SoZ - Sozialistische Zeitung |
Welch tapferer Versuch, die große Oper zu inszenieren. Der Hamburger
Parteitag der SPD mit 500 Delegierten, 4000 Gästen und 2000 Journalisten wollte und sollte als
Donnerhall aus dem tiefen 25%-Tal eine bessere Zukunft einläuten. An Zutaten wurde nicht gespart: der
leidende Held, müde vom schweren Gang der Agenda 2010, der stürmende, stoppelbärtige
Herausforderer mit seiner drallen, angeblich die Strippen ziehenden Mätresse, die mittlerweile saugut
verdienenden und zynischen Verantwortlichen des Parteiniedergangs noch mal anrührend als Mumien aus
alten Parteizeiten verkleidet und dazu ein Happyend mit Umarmung vor der Kamera und einem neuen Programm,
das Scheiße für Gold erklären soll. Allein die Schauspielerschar ist eine solch trübe
Truppe, dass aller Aufwand wohl für die Katz sein wird. Schmierentheater, billige halbprofessionelle
Imagepflege für einen jetzt schon gescheiterten Zukunftskandidaten mehr wird als bleibender
Eindruck von den Hamburger Tagen und der medialen Vorbereitung nicht zurückbleiben.
Die SPD und nur nebenbei bemerkt,
auch alle, die sich die Sozialdemokratie schön reden und als kommender Koalitionspartner auf gleicher
Bühne mitspielen wollen steckt in einem Dilemma, das Heribert Prantl in der Süddeutschen
Zeitung treffend beschrieben hat: "Die Agenda in ihrer gegenwärtigen Form befördert die
Dreiteilung der Gesellschaft: Ein Drittel der Gesellschaft ist etabliert und bewegt sich auf relativ hohem
Lebensniveau. Im zweiten, wachsenden Drittel dominieren unsichere Lebensverhältnisse; mit
Zeitarbeitsverträgen, Minijobs und dem möglichen Fall in die Armut wächst dort die Angst.
Das letzte Drittel ist die Armee der angeblich dauerhaft Überflüssigen. Dieses letzte Drittel
ist, wenn man die Zahlen der Wahlbeteiligung betrachtet, für die Demokratie schon fast verloren. Im
zweiten Drittel verliert die SPD ihre Klientel. Um das erste Drittel aber drehen fast alle Parteien ihre
Pirouetten. Ist das noch demokratische Politik?"
Dieser selbstgewählten
klassenpolitischen Zuordnung als Partei des Kapitals und der Gewinner der gegenwärtigen weltweiten
Feldzugs des Kapitalismus ist mit ein wenig Kosmetik nicht beizukommen. Aber wir wollen die SPD noch nicht
ganz auf den Misthaufen der Geschichte schreiben. Gibt es doch immer wieder echte sozialdemokratische
Kleindarsteller, oder neudeutsch Standup-Comedians, die viel lustiger als die große Oper sind. Zum
Beispiel den schon fast abgeschriebenen SPD-Vizevorsitzenden aus Bayern, Florian Pronold, der den im neuen
Beckstein-Karussell als Randfigur abgeschobenen Markus Söder überaus richtig als
"größten Kotzbrocken der deutschen Politikszene" bezeichnet hat. Für die auf
Schwiegersohnimage bedachte Partei Die Linke ist er damit natürlich nichts, aber es könnte aus
dem Florian noch was werden.
Noch mehr gefallen hat uns Christian
Gaebler. Der ist verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion in Berlin und bringt hoffentlich die
Koalitionsregierung mit der Linken im Alleingang zu Fall. Er möchte den Radfahrern in Berlin das
Fahren in den städtischen Grünanlagen generell erlauben und nur noch begründete Ausnahmen
davon mit Verbotsschildern deklarieren. Gegen diese kluge Umkehrung des bisherigen Prinzips läuft, na
wer schon?, die Partei Die Linke Sturm. Sie befürchtet in Person ihrer "Verkehrsexpertin"
Jutta Matuschek den Ausbruch der Anarchie, bei der Kinder und Gebrechliche von wilden Radlerhorden
überrollt und liebevoll befestigte Wege zerstört werden. Wie viele Leichen pflastern noch gleich
den Weg der deutschen Radfahrerbanden? Hier ist nicht nur der Schwiegersohn das Leitbild, sondern die
beiden Grundgesetze des Spießertums: "Wenn das alle machen würden" und "Wenn das
die Nachbarn wüssten". Wie immer muss das Geld herhalten: für die Beschilderung und
Reparatur der Wege müsste "viel Geld in die Hand genommen werden". Und schon fast
historisch: die Sprecher des modernen Kapitals in Person des Wirtschaftsstadtrats sind auf der Seite der
SPD, die Vertreter des alten Feudaladels, in Form der Verwalter von Privatschlössern, verteidigen das
Radelverbot und die Linke. Das Leben kann so schön sein.
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