SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2007, Seite 09

Strike Bike: Rot leuchtend und in limitierter Auflage

Besetzung beendet

von Dieter Wegner

In der letzten Oktoberwoche tut die Belegschaft der Fahrradfabrik Nordhausen (Thüringen) sie noch einmal das, was sie seit 1986 immer getan haben: Fahrräder bauen, diesmal jedoch in Eigenregie. Ein krönender Abschluss nach drei Monaten und drei Wochen Betriebsbesetzung. Diesmal wird es aber nur eine limitierte Auflage sein, 1805 rote Strike Bikes.
Als der Geschäftsführer von Bike Systems (das dem texanischen Hedge-Fonds Lone Star gehört), Frederic P. Müller, der Belegschaft mitteilte, ihre Arbeitskraft sei wertlos geworden, rebellierten die Überflüssigen und besetzten ihre ebenfalls überflüssig gewordene Fabrik. Das war am 10.Juli. Müller reagierte ausfallend, zerriss die gerade selbstgemalten und -befestigten Transparente und beschimpfte die Arbeitenden als Bolschewisten. Sein Versuch, mit einer einstweiligen Verfügung die Besetzung zu beenden, misslang. Dann zog er sich in sein rotes Backsteinhäuschen in einer Ecke des Betriebsgeländes zurück und mischte sich nicht mehr ein.
Somit musste die Belegschaft nicht mehr gegen einen Klassengegner in Fleisch und Blut kämpfen, sondern gegen die Perspektivlosigkeit des kapitalistischen Systems und seiner Vertreter: Behörden, Politiker, Parteien. Sogar mit der eigenen Gewerkschaft, der IGM, musste sie sich auseinandersetzen.
Der Besitzer des Geländes und der Fabrikhallen, Herr Biria, hatte ebenso wenig Interesse, er kam nur einmal vorbei, inspizierte seinen Besitz, zeigte sich nicht mal beim Betriebsrat und verschwand wieder.
Die Heuschrecke Lone Star, Profitgeier wäre wohl der angemessenere Name aus dem Tierreich, war mit allen Aufträgen nach Sangerhausen zu den mitteldeutschen Fahrradwerken (Mifa) entschwebt. Fahrräder, Werkzeuge und Produktionsteile hatte er nach und nach vom Hof geholt. Die Besetzer hatten es zugelassen, um keinen Ärger mit der Polizei zu bekommen. Ein paar Wochen später bedauerten sie es, dieses kleine Faustpfand aus der Hand gegeben zu haben.
Nachdem der Profitgeier in Sangerhausen seine Beute (Aufträge und Sachwerte) in einen 25%igen Aktienanteil bei der Mifa eingetauscht hatte, meldete er Insolvenz für Nordhausen an.
Hätten die Besetzer die Produktion unterbrochen und damit ins Heiligste des Kapitalismus, in Eigentum und Profitmacherei, eingegriffen, wären Kapitalist und Staat robust gegen sie aufgetreten. So aber war der Schaden gering, die Produktion von 1800 Fahrrädern kann die Konkurrenz leicht verschmerzen. So bekundeten sogar bürgerliche Medien Sympathie gegenüber den Besetzern. Durch die Vermarktung des Strike Bike als Sensation konnten die Besetzer innerhalb von knapp zwei Wochen 1805 Fahrräder verkaufen.
Diese rückblickend coole Einschätzung konnte die Belegschaft am 10.Juli natürlich noch nicht haben. Der erste Schritt, die Besetzung, war nicht nur mit Wut, sondern auch mit Angst und Unsicherheit verbunden. Die Beschäftigten stürzten sich in ein Abenteuer, und keiner wusste, wie es ausgehen würde, wie Lone Star, Biria und die Justiz reagieren würden.

