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Schätzungsweise 370 Millionen arbeitender Kinder gibt es in der Dritten Welt,
Tendenz steigend. Laut ILO sind diese Kinder zwischen 5 und 14 Jahren alt. 120 Millionen dieser Jungen und
Mädchen arbeiten Vollzeit, 250 Millionen Teilzeit. Der größte Teil (61%) der Kinder schuftet
in Asien, auf Afrika entfallen 32%, auf Lateinamerika 7%. Diese Zahlen beziehen sich nicht auf die Mithilfe
in Familienbetrieben.
Krasse materielle Armut ist die
Hauptursache dafür, dass Kinder in Drittweltländern gezwungen werden, ihre Familien durch harte
Arbeit zu unterstützen oder ganz auf sich gestellt fürs eigene Überleben zu arbeiten.
In der ILO-Konvention 182 vom 17.Juni 1999
wird als ausbeuterisch definiert: Arbeit von Kindern unter 13 Jahren; Arbeit von Kindern zwischen 12 und 14
Jahren, die länger als 14 Stunden in der Woche dauert; gefährliche Arbeit von Kindern und
Jugendlichen unter 18 Jahren (Arbeit unter Tage, in engen Räumen wie Abwässerkanäle, mit
gefährlichen Maschinen/Werkzeugen, Umgang mit schweren Lasten, Arbeit in ungesunder Umgebung und mit
gefährlichen Substanzen, lange Arbeitszeiten oder Nachtarbeit).
Als die schlimmsten Formen der Kinderarbeit
bezeichnet sie: alle Formen der Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken wie Kinderverkauf und
Kinderhandel, Schuldknechtschaft, Leibeigenschaft und Zwangsarbeit sowie die Zwangsrekrutierung von Kindern
in bewaffneten Konflikten; die Vermittlung oder das Anbieten eines Kindes zur Prostitution oder zur
Pornografie; die Heranziehung eines Kindes zu unerlaubten Tätigkeiten wie den Umgang mit Drogen;
Arbeit, die die Gesundheit, die Sicherheit oder die Sittlichkeit von Kindern schädigt.
Obwohl die Ausbeutung von Kindern in fast
allen Staaten verboten ist und 158 Staaten diese Konvention unterzeichnet haben, hat sich bis heute nichts
geändert, im Gegenteil.
Ein Bericht von Terre des Hommes zur wachsenden Verarmung der unteren 3070% der
lateinamerikanischen Bevölkerung macht dies deutlich: "Konnte bis Anfang der 80er Jahre ein
Arbeiter oder Lehrer seine durchschnittlich fünfköpfige Familie noch mit dem Nötigsten
versorgen, so stellt sich dies mittlerweile als nicht mehr ausreichend dar. Neben der Frau müssen seit
Mitte der 80er Jahre auch zunehmend Kinder mitverdienen. Der typische Vater erwirtschaftet
heute nur noch knapp zwei Drittel des zum Überleben notwendigen Einkommens, den sog.
Überlebenswarenkorb. Um den Rest müssen sich Frau und Kinder kümmern. Spricht man seit etwa
Mitte der 80er Jahre von der Feminisierung der Armut so könnte man mittlerweile von der
Infantisierung der Armut sprechen, denn mit jedem Tag wächst die Zahl arbeitender
Kinder."
Ende der 70er Jahre gab es laut UNO
weltweit 52 Millionen arbeitende Kinder. Innerhalb eines Jahrzehnts stieg ihre Zahl im Zuge der
wirtschaftsliberalen Strukturanpassungen schlagartig auf 200 Millionen, heute nähern wir uns der 400-
Millionen-Grenze. Ein konkretes Beispiel für diese Entwicklung ist die Situation der Kinder in den
Bergwerken Boliviens, wo heute viel mehr von ihnen arbeiten als noch vor zehn Jahren. Im Gefolge der
neoliberalen Wirtschaftsreformen wurden die staatlich geführten Bergwerke verkauft und im Rahmen der
Privatisierung wurden 32000 Arbeiter entlassen. Heute arbeitet die ganze Familie, einschließlich der
Kinder, unter gefährlichen und gesundheitsschädigenden Bedingungen in den Steinbrüchen und
Minen. Eine bolivianische Nichtregierungsorganisation (NGO) hat herausgefunden, dass über 98% der
Kinder zwischen acht und zwölf Jahren illegal beschäftigt sind, 72% acht bis zehn Stunden
täglich arbeiten und weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn bezahlt werden.
Angesichts dieser Entwicklungen ist es zu begrüßen, wenn die Kinderarbeiter als die direkt
Betroffenen beginnen, sich nicht nur Gedanken über ihre prekäre Situation zu machen, sondern sich
mit ihren Wünschen und Forderungen an die Öffentlichkeit wenden. In den letzten Jahren hat es
verschiedene Treffen von arbeitenden Kindern auf nationaler und internationaler Ebene gegeben, angefangen
mit dem "Ersten Internationalen Treffen von Kinderarbeitern aus Afrika, Asien und Lateinamerika"
1996 in Indien. Weitere Treffen von arbeitenden Kindern und Jugendlichen gab es in Bolivien und Peru sowie
das Kinderforum gegen ausbeuterische Formen der Kinderarbeit in Asien.
