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SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2007, Seite 15

Dollar und US-Hegemonie

Die USA bleiben in Führung, weil ernsthafte Herausforderer fehlen

von Ingo Schmidt

Und wieder wird über einen Absturz des Dollars spekuliert. Wiederholt ist seit den 70er Jahren die Führungsrolle von US-Währung und -Ökonomie in Frage gestellt worden — eng gekoppelt an den Verlauf von Dollarkurs und wirtschaftlicher Aktivität. Jede Abwertung, jeder Konjunktureinbruch wurde als Anfang vom Ende der US-Hegemonie interpretiert. Allen Niedergangsprognosen zum Trotz haben sich die USA bislang jedoch als Nr.1 des kapitalistischen Weltsystems behaupten können.

Stichwortgeber der aktuellen Debatte über die Zukunft von Dollar und US-Wirtschaft ist einmal mehr der Starökonom und New-York-Times-Kolumnist Paul Krugman. In einem seiner letzten Beiträge verglich er den Dollar mit Wile Coyote. Diese in den USA bekannte Comic-Figur rennt gern über Felskanten hinaus und steht noch eine Schrecksekunde in der Luft, bevor die Schwerkraft sie in den Abgrund zieht. Die Immobilienkrise in diesem Sommer war, um im Bild zu bleiben, der letzte Abgrund, über den "Dollar Coyote" hinausgelaufen ist. Mittlerweile hat die Schwerkraft der defizitären Leistungsbilanz zu Kursrückgängen geführt, die aber schwerlich als Absturz zu bezeichnen sind.
Ob sich Krugmans düstere Prognose eines Übergangs des Dollars vom Sink- zum Sturzflug bewahrheiten wird, sei dahingestellt. Fest steht, dass sich der Dollar-Kurs bereits seit dem Ende der New-Economy-Konjunktur 2001 in einer Abwärtsbewegung, insbesondere gegenüber dem Euro, befindet. Aller Marktlogik zum Trotz, die aus der Abwertung der Währung eine Verringerung des Leistungsbilanzdefizits ableitet, ist das außenwirtschaftliche Defizit der USA in der gleichen Zeit von einer Rekordmarke zur nächsten geklettert. Dies ist neu. In der Vergangenheit gingen Abwertung und rückläufige Leistungsbilanzdefizite durchaus Hand in Hand. Was hat die Entkopplung von Dollarkurs und Leistungsbilanzdefizit zu bedeuten?
Seit den 70er Jahren hat der US-Dollar zwei Aufwertungsphasen durchlaufen, die ihren Höhepunkt in den Jahren 1985 bzw. 2001 hatten. Dollarkurs und Leistungsbilanzdefizit entwickelten sich nur während der ersten dieser beiden Phasen gegenläufig; seit der Konjunkturkrise 1991 ist das Defizit der Leistungsbilanz hingegen beständig und unabhängig von Dollarkurs und Konjunkturverlauf angewachsen. Wäre das außenwirtschaftliche Defizit der USA von der Wechselkursentwicklung abhängig, hätte der seit 2001 fallende Dollar Importe in die USA gegenüber der heimischen Produktion verteuern und daher zu sinkenden Einfuhren und Leistungsbilanzdefiziten führen müssen. Dies ist nicht geschehen.
Keynesianische Ökonomen bestreiten den von der Neoklassik behaupteten Zusammenhang zwischen Wechselkursen und Warenein- bzw.
-ausfuhr. Aus ihrer Sicht hat die nach der Rezession 2001 einsetzende Aufwärtsentwicklung der Konjunktur — begleitet von massiver Kreditausweitung und erheblichen Kapitalzuflüssen — zusätzliche Kaufkraft in die USA gespült, die zur Finanzierung großzügiger Einkaufstouren in anderen Ländern genutzt wurde — unabhängig vom Dollarkurs, aber mit der Folge steigender Leistungsbilanzdefizite. So plausibel diese Erklärung auch sein mag; restlos überzeugen kann sie nicht, weil der Zustrom von Auslandskapital in die USA mit einer steigenden Dollarnachfrage verbunden ist und daher zumindest in der Konsequenz zu Aufwertungen hätte führen müssen. Dazu ist es jedoch nicht gekommen.
Einige Ökonomen, besonders prominent unter ihnen der Yale-Professor Robert Shiller, haben daraus den Schluss gezogen, irrationales Verhalten von wirtschaftlichen Akteuren sei für "marktwidrige" Entwicklungen verantwortlich. In diese Richtung geht auch Krugmans Argumentation: Schlecht informierte Anleger hätten den nominellen Dollarkurs allzu lange für bare Münze, d.h. angemessenen Ausdruck der in den USA geschaffenen Werte, genommen, in naher Zukunft würden sie daher mit Kurseinbrüchen bestraft und müssten sich von ihren Vermögensillusionen verabschieden.
Ökonomen wie Krugman und Shiller sehen in übermäßiger Profitgier und Informationsmangel die Ursache von irrationalem Verhalten und hierdurch verursachten Wirtschaftskrisen. Diese ließen sich vermeiden, wenn Investoren ihre Anlageentscheidungen sachlich, d.h. auf Grundlage vollständiger Information und nicht von Triebverhalten, treffen würden. Diese Sichtweise blendet allerdings aus, dass zum kapitalistischen Privateigentum auch das Recht gehört, Unternehmensinformationen unvollständig oder in einer zum Wohlgefallen der Shareholder geschönten Version zu veröffentlichen. Unberücksichtigt bleibt ebenso, dass die kapitalistische Konkurrenz triebhaftes Profitstreben und hieraus folgende Überakkumulation zur Überlebensbedingung der einzelnen Kapitale macht. Mit Marx ließe sich von einem irrationalen System sprechen, innerhalb