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Enttäuschung und Zufriedenheit lagen in Cottbus dicht beieinander.
Viele waren enttäuscht, weil so wenige
gekommen waren. Bei 160 Veranstaltungen und einer Konzentration ihres Großteils auf eineinhalb Tage füllten
selbst die 1500 Teilnehmenden, die die Anmeldung über die Dauer von drei Tagen gezählt hat, die Säle nicht
wirklich. Einige, wenige, Veranstaltungen mussten mangels Beteiligung ausfallen. Das passierte vor allem
dort, wo ein Thema mehrfach angeboten wurde, z.B. das Thema EU. Viele Veranstalter zeigten sich mit der
Beteiligung hingegen "hochzufrieden".
Die Vorbereitungsgruppe, die für den
zweijährigen Rhythmus votiert hatte, wusste um das Risiko. Als am Ende des 1.Sozialforums in Erfurt um
diese Frage gestritten wurde – und die Mobilisierung nach Heiligendamm teilweise in Gegensatz zum
2.Sozialforum gebracht wurde –, war klar: Zwei große Mobilisierungen konnten es in einem Jahr nicht werden.
Insofern rechnete niemand mit der Wiederholung der Teilnehmerzahl in Erfurt, intern peilte die
Vorbereitungsgruppe "etwa 1000 Leute" an.
Wichtiger als ein weiteres Großevent war,
dass der Grundgedanke des Forums sich verstetigt: die kontinuierliche Zusammenführung von Bewegungen und
Protesten, die Arbeit an gemeinsamen inhaltlichen Nennern, die sich natürlich auch ausdrücken muss in
gemeinsamen Initiativen und Aktionen. Das sind unspektakuläre Schritte, aber notwendige, wenn die
Kurzatmigkeit bisheriger Mobilisierungsformen überwunden werden soll.
Es sieht danach aus, als wären in Cottbus
Fortschritte auf diesem Weg erzielt worden. Einige seien hier aufgeführt – ein Überblick über das Ganze war
einzelnen auch diesmal unmöglich:
- Schon in Erfurt lag das Angebot aus
Cottbus vor, das zweite Sozialforum in der Hauptstadt der Niederlausitz zu machen. Unter medienpolitischen
Gesichtspunkten ein Eigentor, mag man einwenden. Doch auch hier waren am Ende inhaltliche Gesichtspunkte
ausschlaggebend: Die örtlichen und regionalen Initiativen zeigten großes Interesse an einer solchen
Veranstaltung – und waren am Ende weitaus zufriedener mit dem Ergebnis als die Thüringer vor zwei Jahren.
Sie werden auch in Zukunft dabei bleiben – etwas Besseres kann man sich kaum wünschen.
– Die exzentrische Lage des Ortes nahe der
Grenze zu Polen und Tschechien, aber mehr in der Mitte Europas, sollte darüber hinaus genutzt werden, um in
einen aktiven Austausch mit sozialen Bewegungen aus Osteuropa zu kommen. Diese Rechnung ist voll
aufgegangen: Vor allem aus Polen konnten sehr viele Organisationen, Gewerkschaften und andere Initiativen,
gewonnen werden, nicht nur mit deutschen Kolleginnen und Kollegen auf dem Podium zu diskutieren, sondern
auch eigene Veranstaltungen anzubieten. Viele dieser Organisationen sind untereinander verfeindet und reden
in Polen nicht miteinander. Aber zum Sozialforum kamen sie alle und es war eine Diskussion untereinander
möglich. Sicher wird man sie im kommenden Jahr auf dem ESF in Malmö wieder treffen, die Kontakte werden
sich vertiefen und die Spaltung in Ost- und Westeuropa, die nach wie vor gemeinsame Antworten behindert,
damit schrittweise überwunden.
– Die Gewerkschaften haben das Angebot, das
das Sozialforum bereitstellt, diesmal weitaus besser genutzt als Nichtregierungsorganisationen. Sie haben
den Kontakt zu ihren osteuropäischen Kollegen gesucht, den Dialog mit anderen sozialen Bewegungen, und sie
haben sogar angefangen, ihre eigenen Probleme dort zu diskutieren: so die IG Metall der Region Cottbus über
Streiktaktiken. Hervorzuheben ist eine Konferenz über Mindestlöhne in Europa unter Beteiligung des
Vorsitzenden der OPZZ, der immer noch größten Gewerkschaft in Polen, und ein Dialog über globale soziale
Rechte, der sich im April zwischen der IG Metall, Attac, Medico international und "kein mensch ist
illegal" angebahnt hat.
– Attac hatte diesmal kein eigenes
Veranstaltungsangebot. Dasselbe gilt für die Kirchen. Initiativen aus dem entwicklungspolitischen Spektrum
waren nur gering vertreten – zur großen Enttäuschung der wenigen, die gekommen waren und nicht auf ihre
Kosten kamen. Selbst das Thema Frieden war unterbelichtet. Die Bereiche Frauen und Umwelt fehlten
vollständig, sieht man von regionalen Initiativen ab. Letztere aber waren mit ihren beiden Themen:
Braunkohle und Rechtsextremismus gut präsent.
Auf der Versammlung sozialer Bewegungen,
die wieder den Abschluss bildete, gab es diesmal keine Diskussion, ob man den Sozialforumsprozess
fortführen müsse. Es gab eine ausführliche Bilanzdiskussion, in der die etwa 100 Anwesenden betonten, dass
die Vorbereitung des nächsten Sozialforums in zwei Jahren auf andere Füße gestellt werden muss: Sie darf
nicht erst ein halbes Jahr im voraus beginnen, sondern sofort. Das Sozialforum ist kein Ereignis, sondern
ein Prozess. Die Arbeit an dem Miteinander, die Suche nach Übereinstimmungen und gemeinsamer Praxis kann
nicht erfolgreich sein, wenn sie alle zwei Jahre kurz aufgerufen wird – das ist eine Aufgabe, der wir uns
in der Zeit dazwischen widmen müssen; auf dem Sozialforum können wir letztlich nur ratifizieren, wie weit
wir mit diesem Prozess sind.
Und wir stehen noch ganz am Anfang, das hat
Cottbus deutlich gezeigt. Alle unsere Schwächen konnte man gut an dem Forum ablesen. Auch das Fernbleiben
der jungen Generation, die den Weg nach Heiligendamm gefunden hat. Wer aber sagt, das Sozialforum sei
deshalb gescheitert, weil die Brücke zu Heiligendamm nicht geschlagen werden konnte, verrät ein falsches
Herangehen: Das Sozialforum ist kein deus ex machina, der auf wundersame Weise all die Probleme löst, die
normal sterbliche Linke nicht gelöst kriegen. Es ist nur so gut, wie wir alle zusammengenommen. Das
einzige, was es den vielen anderen linken Initiativen voraus hat, ist der Wille und die Einsicht, dass wir
nur gemeinsam Erfolg haben können. Und unsere Gemeinsamkeiten finden müssen.
Die Schwächen in Cottbus haben einige dazu
angetrieben, Verbesserungsvorschläge zu machen und ihre Mitarbeit an der Vorbereitung einzuklagen. Das ist
das Beste, was passieren konnte. Auf diesem Weg kommen wir weiter.
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