SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2007, Seite 10

Ist die Familie noch zu retten?

Das Familienbild der Ursula von der Leyen

von Gisela Notz

Frauen sollen in Deutschland mehr Kinder kriegen — besonders ökonomisch besser gestellte Frauen. Der gesellschaftlichen Führungsschicht geht sonst der Nachwuchs aus. Das ist der Hintergrund des Kulturkampfs, der im Frühjahr um die Vorschläge der Bundesfamilienministerin tobte. Denn die Wege, hier Abhilfe zu schaffen, sind höchst umstritten.
Das Land muss sich für die Frauen verändern, damit es wieder Freude macht, Frau in Deutschland zu sein." Und damit Frauen sich ohne Druck entscheiden können: "für den Beruf, die Ehe, für oder gegen Kinder. Oder nur für eines davon..." So resümiert Maria von Welser die Gespräche, die sie mit Ursula von der Leyen geführt hat.
Aus einer sozialwissenschaftlichen Untersuchung von 2007, die das Familienministerium in Auftrag gegeben hat und das verschiedene soziale Milieus untersucht, geht hervor, dass postmaterielle Frauen der aktuellen Politik des Ministeriums große Sympathie entgegenbringen. Schließlich habe sie (Ursula von der Leyen) gegen die Widerstände aus dem eigenen politischen Lager den Ausbau von Kinderkrippenplätzen gefordert. Wie das Projekt Kindertagesstätten finanziert werden soll, ist offen. Postmaterielle Frauen — und das sind laut Sinus immerhin diejenigen, die seit den 1960er und 70er Jahren bis heute die Avantgarde der Frauenbewegung repräsentieren und die schon immer für Gleichstellungspolitik und geschlechtsunspezifische Stellenausschreibungen waren, machen nun "eine paradoxe positive Erfahrung, der etwas Visionäres anhaftet: ‘CDU trifft Alice Schwarzer‘".
Vorgeschlagen hat Ursula von der Leyen nicht etwa, das Ehegattensplitting abzuschaffen, das nach Meinung zahlreicher Familienverbände längst abgeschafft gehört, weil es einseitig den Tatbestand "Ehe" fördert, sondern dasselbe um eine Familienkomponente auszuweiten: Nicht die Ehe, sondern die Kinder sollen gefördert werden. Je mehr Kinder, desto höher die Steuervergünstigung. Eine gute Idee? Nur auf den ersten Blick, denn die Mehrheit der Familien kommt gar nicht in den Genuss der Vorteile. Erst ab einem Jahreseinkommen von 69000 Euro profitieren sie stärker vom Familiensplitting als vom gültigen Kinderfreibetrag. Wer darunter liegt, wird schlechter gestellt, und das sind vor allem junge Väter und Mütter, die sich gerade darum bemühen, beruflich Fuß zu fassen; sozial schwache Lebensgemeinschaften ohnehin.
Das Deutsche Institut der Wirtschaft (DIW) veranschlagt die Kosten für das Familiensplitting auf 1,5 Milliarden Euro. Die Hälfte dieser Summe käme allein den 10% der Familien zugute, die sich im obersten Einkommensbereich bewegen. Angesichts der emotional geführten Diskussion um den "Geburtenrückgang" scheint das von Frau von der Leyen durchgeboxte Elterngeld ein Schritt zu sein, die besser Verdienenden ins "Kinderboot" zu holen.

