SoZ - Sozialistische Zeitung |
Die
Abschwächung der Konjunktur zeichnete sich schon vor dem Immobilienkrach ab. Finanzkrisen zeigen eine
Rezession an, sie rufen sie nicht hervor.
Im Sommer war die Welt noch in Ordnung. Die
Konjunktur zeigte nach oben, und noch schneller stiegen die Börsenkurse. Doch dann führte das
Ende des Immobilienbooms in den USA zu einer Finanzkrise. Die konnte zwar durch drastische
Zentralbankinterventionen bislang eingedämmt werden, aber die Euphorie ist dahin; die Finanzwelt plagt
Katzenjammer.
Wie immer in solchen Fällen, verlagert
sich die Spekulation von der Börse zur Prognose. Wussten Banker, Broker und Rating-Agenten im
Aufschwung stets die Entwicklung der Börsenkurse zeigte es ja wohin die wirtschaftliche
Reise geht, greifen sie nun nach jedem Prognosestrohhalm, der ihnen von Ökonomen,
Wirtschaftsjournalisten oder gar Politikern hingehalten wird. Die geben sich zwar gut informiert, wissen
aber auch nichts Genaues.
Alle stellen sich die bange Frage, ob
sinkende Börsenkurse zu einer Rezession führen werden. Kritiker des Finanzmarktkapitalismus sehen
sich dagegen in ihren Warnungen bestätigt, dass unregulierte Finanzmärkte Spekulationsblasen und
extreme Kursschwankungen produzieren, die unweigerlich zu Krisen führen würden.
Der Zusammenhang zwischen
Börseneuphorie und Konjunkturaufschwung auf der einen, Börsenkrach und Krise auf der anderen
Seite ist jedoch keineswegs so eindeutig, wie Finanzmarktfans gegenwärtig befürchten und Kritiker
immer schon vorausgesagt haben. Ebenso wenig eindeutig sind die Beziehungen zwischen Kursschwankungen und
Krise.
Ein Blick auf die Finanzkrisen im
Ursprungsland des Börsenkapitalismus, den USA, zeigt zunächst, dass nicht jede Finanzkrise mit
einer Rezession verbunden ist. Der Börsenkrach 1987 hat die Konjunkturentwicklung überhaupt nicht
berührt, dafür kam es 1990/91 zu einer Rezession, die ihrerseits die gute Stimmung an der
Börse nicht getrübt hat.
Bei genauem Hinsehen zeigt sich zudem, dass
die Konjunktur sich mitunter bereits in Richtung Krise bewegt, während an der Börse noch
Optimismus herrscht. Dies war 1929 und 2001 der Fall. Auch für die jetzige Krise gilt: Schon bevor die
gegenwärtigen Immobilien- und Finanzkrisen ausbrachen, zeichnete sich bereits eine Abschwächung
der US- und Weltkonjunktur ab.
Darüber hinaus sind die Wertverluste,
die zwischen einem Höhepunkt der Börsenentwicklung und ihrem Tiefpunkt im Laufe einer Finanzkrise
eintreten, seit der Großen Depression 1929 erheblich geringer geworden. Die im Dow Jones erfassten
Firmen mussten nach dem Schwarzen Freitag einen Wertverlust von fast 90% hinnehmen, in den 70er Jahren
hingegen nicht einmal 50%. Das Platzen der Dot-Com-Blase 2001 führte nur noch zu einem Wertverlust von
gut 35%. Weil das Kurs- und Umsatzniveau aber dramatisch gestiegen ist, wird dieser Unterschied nicht so
wahrgenommen.
Sind die Befürchtungen der Finanzwelt
und die Warnungen von Kritikern also gleichermaßen unbegründet? Haben gar notorische
Börsenfreunde Recht, die behaupten, deregulierte Finanzmärkte hätten die
Wirtschaftsentwicklung stabilisiert, dennoch eintretende Krisen seien auf exogene Schocks oder politische
Intervention zurückzuführen?
Die Fälle, in denen der
Konjunkturzyklus schon "über den Berg" war, bevor eine Finanzkrise einsetzte, legen es nahe,
nicht nach einer Kausalbeziehung zwischen Finanzmarkt und Wirtschaftsentwicklung zu suchen. Krisen sind
vielmehr ein grundlegender Bestandteil kapitalistischer Entwicklung. Ihre Ursachen liegen in der
Überproduktion, die zu Absatzstockungen führt, oder in sinkenden Profitraten, die auf eine
ungünstige Entwicklung der Arbeitsproduktivität zurückgehen. Turbulenzen und
Zusammenbrüche auf den Finanzmärkten sind eine Erscheinungsform von Krisen; sie wirken als
möglicher Verstärker innerhalb eines Krisenzyklus.
Seit der Großen Depression haben
Regierungen und Zentralbanken in den kapitalistischen Metropolen gelernt, Liquiditätsengpässen
mit Geldspritzen und Zinssenkungen zu begegnen. Solange herrschende Klassen keine Verschärfung einer
Wirtschaftskrise anstreben, bspw. um militante Arbeiterbewegungen zu disziplinieren, sind sie selbst an
einer Abschwächung von Krisen interessiert, weil unverkäufliche Warenbestände und nicht
bezahlte Rechnungen den realisierten Profit schmälern.
Die nervöse Aufmerksamkeit, die die
aktuelle Finanzkrise begleitet, lenkt von den wirklichen Problemen des Finanzmarktkapitalismus ab. Um es
ganz klar zu sagen: Krisen gehören zum Kapitalismus wie das Amen zur Kirche das war der Fall
lange bevor es einen Finanzmarktkapitalismus gab und wird auch dann der Fall sein, wenn es zu einer
schärferen Regulierung der Finanzmärkte kommen sollte. Was mit dem Finanzmarktkapitalismus jedoch
entstanden ist und auch durch politische Interventionen, die sich auf den Finanzsektor beschränken,
nicht verschwinden würde, ist ein zuverlässig und still wirkender Umverteilungsmechanismus.
