmalzahlungen und die
Arbeitszeiten flexibilisiert werden, eine Erhöhung der Einkommen der Beschäftigten wird rundheraus abgelehnt.
Ver.di hat es damit zum wiederholten Mal mit einer
Konfrontationsstrategie der Arbeitgeber zu tun. In der letzten Tarifrunde konnten sich die Unternehmer mit ihren Forderungen
nicht durchsetzen, dafür gab es aber dann den erwähnten schlechten Lohnabschluss. In diesem Jahr ist Ver.di mit
Lohnforderungen zwischen 4,5% und 6,5% und für einen Mindestlohn von 1500 Euro in die Tarifrunde gegangen. Die
Forderungen der Unternehmer lehnt die Gewerkschaft ab und bezeichnet sie als nicht verhandlungsfähig.
Wegen der Haltung der Unternehmer wurden in allen
Tarifbezirken die Verhandlungen für gescheitert erklärt. Seit Mitte Juli gibt es in vielen Tarifbezirken Streiks im
Einzelhandel. Begonnen haben die Tarifbezirke Bayern und Baden-Württemberg, noch bevor dort die Sommerferien begannen.
Da sich aber auch dort die Unternehmer stur stellten, haben sich die Streiks ab Ende Juli/Anfang August mehr in den Norden,
vor allem nach Hamburg und Nordrhein-Westfalen verlagert.
In NRW gab es sehr eindrucksvolle Streiks der
Beschäftigten: 250 Schlecker-Filialen wurden gemeinsam bestreikt, 24 Filialen der Metro-Tochter Real wurden an einem
Wochenende bestreikt, die Kaufhof-Filialen in Düsseldorf streikten ebenfalls am ersten Wochenende im August. Dazu kommen
noch viele andere oft eintägige Streiks.
Wurden am Anfang nur mehrstündige Warnstreiks
durchgeführt, so ist Ver.di inzwischen dazu übergegangen, quasi Erzwingungsstreiks zu organisieren: etliche
Filialen des Rewe-Konzerns werden nun schon über eine Woche bestreikt.
Das ist eine neue Qualität im Einzelhandel, die die
Unternehmer auch langsam von ihrer arroganten Haltung abbringt. Vor allem wenn auch noch "König" Kunde die
Einzelhandelsbeschäftigten unterstützt, wie in einer Hamburger Real-Filiale passiert: Dort hatten an einem
Streiktag dreißig Fans des FC St.Pauli der trotz Streik geöffneten Filiale einen Besuch abgestattet und die
Einkaufswagen voll gepackt. Als sie an die Kasse kamen, fragten sie die für sie fremden Kassierkräfte nach den
Kassiererinnen, die sie von ihren früheren Einkäufen kannten. Als ihnen von diesen Beschäftigten gesagt wurde,
dass diese sich im Streik befänden, ließen sie die voll gepackten Einkaufswagen an den Kassen stehen und sagten,
sie würden den Streik der Einzelhandelsbeschäftigten unterstützen und lieber anderswo einkaufen gehen. Dies
sei allen zur Nachahmung empfohlen.
Allmählich sehen die Unternehmer ein, dass sie langsam
die Kurve kriegen müssen. In NRW haben sie für den 23.8. Sondierungsgesprächen zugestimmt, am 24.8. trifft
sich der Bundesausschuss des HDE in Berlin. Dort wollen sie ihre Linie, die wahrscheinlich neue Verhandlungen vorsieht,
festzurren.
Die Unternehmer werden in NRW versuchen, einen für sie
akzeptablen Abschluss hinzubekommen; NRW hat mit 4,5% die niedrigste Lohnforderung aufgestellt. Hoffentlich lässt sich
die Ver.di-Führung im Fachbereich Handel nicht von den Unternehmern vorführen.
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