SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2007, Seite 04

Afghanistan-Mandat

"Da können die Soldaten genauso gut nach Hause kommen"

von Peter Strutynski



Auf der Antikriegsdemo am 15.9. in Berlin zerpflückte Peter Strutynski, Sprecher des Kasseler Friedensratschlags, die Argumente der Mehrzahl der Abgeordneten im Bundestag für die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan. Im Folgenden ein Auszug aus seiner Rede.



Da behauptet doch die Bundesregierung in ihrem neuen Afghanistan-Konzept, die Demokratie mache Fortschritte. So sei das afghanische Parlament "zu einem lebhaften Forum für politische Debatten geworden". So lebhaft, dass eine junge Abgeordnete, die auf einer Vortragsreise durch die USA die Regierung Karsai kritisierte, bei ihrer Rückkehr wegen ihrer unpatriotischen Äußerungen für drei Jahre aus dem Parlament ausgeschlossen wurde. Ist das vielleicht ein Vorbild für den Bundestag? Da gibt es ja wieder eine Fraktion mit lauter vaterlandslosen Gesellen.
Im Konzept der Bundesregierung heißt es weiter, dass der Aufbau afghanischer Sicherheitskräfte Fortschritte mache. Wie schön! Was aber nicht gesagt wird: Rund 60% der von Deutschland ausgebildeten afghanischen Polizisten "desertieren"; sie laufen zur anderen Seite über und verstärken die Reihen der Taliban- Kämpfer. Mit anderen Worten: Die Bundesregierung unterstützt den Wiederaufbau der terroristischen Strukturen in Afghanistan. Wer also wirklich etwas gegen den Terrorismus unternehmen will, muss diesen Einsatz beenden.
Im Leitantrag des Grünenvorstands werden "gute Gründe" für die Bundeswehrpräsenz in Afghanistan aufgezählt. Ein Grund: Die Bundeswehr sei doch "auf Bitte der gewählten Regierung" dort. Da lässt bei den Grünen dann doch das Erinnerungsvermögen stark nach. Die Bundeswehr war schon drei Jahre in Afghanistan, bevor sich der Statthalter von Kabul, Hamid Karsai, zum Präsidenten hat wählen lassen. Und wie es mit dessen Legitimation heute aussieht, erzählte vor kurzem der SPD- Verteidigungsexperte Arnold. Der Tagesschau sagte er, die Karsai-Regierung habe "jegliche Akzeptanz in der Bevölkerung verloren".
Aber die vom UN-Sicherheitsrat beschlossene Militärmission ISAF hat doch den Auftrag, dieses abgehalfterte Regime zu "stabilisieren"?
37000 Soldaten sind es mittlerweile, die zum ISAF-Kommando gehören, 11000 kommen im Rahmen des sog. Antiterroreinsatzes "Operation Enduring Freedom" hinzu. Und da wird uns nun eine weitere Lüge aufgetischt: Ja, das mit dem Terroreinsatz, den die USA anführen, das sei nicht immer ganz appetitlich, da würde mit Rambomethoden gekämpft. ISAF dagegen würde "behutsam" kämpfen und die Zivilbevölkerung schonen. Wie diese Schonung aussieht, können wir täglich den Nachrichten entnehmen: Gerade in den letzten Monaten häufen sich die Meldungen, wonach zunehmend Zivilpersonen Opfer auch von ISAF-Angriffen werden. Im "Friedensgutachten 2007" der fünf großen Friedensforschungsinstitute heißt es zutreffend: "ISAF tritt in die Fußstapfen der Antiterrorkrieger". Für die Opfer ist es unerheblich, ob sie von einer Antiterror- oder einer ISAF-Bombe getroffen werden. Es gibt eben keinen humanen Krieg. Das Töten insgesamt muss beendet werden.
Und die Tornados leisten Beihilfe zum Töten. Der vor einem halben Jahr beschlossene Tornado-Einsatz, gegen den sich neben der Linksfraktion eine große Zahl grüner Abgeordneter und ein Drittel der SPD-Fraktion aussprachen, ist auch kein harmloser Einsatz. Den Nein-Sagern vom März wird das Leben nun dadurch schwer gemacht, dass Tornado- und ISAF-Einsatz in einem Antrag zusammengefasst werden sollen. Für die Abgeordneten, die für ISAF sind, aber den Tornado-Einsatz ablehnen, heißt das, entweder beides abzulehnen oder beides zu befürworten. Es ist zu befürchten, dass so mancher Abgeordneter die Kröte "Tornado" schlucken wird — gerade die Grünen haben es im Kröten-Schlucken zu einer wahren Meisterschaft gebracht — anstatt sich dem Vorwurf auszusetzen, mit der Ablehnung von ISAF den "notwendigen Schutz des zivilen Wiederaufbaus" in Afghanistan zu gefährden.
Auch wieder so eine Illusion, wenn nicht gar eine bewusste Lüge: ISAF schützt den zivilen Wiederaufbau! Zivile Hilfsorganisationen wie Caritas International, das Rote Kreuz, Medico international oder die Kinderhilfe Afghanistan fordern für ihre Arbeit strikte Neutralität. Nur dort, wo kein ausländisches Militär sichtbar ist, könne auch zivile Aufbauarbeit gedeihen. Die von der Bundesregierung so hoch gelobte zivil- militärische Kooperation macht aus den zivilen Helfern Kombattanten. Sie geraten ins Visier krimineller Banden oder eines nicht exakt zu definierenden "bewaffneten Widerstands". So manche Hilfsorganisation hat bereits das Handtuch geworfen. Damit schwindet das Hauptargument der Befürworter des Militäreinsatzes: Die Hilfe, die es militärisch zu sichern gälte, zieht sich zurück. Das Militär "sichert" am Ende nur noch sich selbst. Von den deutschen Truppen, die ihr Hauptquartier in Masar-i-Sharif haben, wird mittlerweile berichtet, dass sie ihre Stellung gar nicht mehr verlassen. Da können sie doch genauso gut nach Hause kommen."


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