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Zehntausend Vertreter großer und kleiner Organisationen und
Initiativen diskutierten vom 27.6. bis 1.7. in Atlanta, Georgia, in Hunderten von Workshops eine der
kompliziertesten Fragen: Wie kann man aus den USA ein demokratisches Land machen?
Das erste Sozialforum der USA wurde am
26.Juni mit der Vorpremiere von Michael Moores neuem Film Sicko eröffnet. Der Angriff des provokanten
Filmemachers auf die privaten Krankenversicherungsunternehmen, die das Leben und die Gesundheit von 300
Millionen US-Bürgern beherrschen, passt haargenau auf die Geschichte der Krankenpflegerinnen, die seit
Jahren die Abschaffung der privaten Krankenversicherung fordern. "Unser Kampf für ein
öffentliches Gesundheitssystem", erzählt die führend in dieser Bewegung engagierte Rita
Valenti in Atlanta, "verfügt nun über ein Instrument mehr. Das ist der Begeisterungsschub,
den wir erwartet haben. Das Forum hätte nicht besser beginnen können."
Den offiziellen Beginn des United States
Social Forum (USSF) bildet die Demonstration am 27.Juni ins Stadtzentrum von Atlanta. Vertreter der
natives, der indigenen Völker, laufen in der ersten Reihe. Ihre Organisationen, vor allem die der
Tscherokesen, haben hart dafür gearbeitet, dass das Forum "in diesem Teil des Territoriums der
Kolonialregierung, die Vereinigte Staaten genannt wird", stattfinden konnte. Zusammen mit den
Tscherokesen, den Schoschonen, den Seminolen kamen auch Ureinwohner Alaskas, die von Erdölbohrungen
und von den klimatischen Veränderungen in ihrer arktischen Umwelt bedroht werden, sowie Ureinwohner
aus Hawaii, dem 50.US-Bundesstaat, der in eine Touristenkolonie verwandelt wurde. Sie haben viel zu sagen,
die natives, die Krankenschwestern, die "Latinos", die Migranten, die Afroamerikaner und die
zahllosen sozialen Minderheiten, die zusammen über zehntausend Delegierte nach Atlanta entsandt haben.
"Es war eine gewaltige
Anstrengung", erzählt Alice Lovelace, eine der Organisatorinnen. "Wir haben das Forum in
zwei Jahren aufgebaut, mit Hunderten von Versammlungen im ganzen Land, von Seattle bis Florida."
Es ist nicht leicht gewesen, Tausende
kleiner lokaler Organisationen und Hunderte landesweiter Netze von der Teilnahme an diesem ehrgeizigen
Projekt zu überzeugen. Es war z.B. sehr mühsam, die großen Gewerkschaftsverbände wie
den AFL-CIO für eine Beteiligung am USSF zu gewinnen auf dem Forum nahm er an den Versammlungen
über die Rechte der Lohnabhängigen teil.
"Wir haben Atlanta gewählt, um
auf ideelle Weise eine Brücke zur letzten großen Massenbewegung in der Geschichte der USA zu
schlagen", erklärt Alice. "Die Bürgerrechtsbewegung war übergreifend, geografisch
wie auch hinsichtlich ihrer sozialen Zusammensetzung. Auf diesem Boden stehend hoffen wir, mit dem Forum
eine neue, große Massenbewegung anzustoßen, die das Land verändern kann ... Wir wollen als
soziale Bewegungen unsere Autonomie gegenüber den Parteien deutlich machen. Und vor allem sind wir
daran interessiert zu betonen, was uns von den beiden Parteien unterscheidet: Wir wollen nicht, dass die
USA weiterhin als einsame Supermacht gesehen werden. Wir wollen mit den Bewegungen der anderen Länder
zusammenarbeiten, die uns helfen können, unser Land zu verändern."
Dazu waren Delegationen aus Europa und
Lateinamerika, aber auch aus Asien, Afrika und Australien angereist. Die informelle Losung lautete
"Kontamination": "Die Formulierung von Themen dient dazu, die Diskussion zu
strukturieren", sagt Rita Valenti, "aber wir wissen wohl, dass alles zusammengehört."
