SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2007, Seite 22

Am Ende kommen Touristen

BRD/Polen 2006, Buch und Regie: Robert Thalheim. Mit Alexander Fehling, Ryszard Ronczewski, Barbara Wysocka u.a. (Bereits angelaufen)

Wer kennt Oswiecim? Vermutlich kaum jemand. Und wie sieht es mit Auschwitz aus? Da werden die Menschen weltweit hellhörig. Dabei ist Oswiecim der polnische Name des Ortes, der durch das größte Vernichtungslager der Nazis traurige Berühmtheit erlangte.
Die Kleinstadt Oswiecim hat etwa 40000 Einwohnerinnen und Einwohner und liegt etwa 50 km westlich von Krakau. Trotz des historischen Bezugs ist es ein Film über die Gegenwart.
Im Mittelpunkt des Films steht Sven, dargestellt von Alexander Fehling. Er leistet seinen Zivildienst in der internationalen Begegnungsstätte. Hier kommt Autobiografisches ins Spiel. Regisseur Thalheim selber leistete Mitte der 90er Jahre dort Zivildienst. Abgesehen davon ist Sven aber nicht das Alter Ego von Robert. Denn Thalheim sagt von sich, dass er damals absichtlich aus Idealismus genau dort Zivildienst machen wollte, während Sven eher zufällig dort landet. Eigentlich wollte er in ein alternatives Jugendzentrum nach Amsterdam, da dort aber nichts mehr frei war, findet er sich unversehens in Oswiecim wieder. Thalheim hat jedoch Erlebnisse aus seiner Zivi-Zeit im Film verarbeitet.
Die Frage, worum es in Am Ende kommen Touristen geht, beantwortet Hauptdarsteller Fehling so: "Um das Aufwerfen von Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Um das Aufzeigen von Widersprüchen, die Zwischenräume aufmachen und nebeneinander stehen und stehen bleiben. Was heißt Vergessen? Was heißt Erinnern? Wie erinnert man Ereignisse und Erlebnisse anderer Generationen?" Das wird am Beispiel des Verhältnisses des jungen Sven zu dem ehemaligen Auschwitzgefangenen Stanislaw Krzeminski, dargestellt von Ryszard Ronczewski, deutlich. Sven wird dem alten Mann als Betreuer zugeteilt. Dabei bleibt die Distanz zwischen den beiden trotz aller Bemühungen von Sven unüberwindlich.
Die Doppelbödigkeit offizieller Erinnerungspolitik und "Vergangenheitsbewältigung" wird am Beispiel einer fiktiven deutschen Chemiefirma deutlich, die sich in Oswiecim geschäftlich betätigt. Tatsächlich ist noch heute die Chemiefabrik der größte Arbeitgeber am Ort, die auf die Buna-Werke zurückgeht, die 1942 von der I.G. Farben gegründet wurden. Angeschlossen an diese Fabrik existierte von 1942 bis 1945 das KZ Auschwitz III (Monowitz), in dem etwa 25000 Menschen ermordet wurden. An der heutigen Fabrik ist jedoch keine deutsche Firma beteiligt. Es gibt aber deutsche Firmen in Oswiecim, u.a. ein VW-Werk. Die deutsche Chemiefirma wird wohl eingeführt, um den Konflikt zwischen belasteter Vergangenheit und heutiger geschäftlicher Aktivität besonders zugespitzt zeigen zu können.
Die Firma organisiert zwar für ihre Auszubildenden eine Begegnung mit dem Zeitzeugen Krzeminski, die Lehrlinge wissen mit dem alten Mann aber gar nichts anzufangen und absolvieren die Begegnung als reine Pflichtveranstaltung. Ihr Leiter äußert sich in der Pause abfällig über "die Polen", die die Fabrik verkommen lassen hätten. Eine Managerin der Firma lässt Krzeminski bei einer Gedenkfeier nicht zu Ende reden. Das Gedenken droht so, zu einer leeren Geste zu werden, die pflichtgemäß gemacht wird, um ins Geschäft kommen zu können und den guten Ruf zu wahren.
Der andere Strang der Geschichte ist Svens Liebe zu Ania (Barbara Wysocka). Durch sie lernt er das Alltagsleben in Oswiecim kennen. Wie zwiespältig dieser Alltag ist, sieht man in der Szene, wo die beiden an einem schönen Sommertag Rad fahren. Auf der einen Seite grüne Wiesen und Felder, auf der anderen Seite der Stacheldrahtzaun des ehemaligen Lagers. So überschattet Auschwitz auch heute noch Oswiecim. Die Einwohner von Oswiecim fordern für sich trotzdem ein normales Leben. Ania, die als Touristenführerin in der Gedenkstätte arbeitet, zieht es nach Brüssel, wo sie für die Europäische Kommission arbeiten will. Ihr Bruder arbeitet in der Chemiefabrik und singt in einer Punkband. Viele in Oswiecim denken, dass sie mit dem deutschen Lager nichts zu tun haben.
Das Ende des Films ist vollkommen offen, keine der aufgeworfenen Fragen wird beantwortet. Aber gerade das macht den Film sehenswert. Jede Antwort, die im Rahmen eines Films gegeben werden könnte, wäre verkürzt und damit falsch. Stattdessen wird man zum Nachdenken angeregt.

Andreas Bodden


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