SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2007, Seite 22

Sicko, USA 2007, Regie: Michael Moore. Hauptdarsteller: Michael Moore. Bereits angelaufen

filmtipp

Michael Moore hat ein neues filmisches Pamphlet verfasst. Diesmal geht es um das Gesundheitssystem in den USA bzw. dessen Abwesenheit. Etwa 40% aller US-Amerikaner haben gar keine Krankenversicherung, aber um die geht es in Moores Film nicht. Es geht ihm um die 60%, die eine Krankenversicherung haben. Denn im rein privaten Versicherungssystem der USA garantiert auch das scheinbar nicht, dass man im Falle einer Erkrankung auch adäquat behandelt wird.
Moore geht das Thema von vorneherein sehr subjektiv an. In der ersten Einstellung ist ein Mann zu sehen, der sich eine Wunde selber zunäht, weil er — mangels Versicherung — die entsprechende Behandlung nicht selber bezahlen kann. Dann erfährt die geneigte Zuschauerin, dass es um Leute wie diesen Mann nicht geht. Denn er hat keine Krankenversicherung, es geht aber um die Leute, die eine haben. Dann werden eine Reihe von Fällen vorgestellt, wo die Versicherung gar nicht oder nur teilweise gezahlt hat. Dabei sind so bizarre Fälle wie der eines Mannes, der Mittel- und Ringfinger bei einem Unfall verloren hat. Die Versicherung zahlt nicht und der Mann hat nun die Wahl, sich entweder den Mittelfinger oder den Ringfinger, letzteren zum Supersparpreis, wieder annähen zu lassen. Den Eltern eines kleinen schwerhörigen Mädchens schlägt die Versicherung vor, nur ein Hörgerät für ein Ohr anzuschaffen, zwei Hörgeräte würde sie nicht bezahlen. Es gibt aber auch tragischere Fälle, wie die von Krebspatienten, die auf Grund fehlender Versicherungsleistungen sterben oder in ein unheilbares Stadium kommen. Wie repräsentativ diese Fälle sind, erfährt der Zuschauer nicht. Dass das Gesundheitssystem der USA eine Katastrophe ist, wird aber sogar von Moore-Kritikern zugegeben, wie man auf der "Anti-Moore-Seite" moorewatch.com nachlesen kann.
Moores spezieller Stil prägt sich in diesem Film noch stärker aus als in den Vorgängern. Er ist noch subjektiver, noch emotionaler und er enthält noch mehr Auftritte von Moore als die Vorgänger. Der Vorteil davon könnte sein, dass der Film sofort als politisches Statement erkennbar wird. Während in anderen Dokumentarfilmen die Filmemacher gar nicht in Erscheinung treten und einen Haufen scheinbar objektiver Fakten bieten, macht Moore sofort klar, dass das sein Film ist, sein Appell an seine Mitbürgerinnen und Mitbürger, endlich ein menschenwürdiges Gesundheitswesen im immer noch reichsten Land der Erde zu schaffen.
Aber funktioniert das wirklich? Moores Vorgehensweise zielt in erster Linie auf die Erzeugung von Betroffenheit. Dabei scheut er nicht davor zurück, heftig auf die Tränendrüse zu drücken. Obwohl der subjektive Charakter so deutlich wird, erzeugt das wohl kaum Distanz. Den Zuschauerinnen und Zuschauern bleibt fast nichts anderes übrig, als sich mit den armen Opfern zu identifizieren. Selbst hart gesottene Privatisierungsbefürworter kämen nicht umhin zuzugeben, dass so etwas nicht passieren darf. Dem Vorwurf der Manipulation entgeht Moore also nicht, wenn er es auch für die gute Sache macht. Aber heiligt der Zweck die Mittel?
Als Alternative bietet Moore die Gesundheitssysteme Kanadas, Großbritanniens, Frankreichs und Kubas an. Moore reist extra in diese Länder, um glückliche Patientinnen und wohlhabende Ärzte vorzuführen. Man gewinnt den Eindruck, dass in diesen Ländern alle mit ihrer jeweiligen Gesundheitsversorgung rundum zufrieden sind. Alle Menschen in den genannten Ländern wissen, natürlich, dass das Quatsch ist, aber Moore will seinen Landsleuten in den USA wohl vorführen, dass es besser geht. Es ist vermutlich richtig, dass das fast rein private Gesundheitswesen in den USA schlechter ist als in vielen anderen Ländern. Aber warum wird der Film dann außerhalb der USA überhaupt gezeigt? Nach einem berühmten Diktum von Karl Liebknecht steht der Feind im eigenen Land. Moore hält sich vorbildlich an diese Devise, indem er die Zustände in seinem Land, den USA, schonungslos kritisiert. Aber in Europa funktioniert der Film nur als Selbstbeweihräucherung, die notwendige Kritik an den Zuständen hierzulande kommt darin nicht vor. Das Fazit kann daher nur sein, dass der Film für kritische Europäer (und Kanadierinnen) nicht sehenswert ist, denn der Feind steht in jedem Land immer zuerst im eigenen Land.

Andreas Bodden


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