SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2007, Seite 12

Die VR China im kapitalistischen Weltmarkt

Eine Form sozialer Apartheid

Au Loong Yu über die Lage der arbeitenden Menschen

Au Loong Yu ist Mitarbeiter des Globalization Monitor in Hongkong und hat vom 22.Mai bis 6.Juni auf einer Veranstaltungsrundreise in Deutschland über die Situation der arbeitenden Menschen in China informiert. Mit ihm sprach Jochen Gester für die SoZ.

Was sind die Haupteindrücke, die du aus den Diskussionen mit deutschen Teilnehmern nach Hause nimmst?

Mein erster Eindruck ist, dass sich unsere Welt sehr globalisiert hat und deutsche und chinesische Lohnabhängige viele Gemeinsamkeiten teilen. Ich traf auf Arbeiteraktivisten von Airbus, aus Textilfirmen und aus Automobilfabriken. All diese Unternehmen operieren heute in China. Ein gewerkschaftlich aktiver Textilarbeiter sagte mir, seitdem viele Textilbetriebe nach China verlegt wurden, sei für viele seiner Kollegen das Wort "China" zum Synonym für "Terror" geworden. Zur gleichen Zeit investieren Unternehmen aus China und Hongkong in großer Zahl in der EU. Deshalb habe ich auch bei deutschen Gewerkschaftsaktivisten ein wachsendes Interesse für China und die Arbeitsverhältnisse dort feststellen können.

Wann ist eure NGO entstanden und was ist ihr Hauptarbeitsschwerpunkt? Was habt ihr bewirkt und wo sind eure Grenzen?

Globalization Monitor wurde 1999, wenige Monate vor der Welthandelskonferenz in Seattle, gegründet. Ein Dutzend Aktivisten aus Gewerkschaften, der Frauenbewegung und der Ökologiebewegung in Hongkong beschlossen, ein Projekt zu initiieren, eine Zeitung und eine Webseite. Unser Hauptziel war, ein öffentliches Bildungsangebot für Gewerkschaften und NGOs zu Globalisierungsfragen auf die Beine zu stellen. Wir haben gemeinsame Bildungsprojekte mit dem Gewerkschaftsbund CTU gegründet. So konnten wir Leute dazu bewegen, alle möglichen Fragen zu durchdenken.
Bis ins Jahr 2002, 2003 haben sich die Gewerkschaftsaktiven, NGOs und kommunalen Initiativen lediglich angehört, was wir zu sagen hatten, waren davon aber wenig überzeugt. Danach änderten sich die gesellschaftlichen Verhältnisse rasant, weil es zu sozialen Rückschlägen kam. Die Regierung kürzte alle Leistungen und privatisierte unbarmherzig. Viele Beschäftigte im öffentlichen Dienst verloren ihre Anstellung, und es begann eine erste Welle der Radikalisierung. Den Menschen wurde immer klarer, wohin die neoliberale Globalisierung führt. Das schuf die Grundlage dafür, dass wir die Hongkong-Volksallianz gegen die WTO bilden und eine Anti-WTO-Aktionswoche vorbreiten konnten.
Seit 2004 haben wir uns dann darauf konzentriert, Informationen über Arbeitskonflikte in China zu bekommen und dafür Solidarität zu organisieren. Gegenwärtig betreiben wir eine Solidaritätskampagne mit den vergifteten Beschäftigten der Gold-Peak-Gruppe, einem asiatischen transnationalen Konzern mit Sitz in Hongkong, der Dutzende von Batteriefabriken in China betreibt.

Es gibt in der deutschen Linken immer noch Gruppen, die China für ein sozialistisches Land halten und der Meinung sind, dass die KP Chinas die Arbeiter jetzt mit einer sozialen Gesetzgebung vor den Schrecken des Marktes schützen will. Was hältst du davon?

