SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2007, Seite 02

Rückt Deutschland nach links?

von Angela Klein

Umfragen belegen es, Arbeitgeber warnen davor, Parteitagsbeschlüsse bei SPD und Grünen legen es nahe, vielleicht beweisen es auch die Wahlergebnisse bei den kommenden Landtagswahlen Anfang 2008, und Guido Westerwelle pfeift aus dem letzten Loch — die Mehrheit der Deutschen hat die Nase voll von der wirtschaftsliberalen Globalisierung, will mehr soziale Gerechtigkeit.
Keine Frage. Mit dem Satz "Die Mehrheit der Bevölkerung soll teilhaben am Wirtschaftsaufschwung" hat Angela Merkel den Nerv getroffen. Denn bisher tut sie es nicht. Und genau da liegt der Hase im Pfeffer.
Am 31.Oktober war wieder Weltspartag. Das Statistische Bundesamt wollte beweisen, dass es diese Teilhabe wirklich gibt und errechnete, im Durchschnitt werde in diesem Jahr jeder Bundesbürger monatlich 170 Euro ins Sparschwein stecken — soviel wie seit Mitte der 90er Jahre nicht mehr. Im Durchschnitt liegt die Lüge: Denn 8 Millionen Haushalten, das ist ein Viertel der Bevölkerung, bleibt am Monatsende nichts zum Sparen übrig, sie lösen ihre Rücklagen auf oder verschulden sich sogar. Teilhabe am Aufschwung?
Während die 30 größten Dax- Konzerne ihren Aktionären in diesem Jahr zusammen 27,7 Milliarden Euro Dividenden ausschütten, die Bundesagentur für Arbeit 3 Milliarden Euro Überschuss macht, hat sich seit der Einführung von Hartz IV im Januar 2005 die Zahl der Kinder verdoppelt, die am Rande des Existenzminimums leben. 2,2 Millionen Kinder können sich nicht ausreichend ernähren, haben kein Geld für Schulausflüge, sind in der Schule von Gruppenaktivitäten ausgeschlossen und können schon gar nicht damit rechnen, Abitur oder Studium zu machen. Tendenz steigend. Die politische Elite feiert die deutschen Nobelpreise und bucht sie, zu Unrecht, auf das Konto ihrer Exzellenz- Initiativen: Eliteschulen für die Wohlhabenden, Kinderfrauen für die Wohlhabenden, damit sie mehr Nachwuchs produzieren, die "gefühlte" Klassengesellschaft ist voll auf dem Vormarsch. Teilhabe am Aufschwung?
Hat man davon auf dem SPD-Parteitag irgendetwas gehört? Beck und Münte lieferten sich im Vorfeld ein Showdown zum ALG I, sicher für die Älteren eine wichtige Frage, aber was haben die Jüngeren davon? Viel Sprengstoff bringt das eh nicht in die Koalition, die Union bastelt auch an dem Thema, und ein Schelm ist, wer dabei nicht auf den Gedanken kommt, hier gehe es nur um Klientelpolitik. Die Älteren sind mehr und bei Wahlen entscheidender. Wichtig ist allein: Es darf nichts kosten. Obwohl die öffentliche Hand im Jahr 2007 rund 50 Milliarden Steuern mehr einnehmen wird als im Vorjahr. Teilhabe am Aufschwung? Nein, darin sind sich SPD und Union einig.
Dass die Arbeitgeber selbst gegen Reformen, die nichts kosten, Sturm laufen und der SPD "Sozialismus" ankreiden, ist verständlich — sie wollen die Zügel nicht lockern. Die Strafexpedition gegen die, die am wenigsten haben, soll trotz brummender Konjunktur unvermindert weiter gehen, die Leute sollen nur nicht auf die Idee kommen, es könnte aus dem großen Steuertopf wieder was für sie abfallen. Wenn DGB-Chef Sommer aber den "Linksschwenk der SPD" feiert, oder Vertreter der Linkspartei (O-Ton Gysi: "Das neue SPD- Programm ist zum Teil ziemlich links ... Und wenn sie die SPD ändert, dann gibt es irgendwann einen Grad an Übereinstimmung, bei dem wir gar nicht umhinkommen zu koalieren"), dann kann man es nicht anders verstehen als dass sie froh sind über das Täuschungsmanöver, das da aufgeführt wird.
Auf dem Papier sind sich Gewerkschaften und SPD wieder unheimlich nahe gekommen. Der Börsengang der Bahn vorerst auf Eis gelegt; ALG I für über 50-Jährige auf zwei Monate verlängert; gesetzlicher Mindestlohn von 7,50 Euro und "gute Arbeit", Kindergeld bis zum 27.Lebensjahr — das sind eins zu eins Positionen der Gewerkschaften, und nicht die schlechtesten. Gar Tempo 130 auf deutschen Autobahnen, das läuft schon fast den Grünen den Rang ab.
Was kommt davon in der Regierung an? ALG I hatten wir schon, Kindergeld hat von der Leyen erledigt, Tempo 130 wird in Berlin nie auf den Tisch kommen. Beim Mindestlohn muss Münte noch beweisen, dass er die Allgemeinverbindlichkeit bei der Post durchkriegt. Da bleiben wir auf dem Niveau von Entsendegesetzen. Bleibt die Bahn... Ja, das ist der einzige Punkt, an dem sich dieser Parteitag vielleicht gelohnt hat. Aber man muss auch hinzufügen: Gerade über diesen Beschluss sind viele Delegierte sauer, weil sie es fast geschafft hätten, einen Beschluss durchzubringen, der die Privatisierung der Bahn überhaupt ablehnt. Dann stand Beck auf und sprach ein Machtwort: Ihr oder ich. Verklausuliert, nicht so schroff wie Schröder, aber doch. Also war es auch eine verpasste Chance.
Für die Bestimmung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen ist die relative Position der abhängig Beschäftigten und der Kapitaleigner auf der Skala der Einkommens- und Vermögensverteilung entscheidend. Der Aufschwung der letzten beiden Jahre hat da die Position der Kapitaleigner deutlich weiter gestärkt. Denn die Reallöhne sind in diesem Jahr zwar etwas gestiegen, die Einkommen der obersten Klassen jedoch viel mehr. Nach den Berechnungen des WSI ist die Nettolohnquote (der Anteil der Arbeitseinkommen an den gesamten Einkommen in Deutschland; im Jahr 1991 noch bei 48,%) 2006 auf den historischen Tiefstand von 38,% gesunken.
Wiederentdeckung des Sozialen? Die am unteren Ende der Skala um ein bisschen Existenzsicherheit kämpfen, kriegen es bald raus, dass in Hamburg nur heiße Luft geschlagen wurde. Als den nächsten Kanzlerkandidaten mag man Beck noch nicht sehen. Beck steht auf Münte, ganz real und nicht nur bildlich. Und "Die Linke" wäre gut beraten, sie würde den SPD-Mitgliedern, die wieder an ihre Partei glauben möchten, diese Illusion lieber heute als morgen rauben — sie möchte sonst teilhaben an deren weiterem Erosionsprozess.


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