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Der "Skandal" um Bordellbesuche und Luxusreisen, mit dem die Karriere des
Quälers der Arbeitslosen und Ex-VW-Personalchefs Peter Hartz ein unrühmliches Ende fand, ist kein Skandal
kein verwerfliches Fehlverhalten einzelner. Er ist Teil des Systems und ein Beispiel für betriebliche Kollaboration
zwischen Kapital und Arbeit.Wenige Wochen nach Erscheinen des jüngsten Buches, das unter der Autorenschaft von Peter
Hartz veröffentlich wurde (P.Hartz, Macht und Ohnmacht, Hamburg: Hoffmann und Campe, 2007), ist es schon antiquarisch zu
haben. Es ist so wenig ein Renner, wie die früher unter seinem Namen veröffentlichten Bücher. Doch lohnt die
Lektüre für jene, die einen Blick hinter die Kulissen des Systems werfen wollen, weil die Banalität der Macht
deutlich wird, auch wenn, wie im Fall Hartz, der größte Sozialabbau der Nachkriegszeit eingeleitet und legitimiert
wurde.
1938 wurde mit dem Bau des Volkswagenwerks und der
künftigen Stadt begonnen, nachdem Porsche im Auftrage der Nazis das Projekt entworfen, das Auto konstruiert und bei Ford
in Detroit viele "deutschstämmige" Ingenieure und Facharbeiter abgeworben hatte. Für die Nazis war die
Propagierung der Massenmotorisierung ein Teil ihrer sozialen Demagogie, tatsächlich ging es auch um die Erweiterung der
Kriegsproduktion. Porsche war dabei ein willfähriger Helfer, im Einsatz von Arbeitsklaven vor allem osteuropäischer
Ländern und aus Konzentrationslagern hat er eng mit der SS zusammen gearbeitet.
Die Finanzierung erfolgte über einen doppelten Betrug,
indem die "Deutsche Arbeitsfront" (DAF) die geraubten Gewerkschaftsvermögen einbrachte und etwa 300000
Menschen um ihre "Spareinlagen" für den "KdF-Wagen" geprellt wurden. Es sollte ein
"nationalsozialistischer Musterbetrieb" entstehen mit Führer- und Gefolgschaftsprinzip und der Negierung von
Widersprüchen zwischen Unternehmen und Beschäftigten. Daraus wurde ein nach innen und außen autoritärer
Korporatismus, der von Porsche als "Betriebsführer" und Lafferentz von der DAF als seinem Vertreter
durchgesetzt wurde.
1945 war das Werk ohne "Besitzer", weil die DAF als
Naziorganisation aufgelöst war; neben der Werkleitung und ersten Gehversuchen von Gewerkschaften und betrieblicher
Interessenvertretung entschieden die Briten über den Alltag in Werk und Stadt.
In der ersten "Arbeitsordnung" nach 1945 hieß
es: "Das Volkswagenwerk wird zweifellos Eigentum des Deutschen Volkes werden und durch seine selbstgewählten
Repräsentanten vertreten sein. In der Zwischenzeit sind wir die Treuhänder des Werkes für das ganze deutsche
Volk ... Sämtliche Arbeiter bilden eine geschlossene, demokratisch geführte Leistungsgemeinschaft ...
Disziplinlosigkeit gegenüber dem Leistungswillen wird energisch bekämpft. Ein großer gewerkschaftlicher
Vertrauensmännerkörper unterstützt die Werkleitung und den Betriebsrat in dieser Aufgabe."
1949 wurde die "Volkswagen Werk GmbH"
treuhänderisch der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Niedersachsen übertragen.
Ab 1960 wurde das Unternehmen weitgehend privatisiert, 60%
des Kapitals wurden als "Volksaktien" verkauft. Um den Widerstand von Gewerkschaft und Belegschaft gegen die
Privatisierung zu brechen, wurde das "VW-Gesetz" beschlossen. Darin sind besondere Mitbestimmungsrechte des Staates
und des Betriebsrats verankert.