Globalization Monitor befasst sich nicht in erster Linie mit ideologischen Debatten. Aber wir beschäftigen uns mit den Arbeitsverhältnissen in China, weil die Arbeitssituation dort schrecklich ist. Meine persönliche Meinung ist, dass China ein kapitalistischer Staat ist, und ein sehr arbeiterfeindlicher dazu. Auf der einen Seite lehnt die Regierung das Koalitions- und Streikrecht ab, gleichzeitig fördert sie die Privatisierung des Staatssektors, was dazu geführt hat, dass 30 Millionen Menschen entlassen wurden. Diese Tatsache allein spricht gegen die Vorstellung, die Regierung sei arbeiterfreundlich.
Es gibt gesetzliche Bemühungen um einen besseren Schutz der Beschäftigten, doch es geht dabei in erster Linie um eine Verbesserung der Wirtschaftslage. Bis heute gibt es keine Bemühungen, den Beschäftigten ihre politischen Rechte oder Bürgerfreiheiten zurückzugeben. Ohne diese haben die Beschäftigten aber nicht das Recht, sich selbst zu verteidigen, wenn ihre sozialen Rechte durch die Arbeitgeber verletzt werden. Dazu kommt, dass die Beschäftigen selten etwas von den Arbeitsgesetzen haben, weil sie weder von den Behörden noch von den Arbeitgebern eingehalten werden.

Wenn ich das richtig sehe, erleben wir gegenwärtig eine Umgruppierung und Neuformierung der chinesischen Arbeiterklasse. Die beiden wichtigsten Gruppen sind die Beschäftigen der (ehemaligen) Staatsbetriebe und die Wanderarbeiter. Welche Erfahrungen haben die Beschäftigten der ehemaligen Staatsbetriebe gemacht und wie sieht es mit ihrer Kampffähigkeit heute aus? Was unterscheidet sie von den Wanderarbeitern und aus welchen Bevölkerungsgruppen werden diese rekrutiert?

Im heutigen China gibt es zwei Sektoren der Arbeiterklasse: die Beschäftigten des staatlichen Sektors und die der Privatwirtschaft. Die erste Gruppe wurde durch die Privatisierungswelle stark demoralisiert. Über 30 Millionen wurden im öffentlichen Sektor entlassen, eine Größenordnung, die es in der Geschichte bisher nicht gegeben hat. Im Laufe der letzten zehn Jahre ist die städtische Arbeiterbevölkerung auf 200 Millionen angewachsen, und ihre Zusammensetzung hat sich weitgehend verändert. Die Zahl der Beschäftigten in Staatsbetrieben ist von 112 Millionen im Jahr 1995 auf 69 Millionen im Jahr 2003 gesunken.
Zur gleichen Zeit haben 120 Millionen Menschen ihre ländlichen Gebiete verlassen und streifen als Wanderarbeiter umher, um eine Arbeit zu finden. Die überwältigende Zahl endet in Privatunternehmen mit Löhnen, die so niedrig sind, dass sie kaum zum Überleben ausreichen und geringe soziale Sicherheit bieten.
Diese große Transformation lässt sich so zusammenfassen: Gute und sichere Jobs wurden beseitigt und ersetzt durch schlechte und unsichere Arbeitsverhältnisse. Dies bedeutet einen großen sozialen Rückschritt. Die alte Arbeiterklasse ist zu einer Minderheit geworden und steht einer neuen Abeiterklasse gegenüber, die aus Wanderarbeitern besteht.

Wie ist das Verhältnis der beiden Gruppen zueinander? Begreifen sie sich als Teil einer gemeinsamen Klasse oder sind sie durch politische und kulturelle Barrieren voneinander getrennt?