dessen sich einzelne Kapitalisten mehr oder minder rational verhalten. Allerdings führt deren gesellschaftlich nicht abgestimmtes Verhalten notwendig zu Krisen, die dem praktizierenden Kapitalisten wie dem räsonierenden Ökonomen gleichermaßen als Folge individuellen Fehlverhaltens erscheinen. Die höchste Form eines solchen Fehlverhaltens ist die politische, sprich der Marktlogik widersprechende Intervention. Werden Akkumulationstrieb und politische Intervention als von kapitalistischen Apologeten ungeliebte, aus marxistischer Sicht aber unhintergehbare Bestandteile der kapitalistischen Produktionsweise verstanden, lässt sich auch die hier zur Diskussion stehende Entkopplung von Dollarkurs, Leistungsbilanzdefizit und Konjunkturentwicklung vernunftgeleitet aufklären.
In den 70er Jahren stellten der Zerfall des Systems fester Wechselkurse, Wirtschaftskrisen sowie ein Aufschwung von antiimperialistischen und Arbeiterkämpfen die weitgehend von den USA geprägte Nachkriegsordnung im kapitalistischen Teil der Welt in Frage. Nachdem sie sich vom Schreck der eigenen Verwundbarkeit erholt hatte, reagierte die US-Bourgeoisie auf diese Herausforderung mit einer Kriegserklärung an die Sowjetunion, an antiimperialistische Bewegungen und an die amerikanische Arbeiterklasse. Auf diese Weise sollte der Weltmarkt ausgeweitet und die Einkommensverteilung innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft von Arbeits- zu Vermögenseinkommen verschoben werden. Kapitaleigner aus allen kapitalistischen Ländern honorierten den strategischen Weitblick und Wagemut dieses Programm zur Profitausweitung mit Investitionen in den USA. Steigende Dollarnotierungen waren die Folge — sie waren zugleich ein Gradmesser des Vertrauens der Kapitalisten aller Länder, die sich hinter die politische Führung Amerikas scharten.
Mit jedem weiteren Anstieg des Dollars in den Jahren 1979—1985 wurde die gewerkschaftlich organisierte Arbeiterklasse in den USA weiter zurückgedrängt. Importe, die infolge des starken Dollars gegenüber US-Waren konkurrenzfähiger wurden, schränkten die Absatzmöglichkeiten der heimischen Industrie ein und wurden zum willkommenen Anlass, Einkommen und Arbeitsbedingungen von Arbeitern in den USA anzugreifen.
Das antisozialistische Rollback begann nach wenigen Jahren Früchte zu tragen. Der sowjetische Interimsführer Andropow deutete bereits jene Konzessionsbereitschaft gegenüber dem amerikanisch geführten Westen an, die unter Gorbatschow Realität werden sollte. Der AFL-CIO unter Lane Kirkland hatte der Kapitaloffensive von Beginn an hilflos gegenüber gestanden. Unter diesen Bedingungen konnten die Dollar-Zügel gelockert werden. Auf Drängen der US-Regierung kam es 1985 zu einer abgestimmten Intervention der amerikanischen, deutschen und japanischen Zentralbanken, in deren Folge die Entwicklungsrichtung des Dollar umgekehrt wurde. Dadurch konnte die US-Industrie ihren Absatz im In- und Ausland ausweiten.
Der Kursverfall des Dollars wurde ebenso beendet, wie er eingeleitet worden war — durch eine abgestimmte Intervention der Zentralbanken Amerikas, Deutschlands und Japans. Denn so sehr sich das amerikanische Industriekapital über steigenden Absatz und Profit im Windschatten sinkender Dollarnotierungen freute, so sehr sorgte sich Wall Street um den Finanzplatz Amerika.
In den frühen 90er Jahren — die USA hatten gerade eine Rezession überstanden und sich nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums an den Aufbau einer neuen Weltordnung gemacht — konnte die Finanzwelt die Regierung davon überzeugen, dass negative Dollarrekorde mit dem Ansehen der verbleibenden Supermacht unvereinbar waren. Es bildete sich der "Wall-Street-Treasury-Komplex", der unter Clinton zur treibenden Kraft multilateral ausgehandelter Marktöffnung und einer computergestützten Neuorganisation weltweiter Wertschöpfungsketten werden sollte.
Wieder winkten Profite und wieder stieg der Dollar, bis die New-Economy-Blase 2001 platzte. Danach trat immer mehr der militärisch-industrielle Komplex an die Stelle des fadenscheinig gewordenen Kapitalfetischs. Nicht mehr die unsichtbare Hand des Marktes, sondern die eiserne Faust der US Army wurden zu Garanten der Profitmacherei erklärt. Mit deren Unfähigkeit, militärisch armselige Aufstände in Irak und Afghanistan zu beenden, schließt sich allerdings der Kreis zu den 70er Jahren. Damals war der American Way of Life an seine Produktivitäts-, Profit- und Attraktivitätsgrenzen gestoßen. Seither konnte der Schein von US- und Dollar-Hegemonie im Namen eines zweiten Kalten Krieges, einer Neuen Weltordnung und New Economy zweimal restauriert werden. Ihr Fortbestand hängt gegenwärtig von der Abwesenheit ernsthafter Herausforderer ab — sei es in Form imperialistischer Konkurrenten oder antikapitalistischer Bewegungen. Solange sich diese nicht einstellen, wird die Führungsrolle der USA, und mit ihr der Dollar, in der Schwebe bleiben.


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