Seit 1993 führt der Enkel von Porsche, Ferdinand Piëch,
das Unternehmen. Im Jahr 2006 begann der Porsche-Piëch-Clan, mit der Zustimmung des Betriebsrats und ohne Widerstand der
Gewerkschaft die Privatisierung des Unternehmens zu vollenden. In seiner Auto-Biografie betont Piëch die Kontinuität zu
seinem Großvater, dem "genialen Techniker" und skrupellosen KZ-Profiteur: "Die Vorstellung einer
höchstkarätigen inneren Mannschaft, deren Zusammenspiel wiederum nur ein einzelner im Detail lenkt, hat mich ein
Leben lang nicht losgelassen. Es ist für mich das wichtigste Rezept geblieben, wie man tatsächlich Vorsprung
gegenüber dem Wettbewerb erzielen kann."
Vor diesem Hintergrund ist der Fall von Hartz zu sehen, nunmehr heraus katapultiert aus der "inneren
Mannschaft", die "ein einzelner lenkt". Schöner waren die Zeiten, als er an den "Hebeln der
Macht" saß: "Als Vorstandsmitglied genießt man bei Volkswagen einen besonderen Service. Die besten Leute
arbeiten einem zu. Sie schreiben hervorragende Reden, entwickeln Ideen weiter. Ich musste mir überhaupt keine Gedanken
machen ... Ich hatte einen Stab, der mir alles vorbereitet und nur das vorgelegt hat, was ich wissen musste."
Als Schröder ihn 2002 zum Chef der
Arbeitsmarktkommission machte, flackerte der autoritäre Korporatismus wieder hell auf: Die Vorschläge der Hartz-
Kommission seien "eins zu eins" umzusetzen, sonst gäbe es keinen Erfolg. Erprobt worden war diese Strategie
vorher bei Volkswagen, als es um die Einführung der 4-Tage-Woche, das Projekt "Auto 5000" oder andere
Vereinbarungen zur "Standortsicherung" ging. Piëch, Hartz, Schröder und Volkert haben sich bei all diesen
Projekten gegenseitig gestützt und getragen.
Die besondere Form der Zusammenarbeit zwischen
Unternehmensleitung, Betriebsrat und Staat bildete sich im Zuge der Privatisierung und der ersten Krisen Anfang der 70er
Jahre heraus; sie wird als "kooperative Konfliktlösung" bezeichnet Sie hatte u.a. zum Ergebnis, dass in den
Werken der VW AG bisher kein "offizieller" Streik stattgefunden hat. In den Jahren der Expansion sind die VW-
Beschäftigten aufgrund der hohen Leistung und Produktivität sowie des hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrads
damit im Vergleich zu anderen Industriearbeitern materiell gut gefahren. Hartz und Volkert haben die "kooperative
Konfliktlösung" zum Co-Management weiterentwickelt.
Im Juli 2001 wurden die Verhandlungen über das Projekt
5000x5000 von der IG Metall abgebrochen. Hartz und Volkert erklärten starrsinnig, sie wollten das Projekt nun allein
durchziehen. Natürlich ging das nicht. Hartz dazu in seinem Buch: "Natürlich hat so mancher gedacht: jetzt
spinnt er. Der IG-Metall-Vorstand wollte das Konzept eigentlich ablehnen. Ich bin hart geblieben, obwohl ich wusste, dass ich
an den Gewerkschaftern, die im Aufsichtsrat saßen, nicht vorbeikam ... Volkert ... hat die Idee mitgetragen und im
Konzern kommuniziert. In ihm und seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Werner Widuckel, der heute Personalvorstand bei Audi
ist, hatte ich meine dringend nötigen Verbündeten."
Der 60.Geburtstag von Hartz im August 2001 wurde wie ein
Staatsakt begangen. Schröder mit Gefolge, Vorstand und Aufsichtsrat von VW, DGB- und IG-Metall-Führung, der VW-
Gesamtbetriebsrat waren nebst vielen weiteren Gästen angetreten. Gleich danach tönte der Kanzler im ZDF:
"Gewerkschaften, Geschäftsleitung und Betriebsrat haben sich fest in die Hand versprochen, dass das jetzt
läuft."
Gefeiert wurde das Projekt als zukunftsweisend; hinter den
Kulissen hörte es sich anders an: "Bereits in der Startphase von Auto 5000 hatte Volkswagen zu viel Personal an
Bord", sagt Hartz-Nachfolger Neumann. In den Werken der VW AG ist die Beschäftigung im Produktionsbereich zwischen
2002 und 2007 um 9500 gesunken. Gleichzeitig wurde die 4-Tage-/30-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich wieder auf 5 Tage/35
Stunden verlängert.
