SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2007, Seite 13

Radikale Linke in Europa

Neue antikapitalistische Partei in Frankreich?

Interview mit Alain Baron

Nach den großen Erfolgen beim Referendum gegen die EU-Verfassung und den Protesten gegen den Erstanstellungsvertrag gibt es in Frankreich trotz des Wahlsiegs von Nicolas Sarkozy ein breites Interesse an einer neuartigen antikapitalistischen Partei.
Harald Etzbach sprach mit Alain Baron, Gründungsmitglied und lange Jahre Vorstandsmitglied der unabhängigen Gewerkschaft SUD- PTT. Er ist außerdem Mitglied der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR).

Der neue französische Präsident Sarkozy ist fast ein halbes Jahr im Amt. Wie lautet die Bilanz?

Sarkozy wurde auf der Grundlage eines Programms gewählt, das wesentlich in der Fortführung und Verschärfung der bisherigen neoliberalen Politik besteht. Er hat das sehr schnell in die Tat umgesetzt, z.B. mit Maßnahmen gegen die Migranten. Außerdem versucht er im Augenblick die speziellen Renten- und Pensionsregeln für bestimmte Berufsgruppen wie Eisenbahner oder Angestellte der Elektrizitätswerke außer Kraft zu setzen.
Dies hat natürlich zu Reaktionen von Seiten der Arbeiterbewegung geführt, was jetzt bei den Streiks der französischen Eisenbahner zu sehen ist. Allen ist klar: Wenn es der Regierung gelingen sollte, diese speziellen Regelungen für bestimmte Berufsgruppen auszuhebeln, wird als nächstes ein Angriff auf die Altersversorgung aller abhängig Beschäftigten folgen.
Auf der anderen Seite sind das Selbstbewusstsein der Arbeiterklasse und die Hoffnung, diese neoliberalen Maßnahmen verhindern zu können, nicht allzu hoch. Das hat mehrere Gründe: Zunächst einmal hat es in den letzten 25 Jahren eine Menge Rückschläge gegeben, was demoralisierend gewirkt hat. Zum anderen ist neoliberale Politik in der Vergangenheit oftmals von Regierungen der Linken betrieben worden. Das hat zu einer tiefgreifenden Krise bei vielen Gewerkschaftsaktivisten geführt, die in diesen Regierungen eigentlich einen Bündnispartner gesehen hatten.

Welche Aufgaben stellen sich jetzt der Linken?

Man muss jetzt zwei Dinge tun: erstens ein möglichst breites Bündnis herstellen, um die neoliberalen Pläne der Regierung zu verhindern, zweitens all diejenigen zusammenbringen, die sich darüber hinaus von den Parteien der sozialliberalen Mehrheitslinken, die ja die Politik von Sarkozy z.T. unterstützen, absetzen wollen. Wie sehr etwa die Sozialistische Partei auf neoliberalem Kurs ist, zeigt sich daran, dass Dominique Strauss-Kahn, einer ihrer Führungsleute, mittlerweile Präsident des IWF ist, also jener Organisation, die den Neoliberalismus auf internationaler Ebene umsetzt.
Nach den Jahren der Niederlagen haben wir in jüngster Zeit zwei große Siege errungen: Das "Nein" beim Referendum über die europäische Verfassung 2005 und die großen Mobilisierungen der Jugendlichen gegen den Erstanstellungsvertrag CPE, die auch von vielen anderen abhängig Beschäftigten unterstützt wurden. Die Kampagne gegen die EU-Verfassung hat ganz unterschiedliche Kräfte zusammengebracht: Einige linke Sozialisten, linke Grüne, die Kommunistische Partei und die radikale Linke. Hieraus hätte sich die Möglichkeit einer Umgruppierung ergeben können, bei der alle diejenigen, die gegen den Verfassungsentwurf mobilisiert haben, sich zusammenschließen — zu gemeinsamen Wahlplattformen oder sogar durch die Gründung einer neuen Partei.

Dies ist aber nicht geschehen. Im Gegenteil, bei den Präsidentschaftswahlen gab es mehrere linke Kandidaten, die sich gegenseitig Konkurrenz machten.

Das erste, was passierte, ist, dass die meisten oppositionellen Sozialisten sich sehr schnell wieder der Linie der Parteiführung angeschlossen haben. Dann begann die Kommunistische Partei, die sich klar für ein "Nein" zum Verfassungsentwurf ausgesprochen hatte, zunehmend zwischen dieser oppositionellen Position und einer Wiederannäherung an die Sozialistische Partei hin- und herzuschwanken. Bei dieser Wiederannäherung ging es vor allem um die Zusammenarbeit beider Parteien auf der Wahlebene zur Sicherung der jeweiligen Mandate. So wird es bei den Kommunalwahlen im nächsten Jahr gemeinsame Listen von SP und KP geben. Die Frage, ob man mit der SP zusammenarbeiten könne, hat schließlich zu einer tiefen Spaltung bei denjenigen geführt, die gegen den EU-Verfassungsentwurf mobilisiert haben. Was die Präsidentschaftswahlen angeht, so hat die KP darauf bestanden, ihre Generalsekretärin Marie-Georges Buffet als Präsidentschaftskandidatin aufzustellen und sogar versucht, sie den Initiativen gegen den Neoliberalismus als gemeinsame Kandidatin aufzuzwingen. Dieser Versuch ist allerdings gescheitert. Andere politische Strömungen wie die Grünen oder Minderheiten in der KP haben sich an der Kampagne für José Bové beteiligt. Für die LCR hat schließlich mit Olivier Besancenot angetreten, der mit über 4% das beste Ergebnis von allen Kandidaten links der SP erzielt hat.

