SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2007, Seite 10

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Warum soll ich die Bahn-Aktie kaufen, wo mir doch die Bahn gehört!

von Gerlinde Schermer

Die SPD-Basis hat massenhaft Beschlüsse gegen die Privatisierung der Bahn gefasst, dennoch setzen der Bundesvorstand der SPD und die CDU/SPD geführte Bundesregierung den unheilvollen Kurs der Privatisierung der Bahn fort.
Allen voran Minister Tiefensee, der zwar sympathisch Geige spielt, aber die kommunalen Betriebe der Stadt Leipzig über Cross-Border-Leasing oder Privatisierung an Finanzinvestoren verkauft hat. Wir alle müssen das letztlich bezahlen.
Die sog. Partnerschaften zwischen Privaten und der öffentlichen Hand — ob Anteilsverkäufe, Holding- oder PPP-Modelle — setzen immer geheime Verträge voraus, in denen ganz säuberlich aufgeschrieben steht, dass die Rendite für die Privaten sicher ist.
Abgeordnete, die heute per "Grundsatzbeschluss" ihre Zustimmung geben, haben meist die richtigen Verträge nie gesehen, geschweige denn verstanden. Damit sind die Berater beschäftigt, die zwischen den Partnern auch noch wechseln und bestens verdienen. Demokratische Kontrolle gibt es trotz Informationsfreiheitsgesetz nicht.
Genauso ist es für die Bahn geplant. Deutschland muss zahlen, für die zukünftigen Gewinne der Privaten! An geheimen Verträgen ist später nichts zu ändern, niemand erfährt, was noch alles zugegeben wird, weil man nicht öffentlich zugeben will, vor Jahren eine falsche Entscheidung getroffen zu haben.
Denn private Unternehmer wollen möglichst hohen Gewinn erzielen. So gehört sich das im Kapitalismus, denn nur so funktioniert er (Gewinnmaximierungsprinzip). Den angeblichen "seriösen Anleger" gibt es nicht. Der Staat dagegen ist dem Allgemeinwohl verpflichtet. Das macht ihn, was die Erfüllung seiner Aufgaben betrifft, zum natürlichen Gegner von Teilinteressen, denn die Bahn soll ja für die Bürger Mobilität sichern, das ist der Verfassungsauftrag.
Es gibt auch kein "frisches Geld". Denn das Geld für Investitionen von Privaten wird immer zu 90% geliehen! Das Geld stammt stets von den gleichen Banken, bei denen es auch der Staat aufnehmen würde, der zudem günstigere Konditionen als jeder Private erhält.
72% der SPD-Wähler sind gegen den Verkauf oder Teilverkauf der Bahn, weil sie zu Recht den Rückzug aus der Fläche und an der Qualität fürchten. Denn schon jetzt wurden in Hinblick auf die Privatisierung Gleise und Weichen abgebaut und massenhaft in kleineren Orten Bahnhöfe geschlossen und Haltestellen aufgegeben. Das sehen zu Recht auch die Bundesländer als Gefahr. Ist erst privatisiert, wird von den Kommunen mehr Geld verlangt, wenn sie "unrentable", aber für die Menschen wichtige Strecken erhalten haben wollen.
Ich vermisse, vor allem nach dem klaren Beschluss des Berliner Landesparteitags der SPD gegen die Bahnprivatisierung, eine deutliche und öffentliche Aufforderung des Landes- und Fraktionsvorsitzenden der Berliner SPD, Michael Müller, oder des Bundeshoffnungsträgers Klaus Wowereit an die SPD-Bundestagsfraktion und den SPD- Parteivorstand, den Privatisierungskurs im Bund zu stoppen.
Was in den Zeitungen über die "Volksaktie" zu lesen war, nährt meinen Verdacht, dass diese angebliche Alternative nur als Popanz aufgebaut wird, um auf dem Bundesparteitag der SPD im Oktober einen Mehrheitsbeschluss für die Privatisierung hinzubekommen. Darin ist dann "ein Prüfauftrag Volksaktie" enthalten, obwohl jeder weiß, dass die Bahn-Volksaktie nicht kommen wird. Die Partei soll also übers Ohr gehauen werden. Wir Berliner Sozialdemokraten haben bittere Erfahrungen mit derartigen "Grundsatzbeschlüssen" gemacht.
Deshalb ein Appell an die Delegierten des SPD-Parteitags: Ein klares Nein zur Privatisierung ist das einzig Richtige. Die Anträge dazu sind für den Bundesparteitag fristgemäß eingebracht! 180 Milliarden Euro Volksvermögen zu verramschen, das hält selbst der Presseklub im Fernsehen für nicht normal.
Nicht nur ich frage mich, warum ich eine Bahnanteilsaktie kaufen soll, wo mir doch die Bahn gehört! Ich will einen ordentlichen, ökologisch vernünftigen Bahnverkehr von Berlin bis in die Fläche, und nicht nur Schnellzüge mit Wartezeiten von zwei Stunden beim mehrmaligem Umsteigen im Regionalverkehr. Das ist mit Gewinn nicht zu machen, deshalb brauche ich auch keine Aktie! Verkaufen wir doch einfach nicht! Ich habe von dieser Politik so die Nase voll. Es erinnert mich alles an die Endphase der DDR, als ignorante alte Männer am Ruder weitermachten — immer weiter — ohne Rücksicht auf das Volk. Man könnte sich geekelt abwenden, wenn man sich nicht doch kümmern müsste — als verantwortliche Staatsbürger. Wir haben den Auftrag, die Verfassung zu verteidigen! Wehren wir uns gemeinsam mit aufrechtem Gang!

Gerlinde Schermer ist Mitglied der SPD Berlin.


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