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Mit Hilfe des
großflächigen Exports von Agrarbrennstoffen will Brasilien zur Großmacht aufsteigen. Den
Preis dafür zahlen die Umwelt und die Zuckerrohrschneider. In der Region Brasiliens, die
"California" genannt wird, arbeiten sie wie einst die Sklaven.
"Als das Flugzeug vorüberflog und
das Gift verstreute, wurde mein Vater damit besprüht, und es geht ihm schlecht deswegen", sagt
eine Zuckerrohrschneiderin aus Ribeirão Prêto im Bundesstaat São Paulo. "Die Leute arbeiten, aber sie
erhalten nur Lebensmittelkarten für den Supermarkt. Statt Geld sehen sie nur die Rechnung, die sie
schulden", erzählt ein Arbeiter aus derselben Region, wo von zehn Zuckerrohrschneidern sieben
keinen Schulabschluss haben. Andere schwören, dass die von den Unternehmern kontrollierten Waagen sie
betrügen, sodass sie 110 Kilo auf die Waage legen müssen, damit diese 100 Kilo anzeigt.
Fast alle kamen aus dem Nordosten, gelockt
vom Versprechen, hohe Löhne zu verdienen. Die Arbeitsbedingungen erinnern in vielem an die Zeit der
Sklaverei. Aber der brasilianische Präsident Lula hat auf dem G8-Gipfel gesagt, dass
"Biobrennstoffe ein enormes Potenzial für die Schaffung von Arbeitsplätzen und
Einkommen" haben, und dass sie "eine authentische Option für nachhaltiges Wachstum
bieten".
Der Begriff "Biobrennstoff" ist
verwirrend. João Pedro Stédile, führender Vertreter der brasilianischen Landlosenbewegung, stellt
klar, dass die Verfechter von Ethanol "die Vorsilbe Bio verwenden, um eine gute Sache zu
suggerieren". Die Landlosen sprechen lieber von "Agrarbrennstoffen", weil es sich um Energie
handelt, die auf den Feldern produziert wird.
Claudio Lembo, der Gouverneur des Bundesstaats São Paulo, meint, die Agrarbrennstoffe werden sich wie
eine Monokultur im ganzen Land ausbreiten. Er denkt, dass Brasilien dadurch "auf den Stand von vor 500
Jahren zurückgeworfen" wird, als es eine portugiesische Kolonie war. Die landwirtschaftlich
genutzten Flächen werden verloren gehen, wenn dort Zuckerrohr zum Verfeuern angebaut wird, und es wird
sich die Geschichte dieser vier Jahrhunderte wiederholen, als "Tausende vom Leviathan der Monokultur,
der konzentrierten Reichtum schafft, aus ihren Gemeinschaften vertrieben wurden".
Die Arbeitsbedingungen der
Zuckerrohrschneider sind schrecklich, darüber sollten die nachdenken, die von dem Vorschlag begeistert
sind, fossile Brennstoffe durch Agrarbrennstoffe zu ersetzen. Etwa eine Million Menschen arbeiten in dieser
Industrie. Etwa 80% der Zuckerrohrernte wird manuell eingebracht. Die Arbeiter werden nach Akkord bezahlt,
die Unternehmer legen die individuelle Produktionsquote fest. In der Region von Ribeirão Prêto beträgt
sie etwa 12 Tonnen am Tag, doppelt so viel wie 1980. Wenn die Arbeiter sie nicht schaffen, verdienen sie
nichts.
Um die Quote zu erreichen, müssen sie
zehn bis zwölf, manchmal vierzehn Stunden am Tag arbeiten, meist unter der heißen Sonne. Viele
Eltern bringen ihre Kinder mit aufs Feld, damit sie ihnen helfen. Die Zahl der beschäftigten
Minderjährigen hat zwar abgenommen, dennoch war 1993 im Bundesstaat Pernambuco jeder vierte
Zuckerrohrschneider zwischen sieben und siebzehn Jahre alt, viele erhielten keinen Lohn.
Die Zuckerrohrschneider werden in
entfernten Regionen angeworben und müssen auf der Farm leben, in Hütten ohne Betten oder
Matratzen, ohne fließendes Wasser oder Küche. Sie müssen darin Milch auf kleinen
Feuerstellen kochen; das Essen kaufen sie auf der Farm zu höheren Preisen als auf dem Markt.
Um 10 Tonnen zu ernten, muss der
Zuckerrohrschneider am Tag mit seiner Machete etwa 72000 Schläge ausführen, 36000 Kniebeugen
machen und 10 Kilometer gehen, wobei er 10 Liter Wasser verliert. Der Monatslohn schwankt zwischen 150 und
200 Dollar. "Sie arbeiten ohne Schutz und oft verlieren sie die Finger", gibt Brasiliens
Arbeitsminister Carlos Lupi zu.