Die Perle aus dem Süden

Einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz haben drei- bis sechsjährige Kinder seit 1996. Zu einem Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz auch aller Kinder unter drei Jahren konnte sich der "Krippengipfel" um Ursula von der Leyen Anfang April nicht durchringen. Die Krippenoffensive lautet: Bis 2013 soll jedes dritte Kind in einer Betreuungseinrichtung oder in der privaten Tagespflege untergebracht werden. Bei der Tagespflege ist immer nur von Tagesmüttern die Rede. "Wir brauchen ein breitflächiges Netz transparenter, legaler haushaltsnaher Dienstleistungen. Das beginnt bei der Kinderbetreuung ... bis hin zu den Pflegediensten."
Die Utopie anderer Formen des Zusammenlebens mit gleichberechtigter Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern wird durch die Realität der Arbeitsteilung zwischen sozial ungleichen Frauen abgehakt: vor allem Migrantinnen übernehmen die Haus-, Sorge- und Pflegearbeit in deutschen Haushalten. Begründet wird das damit, dass gut qualifizierte Frauen nicht "gleichzeitig Kochgenie, Ladenschlusszeitenexpertin, Gärtnerin, Putzfrau, Ärztin, Nachhilfelehrerin, Fuhrunternehmen, liebevolle Mutter, interessante Partnerin und was sonst noch alles sein" können. Das schreibt Ursula von der Leyen in ihrem Buch. Sie möchten ihren erlernten Beruf ausüben und Zeit für Menschen haben; dafür brauchen sie Menschen, die ihre Zeit darauf verwenden, den Schmutz von anderen zu beseitigen. Deren kärglichen Lohn können sie von ihrer Steuer absetzen.
Viele Familien und die meisten Alleinerziehende werden sich wohl kaum solche "Perlen" leisten können. Zwei Millionen Kinder (und ihre Eltern) leben in Armut, und die Hälfte aller Alleinerziehenden hat monatlich weniger als 945 Euro zur Verfügung. Dagegen gibt es, außer in ihren eigenen Reihen, kaum Proteste. Stattdessen drucken "Leitmedien" immer nachdrücklicher Stimmen ab, die sich gegen die angebliche Diskriminierung der Hausfrauenehe und der häuslichen Kinderversorgung wehren, wenn Geld in Kinderbetreuungseinrichtungen investiert werden soll.
Daher will von der Leyen auch gleichzeitig etwas für die Frau zu Hause tun: 40 Milliarden Euro investiert die Bundesregierung, damit Ehegattinnen zu Hause bleiben können. 19 Milliarden fließen in das Ehegattensplitting. 10 Milliarden in die kostenlose Kranken- und Pflegeversicherung nicht erwerbstätiger Ehegatten und 12 Milliarden in die Erziehungszeiten für die Rente. 85% des Ehegattensplittingvorteils kommt den Einverdienerehen zugute, wo es meistens die Frau ist, die nichts verdient. Es sind es die Einverdienerehen, die durch das Ehegattensplitting bevorzugt werden. Diesen 40 Milliarden stehen 10 Milliarden für die Kinderbetreuung gegenüber.

Die Variante Christa Müller

Für die Frau zu Hause möchte auch Christa Müller, familienpolitische Sprecherin der Partei Die Linke im Saarland, etwas tun. Sie will mit der Forderung nach einem Erziehungsgehalt in den Landtagswahlkampf 2009 ziehen, wie es die CDU/CSU schon früher getan und dann aufgegeben hat. Frau Müller will damit "die Frauen und ihre Familien von der entfremdeten Erwerbsarbeit unabhängiger machen". Glaubt sie wirklich, dass die Arbeit isoliert in der Küche und im Kinderzimmer, nur weil sie unbezahlt geleistet wird, weniger entfremdet ist? Glaubt sie wirklich, dass Frauen mit Begeisterung ihre erworbenen Gesellenbriefe und Diplome über den Wickeltisch hängen? Frauen haben um ihr Recht auf Erwerbsarbeit lange gekämpft, und der Kampf ist noch nicht abgeschlossen.
Angesichts einer gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklung, die mit Erwerbslosigkeit, Orientierungslosigkeit und Armut verbunden ist, aber auch angesichts der gewachsenen Bedürfnisse auch von Frauen an gesellschaftlicher Teilhabe und eigenständiger Existenzsicherung durch sinnvolle, gesellschaftlich nützliche und möglichst selbstbestimmte Arbeit, kommt es darauf an, Konzepte zu entwickeln, wie die begrenzt vorhandene, bezahlte, sinnvolle und gesellschaftlich nützliche Arbeit auf mehr Menschen verteilt werden kann.
Das bedingt auch Überlegungen zu einer gleichmäßigen Verteilung der massenhaft vorhandenen, jetzt unbezahlt geleisteten gesellschaftlich nützlichen Arbeit. Und es bedingt ebenso Überlegungen, wie die gesellschaftlich notwendigen Arbeiten, die aufgrund der Erwerbstätigkeit der Frauen und wegen der veränderten demografischen Verhältnisse eben nicht mehr unbezahlt geleistet werden (können), künftig in den regulär bezahlten Bereich, übergehen können, ohne in eine neue Dienstbotinnengesellschaft zu geraten.


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