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Der tödliche Wahnsinn der EU-Grenzpolitik vollzieht sich derzeit in drei
Schritten: 1. abwehren, 2. wegschauen und 3. kriminalisieren.
Zur Abwehr der "Botschafter der
Ungerechtigkeit" sind ganze Flotten von See- und Luftfahrzeugen unterwegs. Sie haben den Auftrag, die
unerwünschten Besucher "zu stoppen und zur Umkehr zu bewegen". Dass es bei den meist
nächtlichen Begegnungen zwischen Kriegsschiffen und Flüchtlingsbooten immer wieder Tote gibt,
liegt in der Natur der Sache: Wer Migrationsbewegungen mit militärischen Mitteln stoppen will, der
nimmt Todesopfer von vornherein in Kauf. Dass die EU-Behörde mit Sitz in Warschau, die diesen
organisierten Massenmord koordinieren soll, den Namen Frontex trägt, lässt nicht von
ungefähr an Ungezieferbekämpfung und Vernichtungsfeldzug denken. Der "Krieg gegen
Flüchtlinge" ist längst europäische Realität.
Weggeschaut wird bspw., wenn wieder einmal
eines jener jämmerlichen Boote, überladen und vom Kurs abgekommen, in Seenot geraten ist. Dann
geben zwar die Seefunkstellen die genauen Koordinaten der driftenden, sinkenden Kähne durch
doch nur in Ausnahmefällen wird versucht, den verzweifelt um ihr Leben kämpfenden Menschen zu
Hilfe zu kommen. Aber woher stammen die überaus exakten Positionsangaben in den entsprechenden Navtex-
Meldungen (Navigational Warnings via Telex), die auf jedem Schiff empfangen werden? Das Mittelmeer und die
Meeresgebiete vor den Kanaren werden von Schiffen, Flugzeugen und Satelliten lückenlos überwacht.
Irgendjemand sitzt also vor seinem Radarschirm, seinem Monitor mit Satellitenbildern und beobachtet, wie
sich die täglichen Dramen ihrem schaurigen Ende zubewegen unternimmt aber nichts. Es
genügt ja, in aller Ruhe abzuwarten, bis sich der Fall buchstäblich von selbst erledigt hat:
keine Spur mehr von Boot und Besatzung, keine Zeugen, keine Anklage wegen unterlassener Hilfeleistung.
Bleibt noch das dritte, hochwirksame
Werkzeug des europäischen Grenzregimes: die Kriminalisierung von Flüchtlingen und Helfern. Jene
sieben tapferen tunesischen Fischer, die das Leben von 44 Männern, Frauen und Kindern retteten [siehe
Seite 15], waren nicht die ersten und sie werden nicht die letzten sein, deren Rettungstat mithilfe rigider
"Schlepperparagrafen" zur Straftat umgedreht werden soll. Sie fanden sich prompt vor derselben
Strafkammer wieder, die auch den "Fall Cap Anamur" verhandelt. Dass nun fünf der sieben
Fischer aus der Haft entlassen wurden, ist ein schönes Ergebnis breiter internationaler
Solidarität. Aber es ändert nichts daran, dass das brutale Kalkül der Gesetzgeber am Ende
doch aufgeht.
Denn die diversen Schauprozesse gegen
Lebensretter dienen allzu offensichtlich einzig der Abschreckung von Nachahmungs-"Tätern".
Und diese Funktion erfüllen sie auch ohne rechtskräftige Verurteilung. Allein die Aussicht, sich
vor Gericht wiederzufinden, wird immer mehr Seeleute davon abhalten, ihrem Impuls zur Hilfeleistung zu
folgen. Und die drohende Beschlagnahmung der Fischerboote einzige Einnahmequelle vieler Familien
tut ein Übriges, die in Todesangst schreienden Schiffbrüchigen ihrem Schicksal zu
überlassen.
Flüchtlingskonvention? Menschenrechte?
An Europas Grenzen existiert nicht einmal mehr das Menschenrecht auf Leben. Und die EU-Strategen feiern
diesen moralischen Bankrott ihrer Grenzpolitik zynischerweise als Erfolg, schließlich kommen ja immer
weniger der unerwünschten Migranten auf dem Seeweg bei uns an. Derweil werden die Toten auf dem
Meeresgrund, in den Fischernetzen und an den Stränden immer mehr, auch wenn sie in keiner offiziellen
Statistik vermerkt sind.
Die Opfer des brutalen EU-Grenzregimes sind
zumeist junge Menschen, die in ihrer Heimat keine Perspektiven mehr für sich sehen. Die Verelendung
weiter Teile der Welt ist aber unmittelbare Folge (auch) europäischer Politik. Wer aber
gewohnheitsmäßig seinen Wohlstand auf die Ausplünderung anderer Kontinente baut, wer durch
Agrarsubventionen und Handelshemmnisse den Nachbarregionen die Lebenschancen nimmt und durch seinen
(selbst)mörderischen Lebenswandel zum Klimawandel beiträgt, wer schließlich Millionen
Menschen aus ihren Heimatländern vertreibt, dem fällt es freilich schwer, sich den Konsequenzen
eines solchen Verhaltens zu stellen.
Angesichts von Tausenden Toten und
"Verschwundenen" an unseren Grenzen haben wir aber keine andere Wahl.
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