Nach und nach werden Erntemaschinen
eingeführt, die die Arbeit von hundert Menschen erledigen. Die Unternehmer schrauben deshalb ihre
Ansprüche an die Tagesleistung der Zuckerrohrschneider in die Höhe. Sie fordern, dass sie das
Rohr näher am Boden schneiden, so wie es die Maschinen tun. Das führt dazu, dass immer
jüngere Arbeiter ausgesucht werden, die einen Dollar pro Tonne erhalten.
Das Zuckerrohr wird geschnitten, nachdem es
verbrannt worden ist, das erleichtert die Ernte, schädigt aber die Umwelt schwer und ruft Lungenleiden
hervor. In der Gemeinde Piracicaba im Bundesstaat São Paulo werden in der Zeit, in der Zuckerrohr verbrannt
wird, 21% mehr Kinder mit Atemproblemen ins Krankenhaus eingeliefert. Nach Auffassung des Soziologen
Francisco de Oliveira ist die durchschnittliche Lebensdauer eines Zuckerrohrschneiders niedriger als die
der Sklaven in der Kolonialzeit.
Maria Aparecida de Moraes Silva, die seit
dreißig Jahren die Arbeit auf den Zuckerrohrplantagen untersucht, sagt, 45% der Zuckerrohrschneider
kommen aus dem Nordosten. Die Unternehmer bevorzugen Migranten, weil sie fern von ihren Familien leben und
deshalb die Arbeitsbedingungen ohne Proteste akzeptieren; nach der sechs Monate währenden Ernte kehren
sie nach Hause zurück. Deshalb haben die Gewerkschaften große Schwierigkeiten, sie zu
organisieren.
Die Wirtschaftszeitung Jornal do Valor erklärt, wie die Arbeiter in die Sklaverei stürzen:
"Es gibt Arbeitsvermittler, die durch die ärmsten Bundesstaaten reisen, besonders im Norden und
Nordosten. Sie suchen sich die Jüngsten aus. Wenn er die Bahn besteigt, die ihn in die Stadt bringt,
wo er seinen Vertrag unterschreibt, macht der Zuckerrohrschneider seine ersten Schulden: den Fahrpreis. Der
Vermittler verdient 60 Reais [30 Dollar] an jedem Arbeiter, den er auf die Farm bringt. Nicht selten ist er
auch derselbe, der den Arbeitern die ersten Waren verkauft, die sie brauchen. Die Vermittler verwandeln
sich in die Herren dieser Arbeiter, in dem Maße wie die Schulden wachsen."
Die Ausdehnung des Zuckerrohranbaus
zerstört den sozialen Zusammenhalt. In der Region um die Kleinstadt Delta (im Bundesstaat Minas
Gerais) wurden in den letzten vier Jahren 300000 Hektar mit Zuckerrohr bepflanzt. Delta hat 5000 Einwohner;
zur Erntezeit steigt die Zahl auf 10000. Die Stadt weist heute eine Mordrate auf, die vor der Ausbreitung
des Zuckerrohranbaus undenkbar war. Kinder und Heranwachsende werden entführt, um die Reihen der
Prostituierten zu füllen, denn jedes Jahr kommen 20000 Zuckerrohrschneider in diese Region. Sie
bevölkern die Vororte der kleinen Städte, wo Alkoholismus und Drogenkonsum zunehmen.
José da Silva, Bürgermeister von
Delta, hat eingesehen, dass "die Gemeinde vor dem Kollaps steht. Die sanitären Einrichtungen,
Krankenhäuser, Schulen sind überfüllt, und das Schlimmste ist, dass mit den Arbeitern auch
alle möglichen Leute und Banditen hier ankommen." In Delta gibt es nicht einmal ein Hotel,
dafür aber 27 Bordelle. Journalisten haben enthüllt, dass verschiedene Persönlichkeiten der
Stadt im Handel mit minderjährigen Prostituierten und in Fälle von Pädophilie verwickelt
sind, wobei Kinder von Zuckerrohrarbeitern die Leidtragenden sind. Die Arbeitsvermittler laufen bewaffnet
herum und zwingen ihr Gesetz auf.