Börsen werden stets als Hort
angespannter Betriebsamkeit präsentiert, gleich ob es um die Ausnutzung von Gewinnchancen im Boom oder
das rechtzeitige Abstoßen wertloser Papiere in der Krise geht.
Dieses Spektakel sollte aber nicht
darüber hinwegtäuschen, dass der Aufstieg des Finanzmarktkapitalismus wesentlich mit dem
Versprechen eines neuen und stabilen Gesellschaftsmodells einherging. Bis zur Börsen- und
Wirtschaftskrise 2001 wurde dieses Modell als New Economy verkauft.
Massenarbeitslosigkeit, Abbau von
Löhnen und Sozialleistungen sowie längere Arbeitszeiten haben das Versprechen einer Gesellschaft
von Vermögensbesitzern, in der nicht der Arbeitsplatz, sondern Finanzinvestitionen das Einkommen
sichern, attraktiv gemacht. Wer wollte nicht den Mühen der Wertschöpfung entfliehen, wenn
Börsen wunderbarerweise aus Geld mehr Geld machen?
Anders als im Betrieb wird man an der
Börse auch nicht vom Chef herumkommandiert, sondern kann sich als gleichberechtigter Investor im Spiel
des Lebens wähnen dem Dollar oder Euro ist der soziale Status des Besitzers ja nicht anzusehen.
Immer mehr Ersparnisse schlummern deswegen
nicht mehr geduldig auf dem Sparbuch vor sich hin, sondern sausen von der Hoffnung auf
Spekulationsgewinne getrieben durch unüberschaubar verschlungene Finanzkreisläufe. Dieser
ganze Börsenbetrieb dient dazu, Renditeansprüche zu formulieren, deren Durchsetzung zum Elend der
Arbeitswelt führt und damit den Wunsch nach Auswanderung in die neue Welt des
Finanzmarktkapitalismus, wiederkehrenden Finanzkrisen zum Trotz, immer weiter nährt.
Allerdings haben nicht alle, die den
Mindesteinsatz für das Börsenspiel aufbringen können, gleichen Anlass auf das Proletariat
herabzusehen, das es zwar zu einem schlecht bezahlten Job, aber nicht zu den mindesten Ersparnissen
gebracht hat. Finanzmärkte haben nämlich die unangenehme Eigenschaft, Einkommensansprüche in
die Welt zu setzen, die trotz verschärfter Ausbeutung in der Arbeitswelt nicht vollständig
befriedigt werden können.
Steigende Börsenkurse rechtfertigen
sich nur teilweise durch Umverteilung von Arbeits- zu Vermögenseinkommen, immer wieder gehen sie
über das zur Gewinnausschüttung anstehende Finanzvolumen hinaus. Sinken die Kurse, ist das
umgekehrt die Mitteilung an Börsenmitspieler, dass sie sich verspekuliert und damit ihren Einsatz
verloren haben.
Das gilt für große Spieler
Firmen, die durch Fehlspekulationen zu Übernahmekandidaten werden, es gilt aber vor allem für
viele Haushalte, die ihre Ersparnisse damit ganz oder teilweise verlieren. Manche steigen sogar in das vor
kurzem noch verachtete Proletariat ab.
Im Finanzmarktkapitalismus ist die
börsengestützte Hoffnung auf das große Glück von einer individuellen Marotte zum
gesellschaftlichen Organisationsprinzip befördert worden. Selbst vorsichtige Gemüter, die ihre
Ersparnisse auf dem Sparbuch lassen, müssen feststellen, dass die Bank ihres jeweiligen Vertrauens an
riskanten Spekulationsgeschäften beteiligt ist.
Im Falle einer Finanzkrise sind deshalb
auch vermeintlich unriskante Spareinlagen von Zahlungsunfähigkeit und Verlust bedroht bzw. ihre
Sicherung wird von Zentralbankinterventionen abhängig. Die durch Börsenkrisen bewirkte Entwertung
von Renditeansprüchen und Ersparnissen mag unsinnig und unnötig erscheinen, ist aber durchaus im
Interesse der großen Spieler. Nicht nur, dass die ganz Großen die weniger Großen
übernehmen können ein als Zentralisation des Kapitals bekannter Vorgang. Es können
sich auch alle Großen zusammen den Einsatz der Kleinen einverleiben und das ist ein Vorgang der
Enteignung.
In den 70er Jahren hatten viele
Angehörige der Mittelklasse und besser bezahlte Arbeiterhaushalte Angst, Gütermarktinflation
würde die Kaufkraft ihrer Ersparnisse auffressen. Diese Angst wurde von der herrschenden Klasse zur
Mobilisierung gegen die Gewerkschaften eingesetzt, die dem verunsicherten Kleinsparer als Motor einer
inflationären Lohn-Preis-Spirale dargestellt wurden. Aus diesem Kampf gegen Gewerkschaften und
Arbeiterklasse ist der Finanzmarktkapitalismus entstanden. Die damit verbundene Wertpapierinflation hat
mittlerweile zu diffusen Ängsten vor Heuschrecken, Börsengeiern und anderen Eingriffen in
Handelsgeschäfte geführt. Eine politische Alternative wird dennoch bestenfalls ansatzweise
diskutiert.
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten
und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo
Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis Sonderausgabe der SoZ 42 Seiten, 5 Euro, |
||||
Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität |