SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2007, Seite 13

Was hat Öl mit Getreide zu tun?

Die verborgenen Absichten hinter dem Bio-Boom in den USA

von F. William Engdahl

Die Förderung von Pflanzentreibstoff steht den Interessen der Ölkonzerne nicht entgegen — im Gegenteil.
Der jüngste Preisschock bei Lebensmitteln ähnelt auf verhängnisvolle Art den Ereignissen der frühen 70er Jahren, als die Preise für Öl und Lebensmittel innerhalb weniger Monate um mehrere hundert Prozent explosionsartig stiegen. Das bewog Präsident Nixon damals dazu, eine Manipulation des Preisindex für Lebenshaltung zu veranlassen, um die steigenden Preise zu vertuschen. Im Ergebnis werden heute absurde "Kerninflationszahlen" veröffentlicht — ohne die Preise für Öl und Lebensmittel.
Wir stehen heute am Anfang des größten nachhaltigen Anstiegs der Getreidepreise seit drei Jahrzehnten — er betrifft alle wichtigen Getreidesorten, Mais, Weizen, Reis, rund 90% des gesamten in der Welt angebauten Getreides.
Was bewirkt diesen außerordentlichen Wandel?
Die Bush-Regierung will den Benzinverbrauch in den USA bis zum Jahr 2010 um 20% verringern. Offiziell will sie "die Abhängigkeit von importiertem Öl verringern" und die unerwünschten Treibhausgasemissionen senken. Das ist gute PR. Wenn man es oft genug wiederholt, werden es die meisten Leute glauben. Vielleicht bekommen sie nicht mit, dass die steuerliche Förderung von Ethanolmais statt Futtermais den Preis für ihr tägliches Brot in schwindelnde Höhen treibt.
Das Herzstück der Regierungspläne ist eine großangelegte Ausweitung des Einsatzes von Agroethanol als Treibstoff. Bis zum Jahr 2017 sollen rund 133 Milliarden Liter Ethanol pro Jahr aus Pflanzen hergestellt werden. Dafür gibt es großzügige Subventionen. Farmer und die großen Agrokonzerne erhalten dafür in den USA einen Zuschuss von 0,14 Dollar pro Liter Ethanol; der Zuschuss wird an das Unternehmen gezahlt wird, dass das Ethanol Benzin beimischt, in der Regel ist das eine Ölfirma.
Die Raffinerieindustrie investiert massiv in den Bau neuer Destillieranlagen, die Ölraffinerien ähneln, aber Ethanol produzieren. Derzeit werden mehr Destillieranlagen gebaut, als in den letzten 25 Jahren Ölraffinerien gebaut wurden. Wenn diese Anlagen in den nächsten zwei bis drei Jahren fertig gestellt sind, wird sich die Nachfrage nach Mais und anderem Getreide im Vergleich zu heute verdoppeln.

