SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2007, Seite 17

Immobilienkrise in den USA

Ursachen, Verlauf und mögliche Auswirkungen

von Ingo Schmidt

So ändern sich die Zeiten. Im Juni und Juli fieberte die Börsenwelt neuen Rekorden entgegen; heute ist man schon froh, wenn Firmenpleiten ausbleiben und der Verfall der Wertpapierkurse durch Finanzspritzen der Zentralbanken in Washington, Frankfurt und London gestoppt werden kann.
Die Ursachen dieser vom US-Immobiliensektor ausgehenden Krise lassen sich bis zum Ende der New Economy 2001 zurückverfolgen, als ein bis 2003 anhaltender Verfall der Wertpapierpreise eingesetzt hat und es darüber hinaus zu einem Rückgang von Produktion und Beschäftigung gekommen ist.
In den USA war dieser Konjunktureinbruch kürzer und schwächer als in den meisten anderen kapitalistischen Metropolen. Dies war vor allem der US-Zentralbank zu verdanken, die massenhaft günstige Finanzmittel zur Verfügung stellte. Angesichts der Überkapazitäten, die im vorangegangenen Aufschwung als Folge erheblicher Investitionen entstanden waren, hielten sich private Unternehmen in den USA mit der Inanspruchnahme dieses billigen Geldes sehr zurück.
Umso beherzter griffen allerdings private Haushalte zu. Insbesondere Teile der Arbeiterklasse und die Mittelklasse, die infolge von Rationalisierung und Produktionsverlagerung entweder bereits Einkommensverluste erlitten hatten oder solche in der Zukunft befürchteten, waren froh, auf der Grundlage billigen Kredits ihren gewohnten Lebensstandard beizubehalten bzw. sogar noch etwas anzuheben.
Der Immobiliensektor spielte dabei eine besondere Rolle: Erstens ist Wohneigentum, und sei es nur ein Haus im Trailer Park, in den USA sehr viel weiter verbreitet als in Deutschland, weshalb viele Haushalte die günstigen Finanzierungsmöglichkeiten zur Häuserkauf nutzten. In der Folge stiegen die Preise für Immobilien stark an. Auf der Grundlage dieser Wertsteigerungen, die den Banken als Kreditsicherheiten angeboten werden konnten, war eine massive Ausweitung von Konsumentenkredit und hierdurch finanzierten Ausgaben möglich.
Im Verlauf des Booms nahm schließlich die Zahl jener, insbesondere ärmeren, Haushalte zu, die fällige Zinsen und Tilgungen nicht aufbringen konnten. Eng wurde es für viele insbesondere, weil sie Kredite mit variablen Zinssätzen aufgenommen hatten, die laufend dem allgemein während des Aufschwungs steigenden Zinsniveau angepasst wurden. In der Folge mussten immer mehr Familien ihre Häuser verkaufen, ihren Konsum anderweitig einschränken oder sich zu erheblich höheren Zinsen noch weiter verschulden. Erst hierdurch kam es zu einer Aufblähung zweitklassiger Hypotheken, die schließlich auf solche Subprime-Kredite spezialisierte Firmen ins Trudeln gebracht und einige in den Bankrott getrieben hat.
Die nunmehr rückläufigen Umsätze und Preisrückgänge haben zu einer Krise geführt, die längst über den Immobiliensektor hinauswirkt. Das liegt einerseits daran, dass Kreditrisiken an Wertpapierbörsen gehandelt werden und auf diesem Weg in den Fonds vieler Banken und institutioneller Investoren gelandet sind. Da die geplanten Renditen nicht erzielt werden können, ist inzwischen der gesamte Wertpapiermarkt von Verkaufsstimmung beherrscht.
Zudem bedrohen Kreditausfälle im Immobiliengeschäft den gesamten über kurzfristige Kredite abgewickelten Zahlungsverkehr zwischen Banken, privaten Unternehmen und Haushalten. Selbst Unternehmen und Haushalte, die weder im Immobilien- noch Wertpapiermarkt Geschäfte betreiben, können deshalb in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Um eine derartige Kreditklemme zu verhindern, haben Zentralbanken in den kapitalistischen Metropolen jüngst erheblich Liquidität ins private Finanzsystem gepumpt.
Durch solche oder ähnliche Interventionen konnten Zusammenbrüche des Finanzsystems nicht nur 2001 sondern in jeder Krise seit dem Börsenkrach 1929, der zum Auslöser einer bislang einzigartigen Wirtschaftsdepression geworden war, verhindert werden. Die Auswirkungen der gegenwärtigen Immobilienkrise auf die US- und Weltwirtschaft hängen deshalb ebenso von den Reaktionen wirtschaftlicher wie auch politischer Akteure ab, wobei die Zentralbanken der imperialistischen Hauptmächte eine Schlüsselrolle spielen.
Eine akute Liquiditätskrise, die die kapitalistische Warenzirkulation — und in der Folge auch die Produktion von Waren — zum Erliegen bringt, mag durch kräftige Finanzspritzen der Zentralbanken verhindert werden. Für Kreditnehmer dürften die Zeiten billigen Geldes und hierdurch zu finanzierender Ausgaben dennoch erst einmal vorüber sein, weil Banken sich bei der Kreditvergabe zurückhalten werden. Hiervon sind Haushalte und staatliche Kreditnehmer viel stärker betroffen als private Industrieunternehmen.
