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So
ändern sich die Zeiten. Im Juni und Juli fieberte die Börsenwelt neuen Rekorden entgegen; heute
ist man schon froh, wenn Firmenpleiten ausbleiben und der Verfall der Wertpapierkurse durch Finanzspritzen
der Zentralbanken in Washington, Frankfurt und London gestoppt werden kann.
Die Ursachen dieser vom US-Immobiliensektor
ausgehenden Krise lassen sich bis zum Ende der New Economy 2001 zurückverfolgen, als ein bis 2003
anhaltender Verfall der Wertpapierpreise eingesetzt hat und es darüber hinaus zu einem Rückgang
von Produktion und Beschäftigung gekommen ist.
In den USA war dieser Konjunktureinbruch
kürzer und schwächer als in den meisten anderen kapitalistischen Metropolen. Dies war vor allem
der US-Zentralbank zu verdanken, die massenhaft günstige Finanzmittel zur Verfügung stellte.
Angesichts der Überkapazitäten, die im vorangegangenen Aufschwung als Folge erheblicher
Investitionen entstanden waren, hielten sich private Unternehmen in den USA mit der Inanspruchnahme dieses
billigen Geldes sehr zurück.
Umso beherzter griffen allerdings private
Haushalte zu. Insbesondere Teile der Arbeiterklasse und die Mittelklasse, die infolge von Rationalisierung
und Produktionsverlagerung entweder bereits Einkommensverluste erlitten hatten oder solche in der Zukunft
befürchteten, waren froh, auf der Grundlage billigen Kredits ihren gewohnten Lebensstandard
beizubehalten bzw. sogar noch etwas anzuheben.
Der Immobiliensektor spielte dabei eine
besondere Rolle: Erstens ist Wohneigentum, und sei es nur ein Haus im Trailer Park, in den USA sehr viel
weiter verbreitet als in Deutschland, weshalb viele Haushalte die günstigen
Finanzierungsmöglichkeiten zur Häuserkauf nutzten. In der Folge stiegen die Preise für
Immobilien stark an. Auf der Grundlage dieser Wertsteigerungen, die den Banken als Kreditsicherheiten
angeboten werden konnten, war eine massive Ausweitung von Konsumentenkredit und hierdurch finanzierten
Ausgaben möglich.
Im Verlauf des Booms nahm schließlich
die Zahl jener, insbesondere ärmeren, Haushalte zu, die fällige Zinsen und Tilgungen nicht
aufbringen konnten. Eng wurde es für viele insbesondere, weil sie Kredite mit variablen
Zinssätzen aufgenommen hatten, die laufend dem allgemein während des Aufschwungs steigenden
Zinsniveau angepasst wurden. In der Folge mussten immer mehr Familien ihre Häuser verkaufen, ihren
Konsum anderweitig einschränken oder sich zu erheblich höheren Zinsen noch weiter verschulden.
Erst hierdurch kam es zu einer Aufblähung zweitklassiger Hypotheken, die schließlich auf solche
Subprime-Kredite spezialisierte Firmen ins Trudeln gebracht und einige in den Bankrott getrieben hat.
Die nunmehr rückläufigen
Umsätze und Preisrückgänge haben zu einer Krise geführt, die längst über den
Immobiliensektor hinauswirkt. Das liegt einerseits daran, dass Kreditrisiken an Wertpapierbörsen
gehandelt werden und auf diesem Weg in den Fonds vieler Banken und institutioneller Investoren gelandet
sind. Da die geplanten Renditen nicht erzielt werden können, ist inzwischen der gesamte
Wertpapiermarkt von Verkaufsstimmung beherrscht.
Zudem bedrohen Kreditausfälle im
Immobiliengeschäft den gesamten über kurzfristige Kredite abgewickelten Zahlungsverkehr zwischen
Banken, privaten Unternehmen und Haushalten. Selbst Unternehmen und Haushalte, die weder im Immobilien-
noch Wertpapiermarkt Geschäfte betreiben, können deshalb in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Um
eine derartige Kreditklemme zu verhindern, haben Zentralbanken in den kapitalistischen Metropolen
jüngst erheblich Liquidität ins private Finanzsystem gepumpt.
Durch solche oder ähnliche
Interventionen konnten Zusammenbrüche des Finanzsystems nicht nur 2001 sondern in jeder Krise seit dem
Börsenkrach 1929, der zum Auslöser einer bislang einzigartigen Wirtschaftsdepression geworden
war, verhindert werden. Die Auswirkungen der gegenwärtigen Immobilienkrise auf die US- und
Weltwirtschaft hängen deshalb ebenso von den Reaktionen wirtschaftlicher wie auch politischer Akteure
ab, wobei die Zentralbanken der imperialistischen Hauptmächte eine Schlüsselrolle spielen.
Eine akute Liquiditätskrise, die die
kapitalistische Warenzirkulation und in der Folge auch die Produktion von Waren zum Erliegen
bringt, mag durch kräftige Finanzspritzen der Zentralbanken verhindert werden. Für Kreditnehmer
dürften die Zeiten billigen Geldes und hierdurch zu finanzierender Ausgaben dennoch erst einmal
vorüber sein, weil Banken sich bei der Kreditvergabe zurückhalten werden. Hiervon sind Haushalte
und staatliche Kreditnehmer viel stärker betroffen als private Industrieunternehmen.