Das erste Plenum auf dem Forum ist dem
Wiederaufbau von New Orleans und der Regionen am Golf von Mexiko gewidmet, die vor zwei Jahren durch den
Hurrikan Katrina verwüstet wurden. In der Präsentation dazu heißt es: "Die
Zerstörung von New Orleans zeigt die historische Rolle, die Rassismus, Genozid, Sklaverei und
Militarismus ebenso wie Sexismus, Ausbeutung und die weiße Vorherrschaft spielen, aber sie ist auch
ein Beispiel für die Umweltkrise und die Entscheidung der Bundesregierung, die armen Gemeinschaften
aufzugeben..." Es ist die Rede vom "Rückkehrrecht" wie für die
Palästinenser nach 1948.
Das zweite Plenumsthema, mit dem ersten
direkt verbunden durch die Erfahrung der afroamerikanischen, armen weißen und
Latinobevölkerungen, lautet: "Krieg, Militarismus und der Komplex der
Gefängnisindustrie". "Die US-Regierung bedroht immer mehr Länder mit Invasion,
Bombardements und Bestrafung, gleichzeitig leiden immer mehr Menschen in den USA im Gefängnis unter
staatlicher Gewaltanwendung. Wir müssen uns fragen, was wir tun können, um den Krieg der US-
Regierung gegen die Völker der Welt zu stoppen", heißt es in der Präsentation.
Die Aspekte dieses Krieges werden in den
übrigen vier Plenarveranstaltungen untersucht: die Rechte der Migranten, sexuelle Gerechtigkeit, die
Rechte der Arbeitenden, die Stimmen der indigenen Völker. "Wir wollen nicht nur die Diskurse
zusammenführen", erklärt Rita Valenti. "Zum Beispiel gibt es einen Raum, der dem Thema
Pflege, Wohlergehen und Umweltgerechtigkeit gewidmet ist. Damit sollen Bündnisse zwischen
solchen Bewegungen aufgebaut werden, die wie die Krankenschwestern für ein besseres Gesundheitssystem
kämpfen, und solchen, die ein anderes Herangehen an die Gesundheit verfolgen, und dann noch zwischen
diesen und den Bewegungen, die sich für Umwelt und ökonomische Gerechtigkeit einsetzen
denn die erste Ursache für Krankheit heißt Armut."
Das Forum in Atlanta bestand nicht nur aus
einer langen Liste von Klagen. Die Friedensbewegung der letzten Jahre, die Bewegung der Migranten im Jahr
2006 und davor die Anti-WTO-Proteste in Seattle haben eine Vielzahl von Erfahrungen lokaler
Selbstorganisation angehäuft. Dazu gehören z.B. die sozialen Netze, die im Südwesten den
Migranten helfen, den Bundesgesetzen und den lokalen "Vigilantes", die der Polizei helfen, zu
entkommen. Das Forum ist die erste landesweite Gelegenheit zu ermessen, wie weit ihre Fähigkeit
reicht, die "anderen" Vereinigten Staaten aufzubauen, die "nötig sind, wenn eine andere
Welt möglich" werden soll.
Der augenfälligste Baustein dazu ist
das Center for Media Justice, das anlässlich des Forums errichtet wurde. Die großen Medien haben
der unermüdlichen Arbeit am Forum monatelang keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt. Erst in den letzten
Wochen kamen erste Anfragen nach Interviews und erste Berichte. "Die Mainstreammedien interessieren
uns nicht sehr", erklärt Alice. "Wir haben ein großartiges Medienzentrum errichtet, das
jede nötige Unterstützung liefert und Seminare für unabhängige Medien durchführen
wird. Sie werden im ganzen Land die Inhalte des Forums, die Vorschläge, Kampagnen und Debatten
verbreiten."
Die Begeisterung ist groß: "Schon
allein die Organisierung des Forums ist für uns eine unglaubliche Erfahrung, die uns verändert
hat", sagt Rita, "und wir hoffen, dass diese Dynamik anhält." "Wie stark sind die
sozialen Bewegungen in den USA?", fragt sich Alice. "Ich hoffe in einigen Tagen die Antwort zu
haben. Deshalb haben wir uns hier in Atlanta versammelt. Wenn wir die Antwort haben, werden wir auch sagen
können, was wir imstande sind zu tun."
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