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Das Arbeitsgericht Nürnberg hat im August der GDL den Streik untersagt, weil der drohende
volkswirtschaftliche Schaden nicht verhältnismäßig sei. Das Arbeitsgericht Chemnitz hat
danach das völlige Streikverbot zwar relativiert, es aber für den Güter- und Fernverkehr
aufrechterhalten ebenfalls unter Verweis auf den unverhältnismäßig großen
möglichen wirtschaftlichen Schaden. Wird auf dem Wege der Rechtsprechung hier ein Grundrecht
ausgehebelt bzw. weiter beschnitten?
Das Streikrecht ist durch den Art.9 Abs.3 Grundgesetz als Freiheitsrecht konzipiert. So sieht es das
Bundesverfassungsgericht. Eine Prüfung von Streikzielen nach dem Maßstab der
Verhältnismäßigkeit, wie sie den genannten Entscheidungen von Nürnberg und Chemnitz
zugrunde liegt, führt zu einer richterlichen Detailkontrolle, die dem hohen Wert dieses Grundrechts,
das auch Element sozialer Demokratie ist, nicht gerecht wird.
Bereits 1998 hat der Europarat die damalige Bundesregierung aufgefordert, auf dem Gesetzesweg das
restriktive deutsche Koalitionsrecht so zu ändern, dass es nicht mehr gegen die Sozialcharta der EU
verstößt. Weder die Regierung Kohl noch die nachfolgenden Regierungen haben das ernstgenommen.
Wie kann eine Regierung das aussitzen?
In der Kritik des Ministerkomitees des Europarats ging es um das Verbot nichtgewerkschaftlicher Streiks
und von Streiks, die nicht auf einen Abschluss von Tarifverträgen zielen. Das Ministerkomitee
hält dies aus meiner Sicht zu Recht nicht mit Art.6 Abs.4 Europäische Sozialcharta (ESC) für
vereinbar.* Die Schwierigkeit besteht darin, dass es sich bei diesen "Streikbegrenzungen" um
Richterrecht handelt. Wenn hier der Gesetzgeber eingreift, könnte das ein Streik- oder sogar ein
Gewerkschaftsgesetz provozieren, das je nach gesellschaftlichen Mehrheitsverhältnissen weitere
Einschränkungen provoziert.
Hoffnung macht, dass die neue
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (u.a. zu Solidaritätsstreiks) Art.6 Abs.4 ESC
ausdrücklich nennt und in seine Bewertungen einfließen lässt. Die ESC ist zwar nach
herrschender Meinung als völkerrechtlicher Vertrag innerstaatlich nicht direkt anwendbar, muss aber
von der Rechtsprechung im Rahmen einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung von Art.9 Abs.3 GG
berücksichtigt werden.
Die Fraktion Die Linke hat vor einem Jahr im Bundestag eine Debatte initiiert, bei der sie einen
Antrag auf gesetzliche Verankerung des politischen Streikrechts gestellt hat. Geerntet hat die Fraktion in
der anschließenden Aussprache vor allem Hohn und Spott. Welche Wege bieten sich an, das
Arbeitskampfrecht dennoch im Sinne der Belegschaften zu verändern? Bleibt nur die historisch
bewährte Methode, sich Rechte massenhaft zu nehmen, bis sie auch juristische Gültigkeit
bekommen?
Es ist ebenso banal wie richtig: Recht ist immer auch Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse.
Diese sind aktuell offensichtlich nicht so, dass in Deutschland Mehrheiten für politische Streiks
bestehen oder organisiert werden können. Gleichwohl tragen konkrete Aktionen dazu bei, dass sich das
Recht, auch das Arbeitskampfrecht, in Richtung größerer Freiräume bewegt. So hat das
Bundesarbeitsgericht vor kurzem bestätigt, dass ein Streik um sog. Sozialtarifverträge, die
Bedingungen für Betriebsstilllegungen festlegen, zulässig ist. Hintergrund waren Aktionen von
Betroffenen in Metallbetrieben. Gute Argumente in der juristischen Kontroverse sind die eine Seite der
Medaille, die andere das praktische "Sich Einbringen". In der Tat, Demokratie braucht Beteiligung
und auch das "Träumen nach vorwärts".
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