Letztere haben in Zeiten massiver
Umverteilung von Lohn- zu Gewinneinkommen finanzielle Polster ansammeln können, die sie über die
kreditfinanzierte Abwicklung des laufenden Zahlungsverkehrs weitgehend unabhängig von Kredit- oder
Börsenfinanzierung macht. Allerdings können rückläufige Konsumausgaben die Industrie
von der Absatzseite her in Schwierigkeiten bringen. Die bislang recht optimistischen Konjunkturprognosen
der institutionalisierten Wirtschaftswissenschaft dürften daher in Kürze etwas nach unten
korrigiert werden.
Angesichts der insbesondere über die
Wechselkurse ausgetragenen Konkurrenz einzelner Länder um möglichst große Anteile an der
globalen zahlungsfähigen Nachfrage sind auch Währungsturbulenzen bzw. langfristige
Wechselkursänderungen zu berücksichtigen, die durch die Immobilienkrise in den USA ausgelöst
werden können. Schon vor Ausbruch der Krise hat der US-Dollar gegenüber Euro und Yen an Wert
verloren. Obwohl die Immobilienkrise über die Anlagestrategien europäischer und asiatischer
Investoren auch dorthin ausstrahlt, bleiben die USA das Zentrum der Krise, weshalb ein weiterer Verfall des
Dollar eintreten könnte.
Mit Blick auf das Leistungsbilanzdefizit
der USA erwarten Ökonomen schon seit Jahren eine Talfahrt des Dollars, die die Importe aus anderen
Ländern drastisch verteuern und daher einschränken würde. Damit wären allerdings auch
nachlassende Kapitalimporte verbunden, die die USA in den letzten Jahrzehnten nicht nur zur Drehscheibe
internationaler Finanzmärkte sondern auch zum Kontrollzentrum der kapitalistischen Weltwirtschaft
gemacht haben.
Wie die herrschende Klasse der USA auf
einen Kontrollverlust reagieren würde, der im Zuge sinkender Dollarkurse und Kapitalimporte eintreten
würde, ist gegenwärtig nicht absehbar. Andererseits dürfte die amerikanische Arbeiterklasse
von sinkenden Importen ein Ende der Arbeitsplatzvernichtung in der heimischen Industrie erwarten, der ihre
wirtschaftliche Position zumindest stabilisiert und damit auch die Abhängigkeit von Konsumenten- und
Immobilienkredit verringert. Zugleich würden Arbeiter in Ländern wie Deutschland und Japan
allerdings auch erfahren, dass im Namen der Exportförderung hingenommener Lohnverzicht wirkungslos
wird, sobald Euro- bzw. Yen-Exporte sich aufwertungsbedingt auf dem Weltmarkt stark verteuern.
Die US-Immobilienkrise strahlt demnach
nicht nur in andere Wirtschaftssektoren und Länder aus, sondern kann auch zur Verschiebung von
Klassenverhältnissen beitragen und damit etablierte Muster der nationalen wie auch internationalen
Politik in Frage stellen.
Bleibt zum Schluss die Frage, ob die Krise
hätte verhindert werden können. Viele Wirtschaftsjournalisten, die noch vor wenigen Wochen ihre
Begeisterung über steigende Börsenkurse kaum zügeln konnten, beklagen jetzt billige
Kreditvergabe und nachlässige Bankenaufsicht als Ursache der Immobilienkrise. Recht haben sie; zu
einer schnellen Überwindung der Börsen- und Konjunkturkrise 2001 sowie einem spekulativ
angeheizten Aufschwung wäre es nicht gekommen, wenn die US-Zentralbank nicht mit drastischen
Zinssenkungen und einer Erhöhung des Geldangebots gegengesteuert hätte. Dafür wären
Nachfrageausfälle und damit auch die Rückgänge von Produktion und Beschäftigung in den
USA und der Weltwirtschaft insgesamt viel stärker ausgefallen, hätten zu plötzlicher
Verelendung und wahrscheinlich politischen Destabilisierung zumindest einiger Länder geführt.
Dies war politisch nicht gewollt und konnte
auch verhindert werden. Politische Intervention kann den kapitalistischen Krisenzyklus nicht aufheben, kann
ihm aber eine Verlaufsform geben, die Totalzusammenbrüche verhindert und die Vernichtung von Kapital,
für das es keine rentablen Anlagemöglichkeiten gibt, zeitlich streckt und sozialisiert. Politisch
angeheizte Spekulationsblasen einerseits und politisch moderierte Krisen wie zuletzt am Immobilienmarkt
sind so gesehen der Preis für die relative Stabilisierung kapitalistischer Entwicklung. Es gibt keine
Garantie, dass die politische Krisenregulierung immer gelingt, und man sollte sich auch nicht darauf
verlassen, dass herrschende Klassen unter allen wirtschaftlichen und politischen Umständen eine solche
Lösung anstreben. (12.8.2007)
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