Letztere haben in Zeiten massiver Umverteilung von Lohn- zu Gewinneinkommen finanzielle Polster ansammeln können, die sie über die kreditfinanzierte Abwicklung des laufenden Zahlungsverkehrs weitgehend unabhängig von Kredit- oder Börsenfinanzierung macht. Allerdings können rückläufige Konsumausgaben die Industrie von der Absatzseite her in Schwierigkeiten bringen. Die bislang recht optimistischen Konjunkturprognosen der institutionalisierten Wirtschaftswissenschaft dürften daher in Kürze etwas nach unten korrigiert werden.
Angesichts der insbesondere über die Wechselkurse ausgetragenen Konkurrenz einzelner Länder um möglichst große Anteile an der globalen zahlungsfähigen Nachfrage sind auch Währungsturbulenzen bzw. langfristige Wechselkursänderungen zu berücksichtigen, die durch die Immobilienkrise in den USA ausgelöst werden können. Schon vor Ausbruch der Krise hat der US-Dollar gegenüber Euro und Yen an Wert verloren. Obwohl die Immobilienkrise über die Anlagestrategien europäischer und asiatischer Investoren auch dorthin ausstrahlt, bleiben die USA das Zentrum der Krise, weshalb ein weiterer Verfall des Dollar eintreten könnte.
Mit Blick auf das Leistungsbilanzdefizit der USA erwarten Ökonomen schon seit Jahren eine Talfahrt des Dollars, die die Importe aus anderen Ländern drastisch verteuern und daher einschränken würde. Damit wären allerdings auch nachlassende Kapitalimporte verbunden, die die USA in den letzten Jahrzehnten nicht nur zur Drehscheibe internationaler Finanzmärkte sondern auch zum Kontrollzentrum der kapitalistischen Weltwirtschaft gemacht haben.
Wie die herrschende Klasse der USA auf einen Kontrollverlust reagieren würde, der im Zuge sinkender Dollarkurse und Kapitalimporte eintreten würde, ist gegenwärtig nicht absehbar. Andererseits dürfte die amerikanische Arbeiterklasse von sinkenden Importen ein Ende der Arbeitsplatzvernichtung in der heimischen Industrie erwarten, der ihre wirtschaftliche Position zumindest stabilisiert und damit auch die Abhängigkeit von Konsumenten- und Immobilienkredit verringert. Zugleich würden Arbeiter in Ländern wie Deutschland und Japan allerdings auch erfahren, dass im Namen der Exportförderung hingenommener Lohnverzicht wirkungslos wird, sobald Euro- bzw. Yen-Exporte sich aufwertungsbedingt auf dem Weltmarkt stark verteuern.
Die US-Immobilienkrise strahlt demnach nicht nur in andere Wirtschaftssektoren und Länder aus, sondern kann auch zur Verschiebung von Klassenverhältnissen beitragen und damit etablierte Muster der nationalen wie auch internationalen Politik in Frage stellen.
Bleibt zum Schluss die Frage, ob die Krise hätte verhindert werden können. Viele Wirtschaftsjournalisten, die noch vor wenigen Wochen ihre Begeisterung über steigende Börsenkurse kaum zügeln konnten, beklagen jetzt billige Kreditvergabe und nachlässige Bankenaufsicht als Ursache der Immobilienkrise. Recht haben sie; zu einer schnellen Überwindung der Börsen- und Konjunkturkrise 2001 sowie einem spekulativ angeheizten Aufschwung wäre es nicht gekommen, wenn die US-Zentralbank nicht mit drastischen Zinssenkungen und einer Erhöhung des Geldangebots gegengesteuert hätte. Dafür wären Nachfrageausfälle und damit auch die Rückgänge von Produktion und Beschäftigung in den USA und der Weltwirtschaft insgesamt viel stärker ausgefallen, hätten zu plötzlicher Verelendung und wahrscheinlich politischen Destabilisierung zumindest einiger Länder geführt.
Dies war politisch nicht gewollt und konnte auch verhindert werden. Politische Intervention kann den kapitalistischen Krisenzyklus nicht aufheben, kann ihm aber eine Verlaufsform geben, die Totalzusammenbrüche verhindert und die Vernichtung von Kapital, für das es keine rentablen Anlagemöglichkeiten gibt, zeitlich streckt und sozialisiert. Politisch angeheizte Spekulationsblasen einerseits und politisch moderierte Krisen wie zuletzt am Immobilienmarkt sind so gesehen der Preis für die relative Stabilisierung kapitalistischer Entwicklung. Es gibt keine Garantie, dass die politische Krisenregulierung immer gelingt, und man sollte sich auch nicht darauf verlassen, dass herrschende Klassen unter allen wirtschaftlichen und politischen Umständen eine solche Lösung anstreben. (12.8.2007)


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