Welche Schlussfolgerungen zieht die Linken aus diesen Ergebnissen?

Die Debatte geht weiter. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die ganz klar eine Zusammenarbeit oder Allianz mit der SP ablehnen. Das ist insbesondere die Position der LCR. Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die glauben, man solle Wahlbündnisse mit den Sozialisten eingehen, um dann später in Parlamenten und anderen Institutionen mit ihnen zusammenzuarbeiten. Das ist im Wesentlichen die Position der KP, der Grünen und anderer Strömungen, wie etwa derjenigen, die sich um José Bové gruppiert

Es scheint derzeit in Frankreich einen Widerspruch zu geben zwischen der Radikalisierung der sozialen Bewegungen und einer Verschiebung des politischen Spektrums nach rechts, was auch in der Wahl von Sarkozy zum Ausdruck kommt. Wie erklärst du das?

Zunächst einmal ist die Wählerwanderung hin zu Sarkozy gar nicht so groß gewesen. Es handelt sich um eine Größenordnung von 3% oder 4%. Offenbar hat sich ein Teil der Wähler der offiziellen Linken einfach in diesen Parteien nicht mehr wiedererkannt und ist nicht zur Wahl gegangen. Andere waren so enttäuscht, dass sie beschlossen haben, es einmal mit Sarkozy zu versuchen. Hinzu kommt, dass ein Teil der früheren Nichtwähler für Sarkozy gestimmt hat. Sarkozy hat ja auch eine ganze Reihe höchst widersprüchlicher Versprechungen gemacht, um unterschiedliche Wählergruppen für sich zu gewinnen. Teils erinnerten seine Aussagen an die Rhetorik der extremen Rechten, teils hat er versucht, die SP verbal links zu überholen. Tatsache ist aber, dass viele, die aus einer gewissen Neugier heraus Sarkozy gewählt haben, um zu sehen, was er machen wird, sich jetzt bewusst werden, dass diese Regierung für die meisten Menschen eine Verschlechterung ihrer Situation bedeutet. Der Flirt eines Teils der Bevölkerung mit Sarkozy ist definitiv beendet.

Wie schätzt du die Entwicklung der SP ein? Wird der neoliberale Kurs der Partei auf Dauer zu Abspaltungen führen?

Die SP wird in Frankreich die gleiche Entwicklung nehmen wie die sozialdemokratischen Parteien überall auf der Welt. Sie nähern sich immer schneller dem Modell der Demokratischen Partei in den USA an. In Frankreich hat sich das bisher anders dargestellt, weil es eine Reihe von sozialen Kämpfen gab und die Allianz mit der KP die Entwicklung der SP in Richtung Neoliberalismus gebremst hat. Der Niedergang der KP wird aber dazu führen, dass die französische Sozialdemokratie den gleichen Weg einschlagen wird wie ihre europäischen Schwesterparteien. Auch vom sog. linken Flügel der Partei ist nicht viel zu erwarten. Das hat sich bei den Präsidentschaftswahlen gezeigt, als auch die Parteilinke Ségolène Royal und ihr neoliberales Programm unterstützt hat.

Die LCR hat die Gründung einer neuen antikapitalistischen Partei vorgeschlagen. Welche Schritte in diese Richtung sind schon unternommen worden?

Zunächst denke ich, dass eine große Zahl von Aktiven, Jugendlichen und abhängig Beschäftigten bereit ist, eine antikapitalistische Partei zu unterstützen, die klare Positionen gegenüber den Unternehmern und der Regierung einnimmt, die traditionelle Politik der Anpassung an den Neoliberalismus ablehnt und die für einen klaren Bruch mit der SP steht. Das zeigen die eineinhalb Millionen Wählerstimmen für Olivier Besancenot, der damit weit vor den anderen Kandidaten der Linken lag, die sich weigerten, sich von der SP abzugrenzen.
Eine solche neue politische Kraft könnte durch eine Übereinkunft bereits bestehender Organisationen entstehen. Das ist über Jahre ohne Erfolg versucht worden. Eine andere Möglichkeit wäre, Organisierte und Unorganisierte auf der Basis einiger grundlegender antikapitalistischer Forderungen zu versammeln. Solche Forderungen werden nicht nur in der organisierten Linken, sondern auch in weiteren Kreisen der Bevölkerung diskutiert. Die LCR wäre dann ein Bestandteil dieser Partei, der sich auch andere Strömungen wie etwa Lutte Ouvrière (LO) oder Organisationen der libertären Linken anschließen könnten. Das wäre keinesfalls nur eine Umwandlung der LCR, sondern die Schaffung einer wirklich neuen Kraft. Der erste Test werden die Kommunalwahlen im März sein. Hier wird sich zeigen, ob es gelingt, gemeinsame Listen aller antikapitalistischen Kräfte aufzustellen.


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