João Stédile zeigt auf, welche
Probleme die Monokultur hervorruft: "Ribeirão Prêto im Bundesstaat São Paulo wird wegen der dort hohen
technologischen Entwicklung der Zuckerrohrproduktion als brasilianisches Kalifornien
bezeichnet. Vor dreißig Jahren produzierte diese Stadt alle Nahrungsmittel, hatte eine bäuerliche
Bevölkerung und war eine wohlhabende Region mit gleichmäßig verteilten Einkommen. Jetzt ist
die Region eine gewaltige Zuckerrohrplantage mit etwa 30 Betrieben, die das ganze Land kontrollieren. In
der Stadt leben 100000 Menschen in favelas, bei insgesamt 540000 Einwohnern. Im Gefängnis sitzen 3813
erwachsene Personen, während die Bevölkerung, die von der Landwirtschaft lebt, aus lediglich 2412
Personen (inkl. der Kinder) besteht. Es ist eine Gesellschaft der Zuckerrohrmonokultur. Es gibt mehr
Menschen im Gefängnis, als auf den Feldern arbeiten!"
Bei der diesjährigen Ernte gibt es einen weiteren technologischen "Fortschritt": zum
ersten Mal wird genetisch verändertes Zuckerrohr geerntet. Es ist leichter und scheidet mehr Wasser
aus, sodass größere Profite erzielt werden. Leider werden die Zuckerrohrschneider dreimal soviel
schneiden müssen, um 10 Tonnen zu erreichen.
In dieser Region entlassen die Unternehmer
in kurzen Zeitabständen eine große Zahl von Personen, um die Besten zu behalten. Diese sind die
sog. "Meister der Produktivität", die bis zu 20 Tonnen am Tag schneiden können, bei
einem monatlichen Durchschnitt von 12 bis 17 Tonnen. Weil die Arbeiter an Krämpfen,
Rückenschmerzen und Sehnenentzündungen leiden abgesehen von den häufigen
Fingeramputationen , haben die Unternehmer eine "technische Lösung" gefunden: Die
Betriebe verteilen kostenlos Elektrolyt- und Vitaminstärkungsmittel, die sonst Leistungssportler
nehmen. Die Arbeiter schlucken sie vor Arbeitsbeginn. Die physischen Schmerzen verschwinden, die
Krämpfe nehmen ab und die Produktivität steigt. Das Problem ist, dass man die Dosis jeden Monat
steigern muss.
Wie in einem Prozess "natürlicher
Auslese" überleben die Stärksten. Die Frage ist: Wie und wie lange überleben sie? Es
gibt keine offiziellen Zahlen, doch ist sicher, dass es im brasilianischen "Kalifornien" viele
junge Invalide und Dutzende von Todesfällen wegen Erschöpfung gibt.
In Brasilien begann die Zuckerrohrproduktion im Jahr 1550, aber ihre große Ausdehnung geht auf die
1970er Jahre zurück und war eine Folge des steigenden Erdölpreises. Die Vegetation der
Atlantikküste wurde damals um die Hälfte reduziert. Nun breitet sich der Zuckerrohranbau auch ins
östliche Zentrum des Landes aus die reiche Bioregion der Cerrados wird dort bis zum Jahr 2030
verschwunden sein. In den kommenden sieben Jahren will Brasilien seine Ethanolproduktion verdoppeln und
dafür 50% mehr Zuckerrohr produzieren dazu sind bis 2010 weitere 100 Farmen nötig.
Die Nationalbank für wirtschaftliche
und soziale Entwicklung (BNDS) will, dass Brasilien 50% des weltweiten Handels mit Ethanol kontrolliert.
Das bedeutet eine Steigerung von aktuell 17 Milliarden Litern pro Jahr auf 110 Milliarden und die Umwidmung
von 80 Millionen Hektar Fläche das bedeutet die Zerstörung von Amazonien.
Die Regierung hat den "Biosprit"
zu ihrer Hauptentwicklungsstrategie erkoren. Sie will 6 Milliarden US-Dollar in das Projekt investieren.
Die gesamte Region soll unter dieses Joch gezwungen werden. Kurzfristig vorgesehen ist der Export der
Produktion in Länder Zentralamerikas und der Karibik, die durch Freihandelsabkommen mit den USA
verbunden sind. Auf diese Weise sollen die von Washington auferlegten Importzölle umgangen werden.
"Ziel ist, in diese Länder das nahezu fertig gestellte Produkt zu importieren, den Prozess dort
zu vollenden und von da in den US-Markt zu dringen", schreibt das Wochenblatt Peripecias.
Für Stédile fließen im
Ethanolprojekt drei große Bereiche zusammen: "Die Ölgesellschaften, die die
Abhängigkeit vom Erdöl verringern wollen, die Unternehmen der Agroindustrie, die das Monopol
über den Welthandel mit Agrarprodukten behalten wollen", und das transnationale Kapital, das
"ein Bündnis mit den Grundbesitzern des Südens und besonders Brasiliens schließt".
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