Es gibt keine Anzeichen für Solidarität zwischen diesen beiden Sektoren. In China besteht die alte Vorstellung fort, wonach der Begriff "Arbeiter" sich nur auf die Beschäftigten der Staatsbetriebe bezieht, auf Menschen, die ein dauerhaftes Niederlassungsrecht in der Stadt haben. Deshalb werden die ländlichen Wanderarbeiter Minggong, bäuerliche Arbeiter, genannt. Minggong gelten nicht als reguläre Arbeiter, weil sie kein Bleiberecht in der Stadt besitzen; sie werden institutionell sowohl bei der Vergabe von Jobs, bei der Bildung wie bei der Gewährung sozialer Leistungen diskriminiert. Auch wenn sie über zehn Jahre in der Stadt gearbeitet haben, werden sie als Beschäftigte betrachtet, die nur vorübergehend Arbeiter sind und früher oder später in ihre Dörfer zurückkehren.
Meine Meinung ist, dass diese Form sozialer Apartheid ganz entscheidend ist für das Projekt der kapitalistischen Restauration der herrschenden Partei. Sie spaltet die Arbeiterklasse und bewirkt, dass zwei Gruppen gegeneinander konkurrieren. Dieses Regime hilft, die Wanderarbeiter so zu kontrollieren, dass sie noch verwundbarer sind als die Staatsbeschäftigten in ihrem Abwehrkampf gegen skrupellose Arbeitgeber.

Welche Rolle spielen die offiziellen Gewerkschaften bei Konflikten in den Betrieben? Unterstützen sie Forderungen nach politischen und sozialen Rechten und wie verhalten sie sich praktisch?

Der ACFTU (Gesamtverband der chinesischen Gewerkschaften) ist die einzige landesweite Gewerkschaft in China. Die Gründung von Gewerkschaften unterhalb dieser Ebene ist laut Gesetz nur mit Zustimmung der Führung des ACFTU erlaubt. Jeder Versuch, eine unabhängige Gewerkschaft zu gründen, ist illegal und Grund für Strafverfolgung.
Der ACFTU ist per Gesetz verpflichtet, die führende Rolle der Partei anzuerkennen, und es gibt innerhalb der Gewerkschaft keinerlei demokratischen Wahlmechanismen, sodass die Mitglieder keine Möglichkeit haben, ihre Interessen zu artikulieren.
Im Privatsektor ist es nicht ungewöhnlich, dass führende Vertreter des ACFTU gleichzeitig Personalchefs oder Mitglieder des Managements sind. Die Branchen des gewerkschaftlichen Dachverbands existieren nur auf dem Papier. Wir haben noch nie von einem Konflikt gehört, bei dem ACFTU-Branchenverbände die Beschäftigen im Kampf für Gerechtigkeit gegen das Management unterstützt hätten. Bei Golden Peak hat die ACFTU absolut nichts unternommen, um die Beschäftigten über ihre Kadmiumvergiftung aufzuklären.

Wie kann sich ein Prozess entwickeln, in dem Basisgewerkschafter anderer Länder mit chinesischen Kollegen Kontakt aufnehmen können? Wie können wir einen Beitrag leisten, dass sich die chinesischen Arbeiter die Rechte erkämpfen, die sie brauchen, um sich als Bürger und Produzenten zu behaupten?

Es gibt viele Möglichkeiten für deutsche Gewerkschaftsaktivisten, die Beschäftigten in China zu unterstützen. Handel und Investitionen zwischen China und Deutschland haben einen Stand erreicht, der Beschäftigte und Konsumenten beider Seiten verbindet. In der EU werden überall chinesische Produkte verkauft, und umgekehrt ist es in China mit Waren aus der EU genauso. So sind z.B. Batterien von Golden Peak in der EU sehr verbreitet. Auch arbeiten Tausende von chinesischen und deutschen Beschäftigten für den gleichen Konzern. Es ist wichtig, dass die Arbeiterbewegung und die Konsumenten in Deutschland mehr Austausch und Solidarität entwickeln, um das gemeinsame Anliegen — die Stärkung der Rechte der Beschäftigten und der Verbraucher — zu erkämpfen.


Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo

  Sozialistische Hefte 17   Sozialistische Hefte
für Theorie und Praxis

Sonderausgabe der SoZ
42 Seiten, 5 Euro,

Der Stand der Dinge
Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge   Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken   Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus   Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus   Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden   Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität




zum Anfang