In allen Erklärungen der Kinder wird
deutlich, dass sie auf den großen Konferenzen zum Thema Kinderarbeit gehört und mit ihren
Problemen ernst genommen werden wollen. Sie fordern eine Schul- und Berufsausbildung, gute
Gesundheitsversorgung und die Bekämpfung der Armut als der eigentlichen Ursache für Kinderarbeit.
Da sie täglich mit den Sorgen und Problemen in ihren Familien konfrontiert sind, wollen sie arbeiten,
um das Überleben zu sichern. Doch gleichzeitig klagen sie die Regierungen und die Gesellschaft an,
dass sie nichts gegen Armut und Ausgrenzung unternehmen und es zulassen, dass ihre Situation schamlos
ausgenutzt wird.
Sie fühlen sich missbraucht und durch
zu niedrige Löhne, zu lange Arbeitszeiten und gesundheitsgefährdende Arbeiten ausgebeutet. Sie
lehnen die profitorientierte Kinderarbeit ebenso ab wie schwere, gefährliche oder die Psyche
schädigende Beschäftigungen. Sie verlangen die sofortige Abschaffung der Kinderprostitution und
ein Verbot für das Anwerben von Kindersoldaten. Bei aller Bereitwilligkeit zur Arbeit erkennen sie
sehr wohl, dass sie weder Zeit zum Lernen noch Zeit zum Spielen haben.
Obwohl Terre des Hommes und andere NGOs die
ausbeuterischen Formen der Kinderarbeit auflisten, anprangern und die Folgen schildern, wird von ihnen
angesichts der Realität in der Dritten Welt die Forderung der Kinder nach Arbeit bereitwillig
aufgegriffen im Gegensatz zu den UN-Beschlüssen, der ILO-Konvention und den Kampagnen der
Welthungerhilfe. Ihr Plädoyer, "Kinderarbeit nicht generell zu bekämpfen", sie
"menschlicher" zu gestalten, liest sich sehr widersprüchlich und wirkt hilflos angesichts
der realen Verhältnisse, von denen sie glauben, dass sie sich in absehbarer Zeit nicht ändern
werden.
Wird die Gier der Konzerne nach Profit gezügelt, wenn die Betroffenen Zugeständnisse machen?
Die Praxis der Konzerne in Afrika, Indien und Lateinamerika lassen da berechtigte Zweifel aufkommen. Trotz
anderslautender Erklärungen machen sie weiter Milliardenumsätze auf Kosten der Kinder.
Mehr als die Hälfte des Kakaos, den
bspw. Ferrero, Sarotti und Ritter Sport verarbeiten, stammt von der Elfenbeinküste. Dort schuften
600000 Kinder auf den Kakaoplantagen unter ausbeuterischen Bedingungen bis zu 12 Stunden täglich
für gerade mal 30 Cent am Tag. Viele von ihnen wurden ihren Eltern unter dem Vorwand, sie bekämen
eine handwerkliche Ausbildung, abgeschwatzt. Sie hausen in armseligen Hütten, weit weg von zu Hause
und ohne den Schutz ihrer Familie.
Auch große Saatgutunternehmen wie
Bayer Leverkusen, Monsanto, Unilever und Syngenta profitieren über ihre Zulieferbetriebe, die für
sie Baumwollsaatgut produzieren, von Kinderarbeit. Eine neue Studie aus Indien enthüllt, dass dort bis
zu 400000 Kinder in einer 12-Stunden-Schicht für rund 50 Cent Tageslohn arbeiten und schutzlos
Pestiziden ausgesetzt sind. Den Multis sind diese Produktionsbedingungen und der massenhafte Einsatz von
Kindern bekannt, aber an einer Änderung sind sie nicht interessiert.
In Europa glaubte man zu Beginn des
20.Jahrhunderts, das Problem der Kinderarbeit überwunden zu haben. Zu Beginn des 21.Jahrhunderts
erleben wir eine Neuauflage von Kinderarbeit. In den westlichen Ländern Europas ist es vor allem
Portugal, wo Kinder in großem Ausmaß in der Landwirtschaft beschäftigt sind oder in
Schuhfabriken Schuhe nähen, während viele Facharbeiter arbeitslos sind.
Seit dem Ende des Ostblocks gibt es auch in
Osteuropa aufgrund der Verarmung breiter Bevölkerungsschichten immer mehr Kinderarbeiter, die als
billige Arbeitskräfte eingesetzt werden.
Alleine die Beseitigung der Armut als
Ursache für Kinderarbeit wird die Ausbeutung von Kindern auf Kosten von Schulbildung und
Berufsausbildung beenden. Eine Untersuchung in der Dritten Welt hat ergeben, dass die meisten Eltern ihre
Kinder niemals zur Arbeit schicken würden, wenn sie nicht äußerste Not dazu zwänge.
Dieses große Angebot an billigen Arbeitskräften zu niedrigen Löhnen führt wiederum
dazu, dass die Kinderarbeit auch eine Ursache für die Armut ihrer Familien ist ein
Teufelskreis.
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