Eine Schnapsidee von Hartz, die in der Regierungskommission
jedoch abgeschmettert wurde, war das sog. "Ausbildungszeitwertpapier". In vorauseilendem Gehorsam gab H.J.Uhl
für den Gesamtbetriebsrat unvermittelt die Vorlage: "Ich könnte mir vorstellen, dass wir die
Ausbildungsvergütung kürzen und dafür neue Ausbildungsplätze schaffen." Nach anfänglichem
Protest wurde diese Idee "übererfüllt": Die Ausbildungsvergütungen und die Ausbildungsplätze
wurden gekürzt, die bis dahin geltende Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis wurde
eingeschränkt.
Das deutsche Modell der Vereinnahmung von Gewerkschaften
ließ sich trotz Bemühungen von Volkert und Uhl nicht auf alle Standorte übertragen. In Mexiko
wurde 1992 ein Streik provoziert, in dessen Ergebnis die gesamte Belegschaft ausgesperrt und, bis auf 600
"Rädelsführer", später wieder eingestellt wurde. Gleichzeitig wurde ein neues Gewerkschaftsstatut
und ein neuer Tarifvertrag verordnet, der gravierende Änderungen vorsah (Aufhebung des Senioritätsprinzips,
Teamarbeit). Seit dieser Zeit sind die Personalkosten bei VW de México von 11% auf 4% (jeweils vom Umsatz) gefallen.
In Südafrika wurden im Jahr 2000 erst ein
innergewerkschaftlicher Konflikt und dann ein Streik geschürt. Wie in Mexiko wurde die Belegschaft ausgesperrt und
danach bis auf tausend "Rädelsführer" wieder eingestellt. Der "Generalsekretär" des
Weltkonzernbetriebsrats, Uhl, und der den VW-Skandal auslösende Personalmanager Schuster, die rechte Hand von Hartz,
waren vor Ort und haben die Entlassungen exekutiert, ohne einmal mit dem Streikkomitee geredet zu haben.
Die Bemühungen, autonome Gewerkschaften auf
Standortkorporatismus, Standortwettbewerb und Gewinnmaximierung zu verpflichten, vollziehen sich mit Zuckerbrot und, wenn
nötig, mit Peitsche.
Manches ist nur psychologisch zu erklären: die nach außen hermetisch abgedichtete Innensphäre, Piëchs
"innere Mannschaft", in der sich diese Typen bewegen, die fehlende Kontrolle auch innerhalb von Betriebsrat und
Gewerkschaft, das sind sicher Gründe. Dazu kommen viele rote Teppiche, öffentliche Belobigungen, eine
unwürdige Hofberichterstattung in den Medien, ein Leben in Saus und Braus, das sie völlig abheben und jeden
Maßstab verlieren lässt. Interessant ist übrigens, dass Hartz sich an diese Seite überhaupt nicht
erinnern will, nicht im Prozess und auch nicht in dem Buch. Er erwähnt auch nicht, dass er wie seine Vorstandskollegen
mit Ehrendoktortiteln, gar mit Ehrenprofessuren fast überschüttet wurde. Volkert wollte da nicht nachstehen,
ließ sich von der Universität in Braunschweig den Dr.rer.pol.hc. um den Hals hängen und verlangte nach dem
niedersächsischen Verdienstorden auch noch das Bundesverdienstkreuz.
Hartz war einer der letzten Vertreter dieser Form von
"Mitbestimmung", die nun bei VW aufgekündigt ist. Piëch, Porsche und Wiedeking pfeifen inzwischen auf die
Kooperation mit dem Betriebsrat und setzen auf schnelle und nackte Profitmaximierung. Klassenkompromiss und Korporatismus in
der bisherigen Form werden nach der vollständigen Privatisierung und der neoliberal begründeten Liquidierung des
VW-Gesetzes nicht mehr benötigt. Der Haustarif wird erhalten bleiben, weil er sehr flexibel ist und "genügend
Sparpotenzial bietet".
Insbesondere die Konkurrenz zwischen den Werken wird auf die
Spitze getrieben, und Volkswagen wird durch Expansion nach Russland, China, Indien und Malaysia seinen Platz an der Spitze
der Weltautomobilindustrie verteidigen. Die Beschäftigten, die dabei bleiben "dürfen", werden
glücklich sein, noch einen Job zu haben und sich als Gewinner im Kampf um Arbeitsplätze fühlen.
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