Agrosprit spart keine Energie

Nicht nur die Nachfrage nach Agroethanol aus den USA wächst. Im März traf Bush mit dem brasilianischen Präsidenten Lula zur Unterzeichnung eines bilateralen "Ethanolpakts" zusammen; die beiden Länder wollen in der Forschung und Entwicklung von Technologien zur Herstellung von Agrotreibstoff zusammenarbeiten. Gemeinsam will man auch den Einsatz von Agrotreibstoffen in Entwicklungsländern "stimulieren", vor allem in Südamerika, und ein OPEC-ähnliches Kartell für Agrotreibstoffe schaffen mit Regeln, die die Herausbildung eines Ethanolmarkts für die westliche Hemisphäre ermöglichen.
Agrosprit, also die Verbrennung von Lebensmitteln anstelle ihres Verzehrs, gilt weltweit als bedeutende neue Wachstumsindustrie.
Agrotreibstoff gilt als die Lösung für das Problem der globalen Klimaerwärmung. Agrotreibstoffe bieten aber keinerlei Vorteile im Vergleich zum Öl. Die Befürworter behaupten, Agrotreibstoffe der ersten Generation würden "bis zu 60% weniger CO2-Emissionen verursachen". Regierungen wie die brasilianische sind angesichts steigender Ölpreise (derzeit 75 US-Dollar pro Barrel) ganz wild darauf, importiertes Benzin durch selbsthergestellten Treibstoff aus Nahrungsmitteln zu ersetzen. In Brasilien haben heute 70% aller Autos Hybridmotoren, die von konventionellem Benzin auf Agrobenzin umschalten können. Biotreibstoff ist zu einem der größten Exportschlager Brasiliens geworden.
Die Behauptung, Agrotreibstoffe seien umweltfreundlicher als Benzin, ist zweifelhaft, wenn nicht betrügerisch. Je nach Fahrverhalten wirkt sich Ethanol in den gängigen Automodellen nur geringfügig auf die Abgase aus. Bei seiner Verbrennung entstehen jedoch bedeutende Mengen an Giftstoffen wie Formaldehyd und Acetaldehyd.
Ethanol ist höchst korrosiv und greift Pipelines ebenso an wie die Dichtungen und Treibstoffsysteme von Autos und anderen benzinverbrennenden Motoren und macht spezielle neue Benzinpumpen erforderlich. Diese Umstellungen kosten Geld.
Vor allem liegt der Brennwert von Ethanol um 25% unter dem von Benzin. Die sozialen Kosten aber werden enorm sein — die Lebensmittelpreise werden explodieren, wenn die Preise für Mais, Sojabohnen und andere Getreidesorten in die Höhe getrieben werden, weil die Nachfrage astronomische Ausmaße annimmt.
Das Massachusetts Institute of Technology kommt in einem in diesem Jahr veröffentlichten Bericht zum Schluss, dass die Verwendung von Ethanol aus Getreide anstelle von Benzin keine Auswirkungen auf die Treibhausgasemissionen haben wird; der Einsatz von fossilen Brennstoffen würde dadurch sogar erhöht, weil die Nachfrage nach Düngemitteln und Bewässerung wegen der Ausweitung der Anbauflächen steigt. 66% der für die Herstellung von Ethanol aus Getreide erforderlichen Energiemenge käme aus Erdgas, womit auch die Preise für Erdgas deutlich steigen würden.
Die Vorstellung, die Welt könne sich mit Agrotreibstoffen aus der Abhängigkeit vom Erdöl befreien, stellt die größte Bedrohung für die Lebensmittelversorgung auf dem Planeten seit der Schaffung von patentiertem genmanipuliertem Mais und Saatgut dar.
Der Hauptgrund für den Anstieg der Getreidepreise in letzten zwei Jahren weltweit ist die Umwandlung von Ackerland in den USA zu Agrotreibstofffabriken. Im Jahr 2006 ist der Anteil von Ackerland, auf dem Agrotreibstoff angebaut wurde, um 48% gestiegen. Nichts davon wurde für den Anbau von Nahrungspflanzen genutzt. Die Steuersubventionen für Ethanol sind zu verlockend.
Seit 2001 ist der Anteil von Mais, der zur Herstellung von Bioethanol verwendet wird, um 300% gestiegen, und die Tendenz zeigt nach oben. 2006 gingen ebenso viele Tonnen Mais in die Treibstoffherstellung wie in den Export, 2007 wird es vermutlich bedeutend mehr sein. Die USA sind der führende Getreideexporteur der Welt, das meiste geht bislang zur Tierfütterung in die EU und andere Länder. Die Menge an Getreide, die der Ernährung von Tieren und Menschen dient, nimmt derzeit jedoch ab. Auch Brasilien und China gehen in großem Stil vom Futteranbau zum Treibstoffanbau über.