Kehraus

Die Freie Arbeiter-Union (FAU) erwarb sich nicht nur das Verdienst, die Idee für die Produktion unterbreitet und die Organisierung des Vertriebs übernommen zu haben, sie hat auch bewiesen, was eine kleine Gruppe in einer, wenn auch ungewöhnlichen Situation, bewerkstelligen kann. Sie hat praktisch, flexibel und energisch gehandelt. Unnütz und irritierend war allerdings, die geplante Produktion von limitierten 1805 im voraus bezahlten Fahrrädern in der Öffentlichkeit als Perspektive und möglichen Beginn einer Weiterproduktion in Eigenregie darzustellen.
Die Besetzer und ihr Anwalt, Jürgen Metz, haben demgegenüber immer auf die zeitliche Begrenztheit der Aktion hingewiesen. Für die Aufnahme einer dauerhaften Produktion in Eigenregie wäre ein Kapitaleinsatz von geschätzten 7 Millionen Euro notwendig gewesen — das erstickte alle Träume gleich im Keim.
Die Produktionsaufnahme an vier Tagen ab dem 22.Oktober hat in den letzten Wochen nicht nur in der linken Presse einiges Aufsehen erregt, sie ist darüber hinaus auch von den bürgerlichen Medien bundesweit als kleine Sensation vermarktet worden. In den Köpfen fast aller Menschen, die von der besetzten Fahrradfabrik und Strike Bike gehört haben, spukt immer noch die Vorstellung, dass die Produktion wieder aufgenommen und weitergeführt wird. Das verstellt den Blick darauf, dass nicht der zur Sensation gemachte symbolische Akt der Produktion von 1805 Fahrrädern das politisch Bedeutsame an dieser Aktion ist, sondern die Tatsache, dass die Belegschaft 115 Tage im Widerstand durchgehalten hat.
Sie unterscheidet sich darin wohltuend von vielen anderen Belegschaften, die kampflos aufgegeben haben — wie z.B. die Kollegen ihrer Schwesterfirma in Neukirch (Sachsen), wo der Betrieb schon im Dezember 2006 eingestellt wurde.
Am Dienstag, dem 30.10., organisieren die Besetzer ein Fest für alle Unterstützer, am 31.10. fegen sie aus und am 1.11. finden sie sich für acht Monate in einer Fortbildung der Transfergesellschaft wieder. Ob sie ihr Ziel erreichen, weswegen sie am 10.Juli die Besetzung begannen, nämlich als Belegschaft zusammenzubleiben und einen neuen Investor zu finden, steht in den Sternen.
Alle ziehen jetzt Bilanz und fragen sich: Was hat die Besetzung gebracht? Einige sagen, die Transfermaßnahme hätten wir schon zu Beginn der Besetzung haben können, ohne die Besetzung wären wir vielleicht jetzt schon wieder in Arbeit. Sie habe nichts gebracht außer der Hinauszögerung der Transfermaßnahme.

"Wir haben es nicht umsonst gemacht"

Die Aktivsten, der Kern der Besetzer, sehen wohl, dass für die einzelnen materiell nicht viel herausgekommen ist. Aber dass sie überhaupt die Besetzung begonnen haben und drei Monate und drei Wochen durchgehalten haben, darauf sind sie stolz! Auch darauf, dass sie bundesweit und darüber hinaus Aufmerksamkeit bekommen haben.
Einer der Aktivisten formulierte: "Deshalb haben wir es nicht umsonst gemacht. Vielleicht finden wir Nachahmer. Und die haben dann mehr Glück!"
Eines ist aber schon jetzt sicher: Analysiert man die aufkommenden eigenständigen betrieblichen Kämpfe vor dem Hintergrund der Agenda 2010, d.h. finanzieller Not, Angst und beruflicher Perspektivlosigkeit, dann muss neben Opel Bochum, Alstom, TRW, Gate Gourmet Düsseldorf, Bosch-Siemens Berlin u.a. auch die Besetzung der kleinen Fahrradfabrik in Nordhausen untersucht werden. In jedem dieser Kämpfe mit eigenständigem Charakter steckt etwas Gemeinsames und vieles, was sie unterscheidet.

Dieter Wegner ist Aktivist des Jour Fixe, Gewerkschaftslinke Hamburg.




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