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Michael Moore hat ein neues filmisches Pamphlet verfasst. Diesmal geht es um
das Gesundheitssystem in den USA bzw. dessen Abwesenheit. Etwa 40% aller US-Amerikaner haben gar keine
Krankenversicherung, aber um die geht es in Moores Film nicht. Es geht ihm um die 60%, die eine
Krankenversicherung haben. Denn im rein privaten Versicherungssystem der USA garantiert auch das scheinbar
nicht, dass man im Falle einer Erkrankung auch adäquat behandelt wird.
Moore geht das Thema von vorneherein sehr
subjektiv an. In der ersten Einstellung ist ein Mann zu sehen, der sich eine Wunde selber zunäht, weil
er mangels Versicherung die entsprechende Behandlung nicht selber bezahlen kann. Dann
erfährt die geneigte Zuschauerin, dass es um Leute wie diesen Mann nicht geht. Denn er hat keine
Krankenversicherung, es geht aber um die Leute, die eine haben. Dann werden eine Reihe von Fällen
vorgestellt, wo die Versicherung gar nicht oder nur teilweise gezahlt hat. Dabei sind so bizarre Fälle
wie der eines Mannes, der Mittel- und Ringfinger bei einem Unfall verloren hat. Die Versicherung zahlt
nicht und der Mann hat nun die Wahl, sich entweder den Mittelfinger oder den Ringfinger, letzteren zum
Supersparpreis, wieder annähen zu lassen. Den Eltern eines kleinen schwerhörigen Mädchens
schlägt die Versicherung vor, nur ein Hörgerät für ein Ohr anzuschaffen, zwei
Hörgeräte würde sie nicht bezahlen. Es gibt aber auch tragischere Fälle, wie die von
Krebspatienten, die auf Grund fehlender Versicherungsleistungen sterben oder in ein unheilbares Stadium
kommen. Wie repräsentativ diese Fälle sind, erfährt der Zuschauer nicht. Dass das
Gesundheitssystem der USA eine Katastrophe ist, wird aber sogar von Moore-Kritikern zugegeben, wie man auf
der "Anti-Moore-Seite" moorewatch.com nachlesen kann.
Moores spezieller Stil prägt sich in
diesem Film noch stärker aus als in den Vorgängern. Er ist noch subjektiver, noch emotionaler und
er enthält noch mehr Auftritte von Moore als die Vorgänger. Der Vorteil davon könnte sein,
dass der Film sofort als politisches Statement erkennbar wird. Während in anderen Dokumentarfilmen die
Filmemacher gar nicht in Erscheinung treten und einen Haufen scheinbar objektiver Fakten bieten, macht
Moore sofort klar, dass das sein Film ist, sein Appell an seine Mitbürgerinnen und Mitbürger,
endlich ein menschenwürdiges Gesundheitswesen im immer noch reichsten Land der Erde zu schaffen.
Aber funktioniert das wirklich? Moores
Vorgehensweise zielt in erster Linie auf die Erzeugung von Betroffenheit. Dabei scheut er nicht davor
zurück, heftig auf die Tränendrüse zu drücken. Obwohl der subjektive Charakter so
deutlich wird, erzeugt das wohl kaum Distanz. Den Zuschauerinnen und Zuschauern bleibt fast nichts anderes
übrig, als sich mit den armen Opfern zu identifizieren. Selbst hart gesottene
Privatisierungsbefürworter kämen nicht umhin zuzugeben, dass so etwas nicht passieren darf. Dem
Vorwurf der Manipulation entgeht Moore also nicht, wenn er es auch für die gute Sache macht. Aber
heiligt der Zweck die Mittel?
Als Alternative bietet Moore die
Gesundheitssysteme Kanadas, Großbritanniens, Frankreichs und Kubas an. Moore reist extra in diese
Länder, um glückliche Patientinnen und wohlhabende Ärzte vorzuführen. Man gewinnt den
Eindruck, dass in diesen Ländern alle mit ihrer jeweiligen Gesundheitsversorgung rundum zufrieden
sind. Alle Menschen in den genannten Ländern wissen, natürlich, dass das Quatsch ist, aber Moore
will seinen Landsleuten in den USA wohl vorführen, dass es besser geht. Es ist vermutlich richtig,
dass das fast rein private Gesundheitswesen in den USA schlechter ist als in vielen anderen Ländern.
Aber warum wird der Film dann außerhalb der USA überhaupt gezeigt? Nach einem berühmten
Diktum von Karl Liebknecht steht der Feind im eigenen Land. Moore hält sich vorbildlich an diese
Devise, indem er die Zustände in seinem Land, den USA, schonungslos kritisiert. Aber in Europa
funktioniert der Film nur als Selbstbeweihräucherung, die notwendige Kritik an den Zuständen
hierzulande kommt darin nicht vor. Das Fazit kann daher nur sein, dass der Film für kritische
Europäer (und Kanadierinnen) nicht sehenswert ist, denn der Feind steht in jedem Land immer zuerst im
eigenen Land.
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