Getreidevorräte nehmen ab

Die weltweiten Getreidereserven fallen seit sechs bis sieben Jahren. 2006 gab es weltweit nur noch Reserven für 57 Tage — das ist laut der UN-Welternährungsorganisation FAO das niedrigste Niveau seit 1972; die Tendenz wird sich fortsetzen. Da muss man sich nicht wundern, dass die Weltgetreidepreise in den letzten Monaten um 100% gestiegen sind.
Die Getreidevorräte sind ein Maß für die Ernährungssicherheit bei Dürren oder Ernteausfällen — und die werden in den nächsten Jahren zunehmend mehr auf der Tagesordnung stehen. Geht man von einem moderaten Anstieg der Weltbevölkerung um 70 Millionen Menschen im Laufe der nächsten zehn Jahre aus, dann bedeutet die Stagnation bzw. Abnahme der jährlich geernteten Tonnen Futtergetreide bei gleichzeitiger Zunahme von Ethanolgetreide, dass wir an der Schwelle der größten Transformation der globalen Landwirtschaft seit dem Beginn der "grünen Revolution" durch den Einsatz von Düngemitteln und Mechanisierung stehen — diesmal jedoch auf Kosten der Nahrungsmittelproduktion. Die weltweite Zunahme von Armut und Unterernährung sind damit vorprogrammiert. Der Rohölimport aber wird annähernd gleich bleiben.
Professor M.A.Altieri von der Universität Berkeley schätzt: Selbst wenn man die gesamte derzeitige Anbaufläche für Getreide und Sojabohnen in den USA für die Produktion von Agrotreibstoffen nutzt, könnten damit nur 12% des Benzinbedarfs und 6% des Bedarfs an Diesel gedeckt werden. Dennoch werden Anbauflächen im Rekordtempo umgewandelt. Im Jahr 2006 ging über die Hälfte der Getreideernte von Iowa und South Dakota in Ethanolraffinerien. Im ganzen Mittelwesten geben Farmer das traditionelle Prinzip des Fruchtwechsels auf, um ausschließlich Sojabohnen oder Mais anzubauen, weil sie nach Jahren fallender Getreidepreise dringend höhere Einkünfte brauchen. Das hat dramatische Auswirkungen auf die Bodenerosion und schafft zusätzlichen Bedarf für chemische Pestizide. In den USA werden schon jetzt 41% aller eingesetzten Unkrautvertilger für Getreide verwendet. Monsanto und andere freuen sich über die Profite.
Der Pakt zwischen Bush und Lula ist nur der Auftakt für die weltweiten Bestrebungen, Feldfrüchte für Agrotreibstoff anzubauen. In Brasilien, Argentinien, Paraguay, Ecuador und Kolumbien weichen Wiesen und Wälder riesigen Plantagen von Zuckerrohr, Palmöl und Soja zur Herstellung von Agrotreibstoff. In Argentinien und Brasilien ist der Anbau von Soja für die Entwaldung von 21 Millionen Hektar Land verantwortlich.
Auch China, das nach Energiequellen Ausschau hält, verringert die Anbauflächen zur Erzeugung von Nahrungsmitteln. In der EU wird der meiste Agrodiesel aus Raps gewonnen, eine populäre Futterpflanze. Als Resultat steigen weltweit die Preise für Fleisch. Die EU-Vorgabe fordert einen Mindestanteil an Agrotreibstoffen von 10%, damit werden 18% der Anbauflächen Europas dem Anbau von Agrotreibstoffen gewidmet.
Die Ölkonzerne fördern den Run auf Agrotreibstoffe. US-amerikanische Wissenschaftler belegen, dass Agroethanol mehr Energie in der Herstellung kostet, als er liefert. Der Nettoenergieverlust betrage 22%. Agrotreibstoff stellt deshalb eine Bedrohung für die Nachfrage nach Öl dar, sodass die Ölkonzerne weiter riesige Gewinne einstreichen können, während sie sich gleichzeitig ein "grünes" Image geben.
So wundert es nicht, dass ExxonMobil, Chevron und BP alle in Agrotreibstoffe investieren. Im vergangenen Mai kündigte BP den größten jemals an eine Universität vergebenen Etat für Forschung und Entwicklung aller Zeiten an — 500 Millionen US-Dollar an die Universität Berkeley für die Erforschung und Entwicklung von alternativen Energien, darunter auch Agrotreibstoffe —, und zwar nach den Vorgaben von BP. Die Universität Stanford erhielt 100 Millionen Dollar von ExxonMobil für ein Forschungsprogramm über globales Klima und Energie; Princeton 15 Millionen Dollar von BP.
All das kombiniert sich mit ernsten Wetterproblemen in China, Australien, der Ukraine und großen Teilen der EU. Einige sehen bereits das Ende der Ära "billiger Nahrungsmittel" gekommen. Wenn die Nahrungsmittelreserven schwinden und die Anbauflächen für Nahrungsmittel zurückgehen, wird Agrosprit massive Auswirkungen auf die weltweiten Lebensmittelpreise haben.
Stecken andere Absichten hinter der Förderung von Ethanol? Es sieht ganz danach aus. Die drastische Hinwendung der Bush-Regierung zu Agrosprit seit 2005 war eindeutig die treibende Kraft hinter den steigenden Getreide- und Lebensmittelpreisen in den letzten 18 Monaten. Das kommt nicht von ungefähr. Seit den 70er Jahren lässt die US-Regierung in Sachen Biotreibstoffen forschen und entwickeln. Dieselben Leute, die uns die Inflation der Ölpreise bescherten, treiben jetzt willentlich die Preise für Nahrungsmittel in die Höhe. Der Preis für Erdöl ist seit Ende 2000 durchschnittlich um 300% gestiegen, seit George W. Bush und Dick Cheney Erdöl zum Hauptanliegen der US-Außenpolitik gemacht haben. Als im vergangenen Jahr Agrosprit zu einem erstrangigen Marktsegment aufstieg, kletterten die Getreidepreise an der Chicagoer Börse um 130%.
Die subventionsgetriebene Nachfrage nach Agrotreibstoffen bindet die Nahrungsmittelpreise an die Ölpreise. Anfang 2006 zeitigte der US Energy Policy Act von 2005 erste Auswirkungen auf die Entscheidungen über den Anbau von Nutzpflanzen, nicht nur in den USA. Seitdem hat der Anbau von Agrosprit derart zugenommen, dass es einen regelrechten Wettbewerb zwischen Menschen und Autos darum gibt.
Mitte der 70er Jahre erklärte Henry Kissinger, damals US-Außenminister und ein Schützling der Familie Rockefeller: "Kontrolliere das Öl und du kontrollierst Nationen; kontrolliere die Nahrungsmittel und du kontrollierst die Menschen."


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